- Seit vielen Jahren nehmen hunderttausende Studierende an dem Austauschprogramm Erasmus teil.
- Doch aufgrund des Austrittes Grossbritanniens aus der EU wird dieser Austausch dort nun nicht mehr möglich sein.
- Was dies für Studierende bedeutet.
Erasmus bedeutet zahlreichen Studierenden sehr viel. Für die meisten ist der Austausch in ein anderes Land eine Erfahrung in ihrem Studium, die sie nicht missen möchten.
So erging es auch Max Hogrebe, 29, aus Münster. Eigentlich hätte er gar keine grossen Erwartungen an Erasmus gehabt, erzählt er. Vor fünf Jahren entschied sich der Medizin-Student, ein Erasmus-Semester in Wales zu verbringen. "Ich bin angefixt worden, das war eine enorm wichtige Zeit für mich", sagt er heute.
"Ich würde fast sagen, dass das jeder gemacht haben muss." Auch die Britin Isabella Jewell, die noch vor wenigen Monaten in Frankreich und Italien studierte, gerät ins Schwärmen, wenn sie an ihre Erasmus-Zeit denkt. "Das war so eine grossartige Möglichkeit", sagt die 21-Jährige, die normalerweise in Manchester Französisch und Italienisch studiert. So gut wie im Land selbst hätte sie die Sprachen niemals an der Uni lernen können.
Kein Erasmus mehr in Grossbritannien möglich
Erfahrungen, wie sie durch das Austauschprogramm der Europäischen Union, das mittlerweile Erasmus+ heisst und weit über den reinen Uni-Austausch hinausgeht, jedes Jahr Hunderttausende machen. Auch Zehntausende Briten, die in EU-Ländern studieren - und noch mehr junge Europäerinnen und Europäer, für die Grossbritannien traditionell zu den Lieblingsunis gehörte - den berühmten, altehrwürdigen Unis, aber auch der beliebten britischen Kultur sei Dank.
Das war einmal. Mit dem Brexit ist Schluss. Zwar gibt es noch eine Übergangsphase, aber klar ist: Grossbritannien ist raus aus dem Erasmus-Programm. Noch vor rund einem Jahr hatte Premierminister
"Turing-Programm" statt Erasmus - allerdings nur für Briten
Im Ausland studieren soll die künftige britische Generation trotzdem noch dürfen. Das "Turing-Programm" soll Erasmus ersetzen, benannt nach dem legendären britischen Entschlüssler des Enigma-Codes, Alan Turing, der den Briten im Zweiten Weltkrieg das Mitlesen verschlüsselter Funk-Codes ermöglichte. Der entscheidende Unterschied des neuen Programms: Turing funktioniert nur in die eine Richtung.
"Studenten werden die Möglichkeit haben, nicht nur an europäischen Universitäten zu studieren, sondern an den besten in der ganzen Welt", kündigte Johnson an. Rund 100 Millionen Pfund (rund 110 Mio. Euro) sollen im ersten Jahr in das Programm fliessen. Britische Studierende können eine Förderung beantragen - für solche aus der EU gibt es keinen Penny. "Es ist damit kein gleichwertiger Ersatz", sagt der Geograf David Simon von der Royal Holloway University of London. "Der gegenseitige Austausch bei Erasmus war ein Ausdruck des europäischen Spirits." Insofern sei es wenig verwunderlich, dass die Regierung sich für eine einseitigere Variante entschieden habe.
Austausch wurde zu Politik
"Ich vermute, dass eine ideologische Vermutung dahinter steckt, dass Erasmus sehr pro-europäische junge Menschen hervorbringt, was sicherlich auch stimmt", mutmasst der Politikprofessor James Sloam von der Royal Holloway University of London. Eine Haltung, die Grossbritannien zwar auch künftig nützen könnte, aber möglicherweise nach Ansicht konservativer Brexiteers in der Regierung nicht unbedingt zum frischgebackenen Brexit-Land passt. "Es wird eine beträchtliche Phase der Unsicherheit geben und verlorene Möglichkeiten für eine ganze Generation von Studenten", hält der Historiker Richard Toye von der Universität Exeter fest. Das neue Programm klinge für ihn zunächst, als sei es auf der Rückseite eines Briefumschlags entworfen worden.
Ausserdem vermutet Fremdsprachen-Studentin Isabella Jewell , dass es einen grösseren Wettstreit um die begrenzten Plätze des Programms geben wird und dass insbesondere benachteiligte Bewerber das Nachsehen haben könnten. "Es wird die zurücklassen, die es besonders verdient haben", denkt die 21-Jährige. "Es zeigt einfach, dass unsere Regierung überhaupt nicht über Studenten nachdenkt." Insbesondere für junge Menschen wie sie, die fremde Sprachen studieren, sei es dringend nötig, im Ausland zu leben und die Sprachen auch im Alltagsleben anzuwenden. "Es gibt ohnehin schon ein grosses Problem mit Sprachlehrern in Grossbritannien", meint sie.
Schottland könnte dem Programm erhalten bleiben
Die Zahl der Teilnehmer aus Europa, die nach Grossbritannien zum Studieren kamen, lag schon immer deutlich höher als umgekehrt: 2019 gingen gut 18.000 Briten zum Studieren oder für Praktika mit Erasmus+ ins EU-Ausland, während mehr als 30.000 nach Grossbritannien kamen.
Wie so oft sieht man im Norden des Vereinigten Königreichs die Dinge ein wenig anders als im Londoner Regierungsviertel: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bezeichnete den britischen Ausstieg aus Erasmus als "kulturellen Vandalismus". Wenn es nach ihr ginge, sei Schottland schnell wieder dabei im Erasmus-Programm. Und auch deutsche Universitäten hoffen, dass mit dem europafreundlichen Landesteil schneller wieder ein enger Austausch stattfinden könnte als mit dem Rest des Königreichs.
Max Hogrebe, der sich selbst als "UK-affin" bezeichnet, bedauert den Ausstieg Grossbritanniens. Erasmus-Erfahrungen könne man als europäischer Student zum Glück auch weiterhin machen, nur eben woanders, meint er. "Ein grosser Anteil von dem, was Erasmus ausmacht, bleibt für andere Staaten erhalten." Britische Studierende können das nicht behaupten - für sie fallen direkt 27 Erasmus-Ziele weg. Es bleibt das Hoffen auf Turing. (spot/dpa)
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