Hat eine Stadt mehr als zehn Millionen Einwohner, gilt sie als Megastadt. Vor knapp siebzig Jahren traf diese Definition gerade einmal auf zwei Städte zu: Tokio und London. Mittlerweile sind wir bei 31 Megastädten weltweit angelangt – die meisten davon befinden sich in Asien. Doch wie schaffen es solche "Megacities", den Kollaps zu vermeiden?
Tokio in Japan, Delhi und Mumbai in Indien, Shanghai in China, São Paolo in Brasilien – das sind die fünf grössten Städte der Welt, auch Megastädte genannt. Sie alle haben mehr als zehn Millionen Einwohner und sie sind in bester Gesellschaft.
Noch 26 weitere Städte weltweit reihen sich in die Liste der Megastädte ein. Die UNO erwartet, dass es bis 2030 sogar noch einmal deutlich mehr werden.
Laut einem Bericht der Vereinten Nationen werden zehn der Städte, die momentan zwischen fünf und zehn Millionen Einwohner haben, zu Megastädten heranwachsen. Dann soll es also 41 Riesenstädte weltweit geben. Darunter befinden sich unter anderem Bangkok in Thailand, Bogotá in Kolumbien und Johannesburg in Südafrika.
Auch das Bevölkerungswachstum ist ein grosses Thema. Im Jahr 2050 werden laut Schätzungen der UNO knapp zehn Milliarden Menschen auf unserem Planeten leben.
Megastädte und ihre Probleme
Die Entwicklung dieser "Megacities" mit ihrem enormen Bevölkerungswachstum ist laut Franz Pesch, einem Experten für Internationalen Städtebau aus Dortmund, von vielen Problemen belastet.
"Ein grosses Problem in etlichen Megastädten ist zum Beispiel Armut. Damit verbunden sind auch soziale Konflikte und eine hohe Kriminalität. Ein ganz trauriges Thema, mit dem viele Megastädte kämpfen, ist die hohe Kindersterblichkeit. Es herrscht obendrein eine starke Umweltverschmutzung, Wasserknappheit und ein Platzproblem. Und zu guter Letzt geht uns auch ein grosses Stück städtischer Kultur verloren, indem immer mehr Bauten der gleichen Art aneinandergereiht werden", so Pesch.
Trotz der enormen Anforderungen kollabieren die Megastädte nicht. Und auch dafür gibt es eine Erklärung: "Durch technologisch bessere Infrastrukturen, aber vor allem auch durch eine Art Selbstorganisation und innere Beständigkeit und Stabilität von Strukturen funktionieren diese Megastädte. Innerhalb der gigantischen Einheiten entwickeln sich also kleinere und durchaus stabile Formationen", so Pesch.
Viele Menschen leben in Slums
Dass es die Menschen in grosse Städte zieht, ist keine neue Entwicklung. Im Mittelalter blühte das urbane Leben regelrecht auf. Auch im Zuge der Industrialisierung kamen immer mehr Menschen vom Land in die Städte, in der Hoffnung, ihre Lebensbedingungen dort verbessern zu können.
Und das ist auch heute noch so, erklärt Stadtplaner und Architekt Pesch: "Die Menschen ziehen in die grossen Städte, weil sie die Hoffnung haben, zu mehr Wohlstand zu gelangen. Wir erleben dieses Phänomen aktuell mit einer unglaublichen Dynamik."
Dabei hat der Lebensstandard vieler dieser Menschen mit Wohlstand gar nichts zu tun. Sie hausen in Bretterverschlägen an der Stadtgrenze und ernähren sich von Müll – wie man es auch aus dem Film "Slumdog Millionaire" kennt. Eine Versorgung oder Infrastruktur gibt es nicht.
"Hier organisieren und versorgen sich die Menschen selbst. In Mexico City zum Beispiel leben viele Menschen oberhalb der Wasserpumpanlage. Das heisst, dass dort Tanklaster durchfahren und die Menschen holen sich dort ihr Wasser ab, das sie zum täglichen Leben brauchen."
So funktionieren Megastädte
Dass es nicht zur urbanen Paralyse kommt, liegt laut dem Experten unter anderem auch am unglaublichen Willen der zuziehenden Menschen: "In den Randregionen der Megacities, den Slums, bildet sich ein Netz aus Versorgern, das immer weiter anwächst. Die Menschen helfen sich selbst und überleben aus ihrem eigenen Willen heraus, weil sie etwas aus ihrer Situation machen wollen. Diese Slums sind anfangs meist illegal, aber oft geduldet und entwickeln sich dann Stück für Stück weiter. Aus Bretterverschlägen werden Steinhäuser und irgendwann kommt auch die Legalisierung und damit die Infrastruktur."
Damit in den Megastädten trotz des enormen Bevölkerungswachstums der Verkehr läuft und die Versorgung funktioniert, lassen sich auch Politiker und Städteplaner immer mehr einfallen. So gibt es in Städten wie London oder Oslo mittlerweile "Road Pricing" – also eine Innenstadtmaut, um den Verkehr zu reduzieren.
In Kopenhagen gibt es Fahrradschnellstrassen und eine konsequent fahrradorientierte Politik. So hat man es geschafft, dass sich gut ein Drittel des Verkehrswesens nun auf Fahrräder konzentriert. "Das ist gesund, platzsparend und umweltschonend", so Pesch.
Er selbst war in den 70er Jahren erstmals in China, wo damals fast alle Menschen mit dem Fahrrad unterwegs waren. "Das ist heute nicht mehr so. Aber auch dort wird und muss ein Umdenken stattfinden, denn der öffentliche Nahverkehr ist in vielen asiatischen Städten am Limit."
In Los Angeles und vielen anderen Städten gibt es mittlerweile Fahrspuren, auf denen man nur noch unterwegs sein darf, wenn man mehrere Personen im Auto befördert. "Für das Überleben der Megastädte spielt also das Konditionieren der Bevölkerung eine grosse Rolle", erklärt Pesch.
Die erfolgreichen Megastädte von morgen
Für Franz Pesch ist Tokio aktuell eine der herausragendsten Megastädte und mit mittlerweile über 37 Millionen Einwohnern auch die grösste Stadt der Welt. "Dort gibt es eine unglaublich ausgefuchste Infrastruktur und eine sehr duldsame Bevölkerung mit dem Bewusstsein, dass man mit einer kleinen Wohnfläche auskommen muss, wenn man so dicht zusammenlebt."
Die Tokioter halten sich an vorgegebene Regeln, was zu einer nahezu reibungslosen Organisation in der Stadt führt. Und die Architekten der Stadt erweisen sich immer wieder als gigantische Raumkünstler, die aus wenig Platz ganz viel schaffen.
Sollen Megastädte auch in Zukunft funktionieren, hält Pesch ein Umdenken in der Politik für nötig: "Diese Megacities können gar nicht mehr zentralpolitisch organisiert werden. Sie brauchen eine starke Eigenregierung mit einem dezentralen System. Die Stadt von morgen muss praktisch anders untergliedert und geleitet werden. Von der politischen Seite hängt sehr viel ab."
Aber auch smarte Technologien sind eine wichtige Entwicklung für die Stadt der Zukunft. "Wir brauchen mehr Low-Tech-Systeme, veränderte Bauweisen von Gebäuden, eine Steuerung zum optimalen Energieverbrauch und funktionierende Mobilitätsketten."
Mindestens ebenso wichtig sind laut dem Experten aber auch die grünen Lungen der Städte. "Jede Stadt sollte Parks haben, die innerhalb von maximal 15 Minuten für die Bevölkerung erreichbar sind. Sie sind elementar für unser Klima und eine gute Luft in der Stadt."
Eine deutsche Stadt befindet sich übrigens nicht unter den Megastädten. Die bevölkerungsreichste Stadt ist Berlin mit rund 3,5 Millionen Einwohnern – zählt man alle Einwohner der Metropolregion Berlin/Brandenburg, so kommt man auch dann lediglich auf rund sechs Millionen Menschen.
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