Robert Enkes Suizid hat das Thema Depression ins Licht der Öffentlichkeit gebracht … ein Leiden, das als ernsthafte Erkrankung oft unterschätzt wird. Doch wer ist gefährdet? Gibt es Berufe, in denen das Krankheitsbild häufiger vorkommt als in anderen? Und wenn ja: Welche Branchen sind besonders betroffen?
Eine Übersichtsstudie der Bundespsychotherapeutenkammer hat die Gesundheitsreporte der gesetzlichen Krankenkassen daraufhin ausgewertet. Ihr Fazit: "Psychische Erkrankungen treten gehäuft in Dienstleistungsbranchen auf. Die Krankenkassen verzeichnen bei Arbeitnehmern im Sozial- und Gesundheitswesen, in der Telekommunikation und in öffentlichen Verwaltungen überdurchschnittlich viele Fehltage aufgrund psychischer Störungen", berichtet Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammen. Unter diesen Erkrankungen sei die häufigste die Depression, gefolgt von Anpassungsstörungen und Alkoholabhängigkeiten.
Unter den belasteten Berufsgruppen fallen Call-Center-Mitarbeiter etwa doppelt so häufig aufgrund psychischer Erkrankungen aus wie der Durchschnitt. Die Gründe dafür sieht Richter im Zeitdruck und der hohen Komplexität ihrer Aufgaben.
Zudem haben sie nur wenig Möglichkeiten, Einfluss auf ihre Arbeit zu nehmen, und das bei gleichzeitig hoher mentaler Belastung. Schliesslich müssen sie sich im Minutentakt etwa mit unzufriedenen Kunden auseinandersetzen. "Die Erfahrung, nichts ändern zu können und den von aussen gesetzten Anforderungen nur schwer gerecht werden können, macht krank", so Richter. Dagegen bleiben diejenigen eher psychisch gesund, die ihre Tätigkeitsabläufe beeinflussen können.
Übrigens gehören auch Verkäufer zu denen, die länger ausfallen. Überdurchschnittlich viele Fehltage verzeichnen die Reporte auch bei Wächtern, Aufsehern, Kontrolleuren oder Mitarbeitern im Erziehungs- und Unterrichtswesen sowie im Sozial- und Pflegebereich. Der Gesundheitsreport der BARMER 2009 zeigt etwa, dass Krankenpfleger und Sozialarbeiter aufgrund einer Depression länger krank geschrieben werden als Bürokräfte und Bankfachleute.
In ihrem Gesundheitsreport 2009 berichtet die Techniker Krankenkasse zudem von erhöhten Zahlen in der Zeitarbeitsbranche.
Richters mögliche Erklärung: "Dahinter können Abstiegssorgen und Arbeitsplatzunsicherheiten stehen.
Davon sind Menschen betroffen, die vorher einen sicheren Job hatten, dann aber entlassen wurden und nun in der Zeitarbeitsbranche die gleiche Arbeit unter schlechteren Bedingungen leisten müssen." Sie erlebten eine sogenannte "Gratifikationskrise": Eine deutliche Diskrepanz zwischen geleisteter Arbeit und deren Anerkennung durch angemessene Bezahlung oder Lob.
Das seien auch in anderen Branchen Gründe für Depressionen. Richter betont jedoch auch: "Zeitarbeit an sich wirkt aber sich nicht psychisch negativ aus. Nach langer Arbeitslosigkeit kann sie einen Arbeitnehmer sogar psychisch stabilisieren." Unterdurchschnittliche Fehlzeiten verzeichnen die ausgewerteten Krankenkassenreporte dagegen in klassischen Arbeiterbranchen.
So liegen im Bauwesen und in der Land- und Forstwirtschaft die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen durchgängig um 35 bis 50 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Vor dem Hintergrund der Studie fordert Richter, Überforderungen der Mitarbeiter - besonders im Dienstleistungssektor - zu vermeiden und dem Einzelnen mehr Kontrolle über seine Arbeitsabläufe einzuräumen. Das sei Aufgabe der betrieblichen Gesundheitsförderung. Denn schliesslich profitiere auch das Unternehmen, wenn es weniger psychische Erkrankungen und damit weniger Fehlzeiten gäbe.
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