Böse Blicke, laute Fernseher, stinkende Grillkohle: Unter Nachbarn kommt es häufig zu Konflikten. Bevor diese vollends eskalieren, kann eine Mediation helfen.

Mehr zum Thema Verbraucher

Ob Reihenhaussiedlung oder Mehrfamilienhaus: Nachbarschaftsstreit kann überall vorkommen. Doch der Zwist muss nicht zwangsläufig vor Gericht enden. Wenn eine neutrale Person alle Parteien an einen Tisch bringt, kann das die Gemüter beruhigen. Wie das Verfahren funktioniert, erläutert Raphael Stekl, Mediator im Landkreis Rosenheim.

Was sind die häufigsten Gründe, weshalb sich Nachbarn in die Haare bekommen?

Raphael Stekl: Meist hapert es am zwischenmenschlichen Miteinander: Lärmbelästigung, Gerüche, Probleme mit dem Putzplan. Bei Einfamilienhäusern geht es oft um bauliche Veränderungen, bei denen die Nachbarn ein Veto einlegen. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem eine Familie ein hölzernes Vordach bauen wollte. Angeblich hatten die Nachbarn dazu einfach Nein gesagt, ohne Begründung. Bei der Mediation kam dann raus, dass der Nachbar sich an der Farbe und der Holzart störte – er war selbst Zimmerer …

Wie haben Sie diesen Konflikt gelöst?

Indem die beiden Familien überhaupt erst mal geredet haben. Im Vorfeld hatte dieses Miteinander gar nicht stattgefunden. Stattdessen hatte eine Familie die Baupläne vorgelegt und die andere diese prompt abgelehnt. So etwas schaukelt sich dann schnell hoch, es gibt gegenseitige Vorwürfe, irgendwann fallen Schimpfworte. Bei der Mediation setzen sich alle zunächst einmal ruhig an einen Tisch und versuchen mithilfe einer neutralen Person eine Lösung zu finden.

Jede erfolgreiche Mediation vermeidet Gerichtskosten."

Mediator Raphael Stekl

Hat die Familie ihren Anbau am Ende so gestrichen, wie es die Nachbarn wollten?

Ganz so ins Detail gehen kann ich nicht, um ihre Privatsphäre zu schützen. Aber ich kann verraten, dass das Vordach am Ende gebaut werden durfte und alle Parteien mit der Lösung glücklich waren. Das Ziel einer Mediation ist immer ein Konsens – also nicht ein Urteil wie vor Gericht, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt, sondern eine Win-win-Situation für alle.

Gibt es sonst noch Vorteile gegenüber einem Gerichtsverfahren?

Jede erfolgreiche Mediation vermeidet Gerichtskosten. Sie macht unsere Gesellschaft auch insgesamt konfliktfähiger, weil wir durch die Mediation lernen, künftige Konflikte zu lösen.

Wie läuft eine Mediation bei Nachbarschaftskonflikten ab? Ordnet sie ein Gericht an oder kommen die Streithähne von sich aus zu Ihnen?

Es kommt schon vor, dass Gerichte so etwas empfehlen, aber bei mir kamen die Parteien bisher immer selbst auf mich zu. Im ersten Schritt telefoniere ich mit der Person, die mich kontaktiert. Dann vereinbaren wir einen Termin mit allen Beteiligten, zum Beispiel in einem Co-Working-Büro. Ein neutraler Ort ist extrem wichtig, damit bei niemandem unterbewusst Stress oder ein Gefühl der Benachteiligung aufkommt. In dieser ersten Sitzung vereinbaren wir einen gemeinsamen Arbeitsrahmen und versprechen einen wertschätzenden Umgang: nicht schreien, nicht schimpfen, sachlich bleiben.

Kommt das vor, dass bei der Begrüssung schon Beleidigungen fallen?

Das habe ich tatsächlich noch nicht erlebt. Wer zu mir kommt, hat sich ja im Vorfeld schon dazu entschieden, den Konflikt anzugehen. Es herrscht eher eine angespannte Stimmung oder betretenes Schweigen. Manchen ist die Situation peinlich, andere begrüssen sich per Handschlag und freuen sich richtig darauf, die Sache endlich aus der Welt zu bringen.

Was war Ihr skurrilster Fall?

Eine junge Familie hat ein Haus in einer Siedlung gekauft und wurde dort auch gut aufgenommen. Nur die direkten Nachbarn, ein älteres Ehepaar, wollten lieber für sich sein. Die anderen Nachbarn warnten die Neuen: "Passt auf, das sind die Wächter der Siedlung." Diese negative Grundstimmung führte zu Vorurteilen. Der Mann fühlte sich irgendwann von dem älteren Paar beobachtet, wenn er mit seiner Tochter im Garten spielte. Das wurde so schlimm, dass er am Ende nicht mehr in den Garten ging, weil er dort den Blicken der angeblich bösen Nachbarn ausgesetzt war. Daraufhin suchte die Familie meine Hilfe.

Mit welchem Ergebnis?

Der grosse Aha-Moment kam gleich am Anfang. Es stellte sich heraus, dass die Leute nie miteinander gesprochen hatten. Es gab gar keine bösen Blicke, im Gegenteil. Die älteren Leute erfreuten sich an der jungen Familie und hatten einfach dabei zugeschaut, wie der Vater mit seiner Tochter spielt. Das Unwohlsein, das Gefühl des Beobachtetwerdens — all das war vor allem durch die "Warnungen" der anderen Nachbarn entstanden.

"Nicht jeder hat Kommunikationstechniken eingeübt. Es wird dann entweder schnell hitzig oder die Leute gehen dem Konflikt aus dem Weg."

Mediator Raphael Stekl

Also lautet die Lösung: Einfach mal miteinander reden. Kommt da niemand selbst drauf?

(lacht) Das "einfach" muss man in Anführungszeichen setzen. Nicht jeder hat Kommunikationstechniken eingeübt. Es wird dann entweder schnell hitzig oder die Leute gehen dem Konflikt aus dem Weg. Letzteres ist aber auch nicht besser, weil der Konflikt dann weiterbrodelt und irgendwann meist doch wieder hervorbricht.

Mit dem Besen gegen die Decke hauen, weil der Nachbar den Fernseher zu laut hat, ist vermutlich keine gute Idee?

Es ist immer besser, miteinander zu sprechen, aber nicht unbedingt zwischen Tür und Angel. Bei einer jungen Familie würde ich nicht gerade abends klingeln, wenn die Kinder ins Bett müssen. Wenn Sie etwas akut stört – Lärm, Geruch, Müll –, kann man das Problem natürlich direkt ansprechen.

Lesen Sie auch

Entscheidend ist, wie ich es anspreche: Nicht gleich mit vorwurfsvollen Du-Botschaften, denn die lösen nur eine Verteidigungshaltung aus. Lieber mit Ich-Botschaften arbeiten und das eigene Empfinden spiegeln. Und auch gleich einen Wunsch hinterherschicken: "Ich sitze immer abends um 18 Uhr auf dem Balkon. Meint ihr, ihr könntet vielleicht zu einer anderen Zeit grillen?"

Streiten sich Nachbarn auf dem Land über andere Dinge als in der Stadt?

Die Konflikte sind meist die gleichen, da schleicht sich der Stadt/Land-Gegensatz zunehmend aus. In der Stadt ist es allerdings deutlich anonymer als auf dem Land. Wenn man diese Anonymität aufbricht, kommt es zu einem Aha-Moment, so wie bei der jungen Familie und dem älteren Ehepaar. Auf dem Dorf kennt jeder jeden. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass der Dorfklatsch Auswirkungen auf die ganze Gemeinschaft hat.

Klingt nach keiner leichten Ausgangslage. Scheitern Sie auch mal?

Meist klappt es, aber nicht immer. Oft ist es ja schon ein guter Anfang, dass man sich überhaupt an einen Tisch setzt– selbst wenn der eigentliche Konflikt am Ende nicht behoben wird. Natürlich habe ich als Mediator meine Techniken, aber es kommt stark auf die Beteiligten an. Wenn der Wille fehlt, kann ich manchmal auch nichts machen.

Was kostet eine Mediation?

Das ist je nach Mediator oder Mediatorin sehr unterschiedlich. Viele Rechtsanwälte arbeiten ebenfalls in diesem Bereich und rufen ihre entsprechenden Stundensätze auf. Grob gesagt kann man von 70 bis 150 Euro pro Stunde ausgehen, wobei die Dauer ganz unterschiedlich ausfällt. Meine kürzeste Mediation dauerte 45 Minuten, die längste über zehn Sitzungen. Wer dafür bezahlt, müssen die Konfliktparteien zu Beginn untereinander ausmachen.

"Wir müssen verstehen, dass unser Gegenüber nicht zwangsläufig daran interessiert ist, uns zu schaden."

Mediator Raphael Stekl

Entbrennt dann nicht gleich der nächste Streit, diesmal ums Geld?

Das habe ich bis jetzt nicht erlebt. Oft will die Partei zahlen, die den Kontakt aufnimmt. Allein das zeigt, dass ein ernsthaftes Interesse besteht, den Konflikt zu lösen. Vor Ort sagt dann die andere Partei häufig: "Nee, ich will auch meinen Anteil liefern, lass uns fifty-fifty machen." Eine solche Einigung ist eine gute Basis für die weitere Mediation.

Wie kann man vermeiden, dass es in der Nachbarschaft überhaupt zu Streit kommt?

Puh! Ein gesundes Miteinander wäre ein Anfang, genau wie eine grundlegende Offenheit und Wertschätzung gegenüber anderen Menschen. Wir müssen verstehen, dass unser Gegenüber nicht zwangsläufig daran interessiert ist, uns zu schaden. Jeder lebt sein Leben anders, da treffen unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander. Wenn wir das akzeptieren und uns darauf einlassen, ist schon viel gewonnen. Dazu kommt der normale zwischenmenschliche Umgang: ein Gespräch im Treppenhaus oder vor der Haustür, ein Grillfest im eigenen Viertel. Solche Dinge helfen, damit Konflikte erst gar nicht entstehen. Und wenn doch, dann kennt man sich wenigstens.

Über den Gesprächspartner

  • Raphael Stekl arbeitet hauptberuflich als Notfallsanitäter und Rettungsdienst-Ausbilder im Landkreis Rosenheim. Nach einem Zertifikatsstudium ist er seit 2021 zusätzlich als Mediator aktiv.

Über RiffReporter

  • Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter.
  • Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

  © RiffReporter

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.