Die Schweiz gehört nicht zu den sonnenreichsten Ländern des Planeten. Und doch ist es auch im Alpenland möglich, komfortabel zu leben und nur Sonnenenergie zu nutzen. Das zeigt die Initiative von Marc Ponzio, der im Waadtland die erste energieautonome Siedlung der Schweiz initiiert hat.
"Wenn wir den Energieverbrauch halbieren und in einer 2.000-Watt-Gesellschaft leben wollen, müssen wir handeln. Ansonsten kommen wir nie auf einen grünen Zweig", sagt Marc Ponzio.
Der Ingenieur, Leiter eines Planungsbüros für sanitäre Anlagen, liess den Worten Taten folgen. Er hat sein Wohnhaus in ein Büro umgebaut und darum herum ein schweizweit einzigartiges Projekt umgesetzt.
Solarzellen der neuesten Generation
Es handelt sich um das Öko-Projekt Eco Thierrens im Kanton Waadt (nahe Lausanne), ein Anfang 2018 fertiggestellter Immobilienkomplex.
Er besteht aus vier Gebäuden mit 15 Wohnungen und zwei Büroräumen. Die Energieversorgung wird ausschliesslich über Solarenergie garantiert.
Zu den Besonderheiten des Projekts gehört die Tatsache, dass ganz auf eine neue Generation von hybriden Solarpaneelen gesetzt wird. Die von einer niederländischen Firma hergestellten Paneele können zugleich Strom und Warmwasser produzieren. Mehr noch. "Dank Parabolspiegeln werden der Lichteinfall gebündelt und die den Sonnenstrahlen ausgesetzten Flächen vergrössert", erklärt Marc Ponzio.
Keine Probleme im Winter
Die Solarenergie kann nicht nur Spülmaschinen, Fernseher und andere Haushaltsgeräte alimentieren, sondern auch für die Stromversorgung von Elektrofahrzeugen genutzt werden.
Für Marco Ponzio ist der Einsatz der Solarenergie für eine nachhaltige Mobilität von entscheidender Bedeutung: "Es war unser Ziel, genügend Energie für das alltägliche Leben sowie unsere Mobilitätsbedürfnisse zu produzieren."
Gemäss Schätzungen wird der Komplex Eco Thierrens dereinst 150.000 Kilowattstunden Elektrizität pro Jahr generieren, während der eigene Bedarf rund 100.000 kWh erreicht. Der Überschuss an elektrischer Energie kann in Batterien gespeichert oder ins Netz eingespeist werden.
"Wir feilen noch an den letzten Feinheiten, aber das System hat auch den Wintertest problemlos bestanden", sagt Marc Ponzio.
Das erzeugte Warmwasser wird in einem riesigen Boiler mit einem Volumen von 85.000 Litern gespeichert. Dieser Speicher befindet sich teilweise unter der Erde, um das Wärmesystem zu alimentieren (Warmwasserversorgung und Heizung). Im Sommer kann die Funktion umgekehrt werden, um die Räume zu kühlen, wie der folgende Film zeigt.
Von den Hippies gelernt
Das System der Energieautonomie könne auf den ersten Blick kompliziert erscheinen, meint Marc Ponzio. In Wirklichkeit sei es jedoch ganz simpel. "Natürlich basiert unser System auf der Informationstechnologie mit Anwendungen, die den Energiekonsum kontrollieren und steuern. Aber ansonsten gibt es eigentlich nichts Revolutionäres."
Ein Beispiel: Für die Toiletten, die Waschmaschinen und Gartensprenganlagen wird gesammeltes Regenwasser eingesetzt. "Das machten schon die Hippies in den 1960er-Jahren. Wir haben dieses alte System nur mit moderner Technologie perfektioniert“, meint der Ingenieur.
Das Geheimnis – und die grösste Herausforderung – besteht darin, den Energiekonsum so weit wie möglich zu reduzieren und eine maximale Energierückgewinnung zu erreichen, um den höchsten Energiestandards zu entsprechen.
Dieser Prozess beginnt schon bei der Wiederverwertung von warmem Abwasser, das etwa beim Duschen entsteht. "Warum sollte man 25 bis 30 Grad warmes Wasser vergeuden? Jedes Grad und jedes Watt zählen!", betont Ponzio. Dabei verschweigt er nicht, dass die Energieautonomie natürlich ihren Preis hat.
Baukosten 20 Prozent über Normalwert
Der Immobilienkomplex Eco Thierrens ist praktisch ausschliesslich mit privaten Mitteln finanziert worden und hat fast acht Millionen Franken gekostet. Damit liegen die Baukosten rund 20 Prozent über einem herkömmlichen Projekt.
Ponzio beklagt, dass die Banken bei der Kreditvergabe keinerlei Unterschied zwischen konventionellen und nachhaltigen Projekten machen. Um das notwendige Kapital für das Projekt aufzutreiben, musste er den holländischen Hersteller der Solarpaneele einspannen. Dieser erwarb Anteile an seiner Aktiengesellschaft. "Ich finde es schon ein wenig paradox, dass ich mich in der Schweiz, einem Land, das für die Energiewende gestimmt hat, an einen ausländischen Investoren wenden muss, um ein nachhaltiges Projekt zu finanzieren", meint Ponzio.
Die Finanzierung war nicht die einzige Schwierigkeit. Ponzio musste sich auch gegen Einsprachen wehren. Eine erste Beschwerde von Nachbarn gegen Eco Thierrens wurde zurückgewiesen.
Eine zweite Einsprache ist hingegen noch hängig und betrifft den Bau von drei Windkraftanlagen mit vier Meter hohen Masten. Die Windräder sollen im Bedarfsfall Engpässe bei der Stromversorgung ausgleichen.
Grund für den Rekurs war nicht die Höhe der Anlage, sondern der Geräuschpegel. "Ich habe Messungen gemacht: 35 Dezibil. Das entspricht dem Rascheln der Blätter", schüttelt Marc Ponzio den Kopf. Gleichwohl ist er fast froh über die Opposition: "Wenn es zu einem Gerichtsentscheid kommt, können wir ein für alle Mal Klarheit schaffen."
Internationale Aufmerksamkeit für das Projekt
Noch bevor Eco Thierrens überhaupt realisiert wurde, zog es bereits internationale Aufmerksamkeit auf sich. So wurde Marc Ponzio 2015 von der Schweizer Botschaft nach Paris eingeladen, um sein Projekt am Klimagipfel der Vereinten Nationalen (COP21) zu präsentieren. Er war erstaunt, denn er stand damals noch ganz am Anfang. "In Paris stand ich dann neben Grössen der Schweizer Innovationsszene wie Solar Impulse von Bertrand Piccard", so Ponzio.
Der 58-jährige Ingenieur ist nicht nur von der Idee getrieben, eine Energieautonomie durch nachhaltige Ressourcen zu erreichen. Der Respekt für die Umwelt und die Umsetzung ethischer Werte sind ihm ebenfalls wichtig.
Deshalb wollte er auch auf die klassischen Lithiumbatterien verzichten, um die an Sonnentagen überschüssig erzielte Energie zu speichern. "Beim Abbau von Lithium in Minen arbeiten auch viele Kinder", hält Marc Ponzio fest. Er hat daher für umweltfreundliche Blei-Kristall-Batterien optiert. "Sie sind zwei Mal grösser als Lithium-Batterien, aber etwas günstiger und nicht brennbar. Vor allem zu 100 Prozent rezyklierbar."
Marc Ponzio hofft auf Nachahmer
Ponzio hofft, künftig Universitäten oder Fachhochschulen für Eco Thierrens begeistern zu können, damit sein Immobilienkomplex eine Forschungseinrichtung unter realen Bedingungen wird. Demnächst werden die Gebäudefassaden mit beweglichen Solarpaneelen ausgestattet.
Er wünscht sich, dass die Grundidee seiner Siedlung möglichst viele Nachahmer findet. In Genf kümmert sich das Team von Marc Ponzio beispielsweise um einen Komplex mit 150 Wohnungen. Dort soll ein öffentliches Schwimmbad mit einem solaren Warmwassersystem beheizt werden.
Mehr noch: Ponzio hofft, dass seine Ideen nicht nur in der Schweiz, sondern auch in weniger entwickelten Ländern umgesetzt werden können: "Wir müssen nicht die Technologie exportieren, sondern die Produktion delokalisieren. Theoretisch sollte jede Gemeinschaft ein solches Projekt in ihrem Quartier verwirklichen können, mit ortsansässigen Arbeitskräften und ortsüblichen Preisen." © swissinfo.ch
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