Nürnberg (dpa/tmn) - Männliche Erzieher, Sozialassistenten oder Hauswirtschafter trifft man nach wie vor eher selten an. All diese Berufe werden typischerweise mit Frauen assoziiert.
Dabei sollte es bei der Berufswahl ja eigentlich nicht darum gehen, einer Geschlechterrolle zu entsprechen, sondern einen Job zu finden, der den eigenen Interessen entspricht und Freude bereitet. Was wichtig ist, wenn Jugendliche ohne Rollenklischees im Kopf ihren Karriereweg wählen sollen.
Männerberufe, Frauenberufe, was soll das eigentlich?
Geht man rein nach Schulnoten und Bildungsabschlüssen, würde man es nicht unbedingt vermuten, doch manche Klischees stimmen leider: "Unsere Auswertung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zeigt, dass Frauen bei weitem häufiger in den Bereichen Gesundheits- und Sozialwesen, Erziehung, Büro- und Verwaltungsberufe oder auch Verkaufsberufe tätig sind", sagt Christian Ludwig, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit.
Männer dagegen seien eher in der Produktion, in Verkehrs- und Logistikberufen sowie im Hoch- und Tiefbau tätig. An der Berufswahl der Geschlechter lassen sich also noch immer deutliche Präferenzen ablesen.
Warum lassen wir uns von Stereotypen so beeinflussen?
"Unsere Geschlechterklischees sind immer noch in der Zweigeschlechtlichkeit organisiert. Dabei wird Weiblichkeit mit Gefühlen, Empathie und sozialer Kompetenz verbunden, Männlichkeit hingegen mit Stärke, Rationalität und technischer Kompetenz", sagt Juliana Gross. Sie ist Fachreferentin der Initiative Klischeefrei am Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit.
Die beiden Pole würden dann als "Ausschlussdefinition" gesehen: Was männlich ist, kann nicht auch weiblich sein und umgekehrt. Viele Jugendliche können laut Gross zwar persönlich nichts mehr mit diesen starren Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit anfangen. Trotzdem wirken diese im Hintergrund als gesellschaftliches Wissen nach und beeinflussen sie.
"Menschen die sich nicht den Geschlechternormen entsprechend verhalten, werden oft kritisch beäugt", so Gross. Es gelte ins Bewusstsein zu rücken, dass Fürsorge und Empathie keine rein weiblichen Eigenschaften sind. "Es sind menschliche Eigenschaften."
Neben Rollenerwartungen gibt es aber auch noch einige weitere Faktoren, die junge Männer von einer Ausbildung in sogenannten SAGE-Berufen (kurz für: Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Erziehung und Bildung) abhalten. Viele dieser Berufe sind gesellschaftlich weniger anerkannt und werden schlechter bezahlt.
"Auch wenn das Gehalt für viele nicht der entscheidende Faktor bei der Berufswahl ist, kommen junge Männer eher in die Situation, sich deswegen zusätzlich rechtfertigen zu müssen, da die Vorstellung des Mannes als Haupternährer der Familie noch immer weit verbreitet ist", sagt Juliana Gross.
Welche Unterstützung brauchen junge Männer bei der Entscheidung für einen SAGE-Beruf?
"Interessiert sich ein Junge oder junger Mann für eine SAGE-Ausbildung ist es wichtig, dies nicht zu verbesondern oder als vermeintlich geschlechtsuntypisch herauszustellen", rät Juliana Gross. Die Berufswahl sei etwas Persönliches. "Es sollte normal sein, dass ein Mann auch als Erzieher oder Pfleger arbeitet."
Eine wichtige Rolle spielen auch Angebote wie der Boys‘ Day, der Jungs einen Einblick in Frauen-dominierte Berufe geben soll. Damit soll über Geschlechterklischees hinweg das Berufswahlspektrum erweitert werden.
Oft sei den Jugendlichen und ihren Eltern gar nicht bewusst, was es alles für Möglichkeiten gibt, so Christian Ludwig. Allerdings gilt: "Diese Aktionstage bringen besonders dann etwas, wenn sie auch in der Schule vor- und nachbereitet werden."
Und wie sieht es dann in der Berufspraxis aus?
"Männer sind in Frauenberufen meistens herzlich willkommen", sagt Juliana Gross, "nicht zuletzt auch wegen des akuten Fachkräftemangels in vielen einseitig von Männern oder Frauen besetzten Berufen."
Tatsächlich würden im Laufe der Karriere die Geschlechterklischees auch zum Vorteil der Männer arbeiten: "Männer gelangen auch in den typischen Frauenberufen vergleichsweise schnell in Führungspositionen, weil Führungsstärke besonders mit Männern assoziiert wird", sagt Gross.
In männlichen Erwerbsbiografien kommen zudem immer noch kaum Teilzeitarbeit oder Auszeiten für die Betreuung von Kindern, Alten und Kranken vor, bei Frauen dagegen umso mehr. Laut Juliana Gross müssen wir daher nicht nur unsere Vorstellung von Führung überdenken, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Auch die Fürsorge und Pflege von Angehörigen müssen Männer und Frauen gleichmässiger unter sich aufteilen.
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