Die meisten tragen ihr Smartphone immer mit sich, auch wenn sie mit ihrem Hund Gassi gehen. Was wohl wenigen bewusst ist: Die Hundeerziehung leidet darunter massiv. Hunde erhalten dadurch absolute Narrenfreiheit - mit Langzeitfolgen.

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Es gehört zu unserem Alltag dazu: Das Smartphone. Sieht man sich einmal auf einer Hundewiese oder im Park um, stellt man fest, dass viele Hundehalter ihr Smartphone in der Hand haben. Ständig müssen wir "nur kurz unsere E-Mails checken", jemanden zurückrufen, uns die neusten Instagramstorys ansehen oder einfach nur für den Chef erreichbar sein. In einigen Hundeblogs wird über sogenannte "Smombies" (ein Kofferwort aus Smartphone und Zombie) gewettert, doch hat das Telefonieren und ähnliches tatsächlich einen negativen Einfluss auf den Hund?

Vierbeiner machen alleine Party

Jeder Hundehalter wird die Situation kennen: Man macht sich für die grosse Runde mit seinem Hund fertig und nutzt die Zeit draussen, um mal wieder ausgiebig mit einem Freund zu telefonieren oder um mal in Ruhe seine E-Mails zu beantworten. Doch was macht der Hund währenddessen?

Hundeexpertin Ariane Ullrich erklärt gegenüber unserer Redaktion, dass der Spaziergang für viele Hunde das Highlight des Tages ist. Ihre Halter sind den ganzen Tag mit der Arbeit beschäftigt, weshalb der gemeinsame Spaziergang mehr Gewicht hat als nur die Tatsache, dass der Hund rauskommt. Mit dem Spaziergang wird auch die Beziehung zwischen Herrchen oder Frauchen und Hund gepflegt. Gemeinsames Erleben schafft Verbundenheit und der Hund merkt, dass es seinen Besitzer oder seine Besitzerin interessiert, was er da gerade schnüffelt oder entdeckt hat.

Auch für die Erziehung des Hundes ist der gemeinsame Gassigang nicht ohne Bedeutung. Hunde sind soziale Wesen, die oft auf eine Rückmeldung ihres Familienoberhauptes hoffen, erzählt Ullrich. Die Tiere merken es sofort, wenn ihre Besitzer in die "Smartphonefalle" tappen und es ihnen an Aufmerksamkeit fehlt.

Die dadurch entstehenden Alleingänge dürfen Hundehalter nicht verwundern. "Da keine Ansagen oder Rückmeldungen von Herrchen oder Frauchen kommen, macht der Hund eben hundetypische Dinge, die wir Menschen normalerweise vielleicht verhindern würden", erklärt Ullrich. Der Hund rast mit der verlorenen Aufmerksamkeit seines Besitzers beispielsweise einem fremden Ball hinterher oder jagt Eichhörnchen, denn alles andere ist interessanter als das am Handy hängende Herrchen oder Frauchen.

Durch abgelenkte Halter entstehen mögliche Gefahren

Durch die Alleingänge des Hundes beim Spaziergang kann es zu unerwarteten und unschönen Hundebegegnungen kommen, da Herrchen oder Frauchen zu langsam reagieren. Aufgrund der fehlenden Aufmerksamkeit und den dadurch entstehenden Verlust der Kontrolle über den Hund kann es zu brenzligen Situationen mit beispielsweise entgegenkommenden Fahrrädern, Joggern oder spielenden Kindern kommen.

Doch der Kontrollverlust kann sich über den Spaziergang hinaus ziehen: "Der Hund lernt, dass er von seinem Menschen nichts zu erwarten hat und bleibt immer mehr in seiner Hundewelt, wodurch eine Art Teufelskreis des Kontrollverlustes entsteht", warnt die Hundeexpertin.

"Der Mensch bietet seinem Hund eigentlich eine Art Anker der Sicherheit, der dem Hund nun fehlt."

Hunde-Expertin Ariane Ullrich

Negativer Einfluss auf Hund-Herrchen-Beziehung

Nebeneinanderherlaufen ist für den Hund kein gemeinsames Erleben. "Die gemeinsame Zeit bemisst sich in der Zeit, in der ich interaktiv mit dem Hund agiere. Das ist oft nicht bewusst, da man ja mit dem Hund geht. Dem Hund ist das aber nicht bewusst, denn der geht mehr oder weniger allein", erklärt Ullrich. Die Dauer des gemeinsamen Erlebens wird somit immer weniger, das Miteinander fehlt und hat folglich Auswirkungen auf die Beziehung zum Menschen.

Das Miteinander muss jedoch nicht zwingend während des Spazierganges stattfinden. Laut Ullrich ist es vollkommen in Ordnung mal am Handy zu sein, solange man die verlorene Zeit mit dem Vierbeiner wieder nachholt. Weiter sagt sie: "Das gemeinsame Erleben kann auch Zuhause beim Spielen oder Trainieren stattfinden, wichtig sei nur, sich diese Zeit mit dem Hund sicher zu nehmen."

Es entsteht noch eine weitere Konsequenz aus dem "Smombie-Dasein": Läuft der Hund an der Leine voraus und "zieht" seine Person nur hinter sich her, hat der Hund die Kontrolle übernommen. "Der Mensch bietet seinem Hund eigentlich eine Art Anker der Sicherheit, der dem Hund nun fehlt", informiert die Expertin für Hundeerziehung. Dem Tier fehlt es somit an Feedback von seinem abgelenkten Halter, was beispielsweise in Situationen, in denen der Hund Angst bekommt oder sich erschrickt, fatal sein kann. Die verloren gegangene Sicherheit und Kontrolle schadet der Hund-Herrchen bzw. Frauchen-Beziehung.

Hunde merken es sehr genau, ob sie beobachtet werden oder nicht bzw. ob man mit ihnen geht oder neben ihnen. Somit folgen häufig Probleme wie "immer, wenn ich belle oder quietsche während mein Herrchen oder Frauchen telefoniert, beschäftigt es sich mit mir. Es kann sein, dass mein Mensch mich dann zwar nur anmeckert, aber die Aufmerksamkeit ist gegeben. Dieses nach Aufmerksamkeit heischende Verhalten zeigen mittlerweile viele Hunde", erzählt uns die Expertin für Verhaltensforschung.

Über die Person: Ariane Ullrich ist Diplombiologin mit Spezialisierung in Verhaltensforschung. Ausserdem ist sie Mitglied und Referentin des BHV (Berufsverband der Hundeerzieher und Verhaltensberater e.V.), Redakteurin der Verbandszeitschrift "Der Familienhund" und sie betreibt den Buchverlag MenschHund!, der Ratgeber zum Hundetraining herausgibt.
Dieser zuletzt im Januar 2022 veröffentlichte Artikel wurde überarbeitet und aktualisiert.
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