Weihnachten ist das Fest des Schenkens – und das nicht nur im Familien- und Bekanntenkreis: Nie ist die Spendenbereitschaft grösser als in der Zeit vor dem Frohen Fest. Warum spenden Leute, und vor allem: Warum spenden sie nicht? Wir gehen diesen Fragen auf die Spur.

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Spenden ist zur Weihnachtszeit allgegenwärtig: Zahllose Hilfsorganisationen schreiben die Haushalte an, an den Strassenecken stehen Menschen mit Sammeldosen, und im Fernsehen werden Spendenmarathons für die gute Sache abgehalten. Die Wochen vor den Festtagen sind traditionell die Tage, wo wir nicht nur an Familie und Freunde denken, sondern auch an Menschen, denen es weitaus schlechter geht als uns – und denen wir mit einer Spende helfen möchten.

Spenden ist ein komplexes Phänomen

Was hat es mit dem Spenden eigentlich auf sich? Warum spendet der Mensch? "Das ist ein komplexes Phänomen", sagt Albrecht Schnabel. Der Diplom-Psychologe arbeitet an der Ludwig-Maximilians-Universität im Bereich Sozialpsychologie. "Man spendet aus einer Vielzahl von Motiven: Freude, Grosszügigkeit, Mitleid, Mildtätigkeit, aber auch Gewissensberuhigung, dem Gefühl der Verpflichtung, dem sozialen Vergleich."

Schnabel führt menschliche Grundbedürfnisse an, die der US-amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg formuliert hat: Nähe, Verbundenheit, Geborgenheit, Trost, Spiel, Begegnung. "Diese Grundbedürfnisse sind vielfach unbefriedigt, bei ganz vielen Menschen in unserer Gesellschaft. Es ist eine zunehmend kühle, leistungsorientierte Gesellschaft - und eine, die sich seit etlichen Jahren auch noch in Ober- und Unterschicht spaltet." Eine Art, diesen Grundbedürfnissen zu begegnen, sei es, anderen zu helfen. Glücksforscher Stephan Lermer drückt es anders aus: "Es gibt keine bessere Glücksquelle, als andere Menschen glücklich zu machen."

Gutes tun zum Eigennutz?

Wer also anderen etwas Gutes tut, macht das in gewissem Sinne auch für sich selbst. Gibt es also gar kein uneigennütziges Handeln? "Das mag puristisch betrachtet richtig sein, aber diese Haltung macht unser Leben sehr arm", sagt Lermer. "Das ist ein Geben und Nehmen, so ist unser Leben aufgebaut." Der Glücksforscher plädiert dafür, nicht zu viel zu analysieren: "Die Sichtweisen der Psychologie sollten wir relativieren: Wenn es dem Menschen Freude macht und dem anderen auch Freude macht, dann tu es."

Schnabel verweist auf den Wiener Psychologen Alfred Adler, der als zentrale Lebensmotive die Sicherung des Lebens und das Gemeinschaftsgefühl nennt. "Beide Motive sind ständig in allen Lebenshandlungen gegenwärtig. Das nennt man 'doppelte Dynamik'", führt Schabel aus. Das Gemeinschaftsgefühl bedeutet auch: "Sich freuen am Glück des anderen. Das Motto: Je mehr du Liebe gibst, desto mehr kehrt sie zu dir zurück – und wenn man das erlebt, dann löst sich der Widerspruch auf." Die gesündeste Form des Spendens findet gewissermassen dann statt, wenn Lebenssicherung und Gemeinschaftsgefühl in Balance sind.

Schweizer sind in Geberlaune

Ein Blick auf die Spendenbereitschaft der Schweizer zeigt, wie sehr die Weihnachtszeit das Geben begünstigt. "In den Monaten November und Dezember nehmen wir in den letzten Jahren rund 25 Prozent unserer Spenden ein. Das macht bezogen auf ein Spendenvolumen von durchschnittlich 30 Millionen 7,5 Millionen Franken", erklärt Dominique Schärer von der Caritas.

Auch beim Roten Kreuz zeigt sich ein Anstieg zum Jahresende: 2011 und 2012 haben über 26.000 Personen im Dezember gespendet, 2013 sogar über 31.000. Im Juli und August bleiben es dagegen immer unter 9.000 Personen. Die Ärzte ohne Grenzen erhielten 2011 und 2012 immerhin 69 Prozent mehr Spenden im Dezember. Wobei im restlichen Jahr durchaus auch kräftig gespendet wird – vor allem im Katastrophenfall, zum Beispiel nach dem Taifun Haiyan auf den Philippinen oder anlässlich des Erdbebens in Haiti.

"Sonst schottet man sich ab"

Warum rührt sich gerade zur Weihnachtszeit bei so vielen Leuten die Grosszügigkeit? "Weihnachten ist eine Zeit der Besinnung, der Ruhe und der Orientierung nach innen – oder sollte es zumindest sein", sagt Albrecht Schnabel. "In unserer stark christlich geprägten Gesellschaft ist sie auch die Zeit der Einkehr, des Mitgefühls, der Mildtätigkeit. Zu Weihnachten öffnet man ein bisschen das Herz und lässt es zu, das Leid der anderen zu sehen. Sonst schottet man sich eher ab."

Dazu kommt, dass man gerade an Weihnachten viel Spendenbereitschaft sieht - und dadurch ein gewisses Verhalten lernt. Das betrifft Erwachsene wie Kinder. "Wenn wichtige Bezugspersonen spenden oder schenken, dann trägt mich das. Ziemlich wichtig sind da die Eltern, aber auch andere: Freunde, Bekannte, Leute in den Medien", erklärt Schnabel.

Stephan Lermer fügt hinzu: "Einmal ist es die kalte Jahreszeit, wo einem jeder leid tut, der kein warmes Zuhause hat. Zudem sind wir ganz nahe am Fest der Liebe – und das ist weltweit bei Christen der höchste Feiertag, und wo ich mir denke: Mir geht's gut, und es ist eigentlich nur ein Akt der Humanität und der Fairness, einen Teil davon abzugeben."

Spenden und die Dissonanztheorie

Interessant ist auch die umgekehrte Frage: Warum spenden manche Menschen nicht? Was hält sie ab? Schnabel erklärt das mit der Dissonanztheorie. Ein Zustand der Dissonanz tritt vereinfacht gesagt ein, wenn Wahrnehmungen oder Gedanken auftreten, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen. "Diese Menschen haben dann Rationalisierungen wie: 'Es ist Karma', 'Da kann man nicht helfen'. Die wehren früher ab." Auch Nachrichten über Bettlermafias fallen in dieses Dissonanzverhalten: "Die Abwehr ist interessant und psychologisch passend, dass man solche Universalargumente findet und nutzt, um Leid und Not nicht an sich heran zu lassen."

Ebenfalls mit dieser Theorie lässt erklären, weshalb manche Menschen lieber nach Afrika spenden als in der eigenen Stadt - "weil die Armut daheim möglicherweise mehr Dissonanzen erzeugt: Warum gebe ich nicht nächsten Monat nochmal was oder regelmässig jeden Monat?", erläutert Schnabel.

Lermer sieht eher ein Problem, wenn kein Bezug zu denen aufgebaut werden kann, denen in der Ferne geholfen werden soll. "Menschen sind oft von dieser Abstraktion überfordert. Wir möchten das Persönliche haben." Ein Beispiel sei Ebola: "Man kennt da niemanden. Zahlen sind zu abstrakt. Wenn ich lese, dass da tausend Menschen gestorben sind, dann sagt mir das eigentlich gar nichts." Lermers Lösung ist es, den Menschen zu ermöglichen, sich in andere hineinzuversetzen. "Schon ist das ganze personalisiert, emotionalisiert und auf das Einzelschicksal heruntergebrochen."

Spenden mit Bauchgefühl

Was ist der beste Umgang mit Spenden, wenn man die Orientierung verliert oder sich überfordert fühlt? "Wichtig ist, dass man lernfähig bleibt und auch seine Grenzen respektiert: Wenn es einem zu viel wird oder wenn es einem nicht so gefällt, ändert man halt etwas", sagt Albrecht Schnabel. "Ruhig dem Bauchgefühl und dem Herz trauen: Was mir Freude macht, wo ich gerne schenke und spende, das ist oft auch das Richtige."

Glücksforscher Stephan Lermer sieht Spenden übrigens nicht als rein finanzielle Angelegenheit: "Wir denken bei Spenden immer nur an Franken, an Dollar. Aber wir spenden ja auch hin und wieder ein Lächeln. Wenn Sie jemandem die Tür aufhalten, dann haben Sie einen Akt gespendet, Aufmerksamkeit gespendet, ein Lächeln gespendet. Der andere zehrt vielleicht den ganzen Tag davon." Gerade solche Aufmerksamkeiten mögen im vorweihnachtlichen Trubel oft zu kurz kommen. Dabei sind das die Spenden, die sich am leichtesten umsetzen lassen: "Ich brauche nur ein Herz voller Liebe, die kreative Idee und den Mut, es zu tun."

Diplom-Psychologe Albrecht Schnabel hat sich auf Sozialpsychologie spezialisiert. Er beschäftigt sich mit Coaching und Karrieremanagement. Ein weiterer Aspekt seiner Arbeit ist "Geben und Nehmen auf hohem Niveau". Dr. Stephan Lermer ist Glücksforscher. Er arbeitet vorwiegend als Coach, Trainer und Referent. Lermer ist Autor des Buchs "Psychologie des Glücks. Eine Anleitung".
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