Berlin - Nach der Einigung im Vermittlungsausschuss soll das Bürgergeld zum 1. Januar starten. Die Grundsicherung für Arbeitslose wird etwa 50 Euro höher sein als die bisherigen Hartz-IV-Leistungen. Angeblich lohne es sich dann nicht mehr, überhaupt arbeiten zu gehen. Warum das eine verkürzte und irreführende Darstellung ist.

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Behauptung: Das Bürgergeld stellt mitunter Arbeitslose finanziell besser als Arbeitnehmer in Vollzeit.

Bewertung: Ein Vergleich von Bürgergeld allein mit dem Nettolohn einzelner Geringverdiener ist häufig irreführend. Denn finanzielle Ansprüche für Niedriglohnbezieher werden dabei nicht berücksichtigt.

Fakten: Mit diversen Beispielrechnungen wird in sozialen Medien argumentiert: Menschen, die arbeitslos sind und Bürgergeld empfangen, hätten künftig monatlich genauso viel Geld in der Tasche wie manch Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin. Teils wird sogar behauptet, Arbeitslose hätten Hunderte Euro mehr.

Manch einer rechnet etwa vor: Ein Alleinstehender, der ab 2023 Bürgergeld empfange, habe am Ende vermeintlich genauso viel Geld zum Leben übrig wie ein vergleichbarer Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von etwa 2500 Euro. Denn anders als der Arbeitslose bekomme der Arbeitnehmer weder Wohnung noch Heizkosten vom Staat finanziert, sondern müsse alles aus eigener Tasche bezahlen, so die These.

Rechenbeispiele vielfach unvollständig

Häufig werden bei solchen Beispielen staatliche Leistungen verschwiegen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor zustehen: etwa Wohngeld, Kinderzuschläge, Unterhaltsleistungen oder Freibeträge - also zusätzliches Geld, das nur Erwerbstätige beantragen können. Durch die Unterschlagung dieser Zuschüsse fallen die Ergebnisse solcher Rechnungen für Beschäftigte im Niedriglohnsektor teils um mehrere Hundert Euro zu niedrig aus.

Die Differenz zwischen Bürgergeld und Gehalt zu berechnen, ist nicht so simpel, wie es häufig suggeriert wird. Im Gegenteil: Berechnungen von Bedarfen auch bei Niedriglohnempfängern sind hochkomplex - und vor allem individuell. Ob staatliche Leistungen gezahlt werden, hängt von konkreten Faktoren wie Grösse und Kosten der Wohnung, Wohnort oder Anzahl der Familienmitglieder ab.

Grundsätzlich haben in Deutschland Berufstätige mehr Geld zur Verfügung als künftige Bürgergeld-Empfänger. Zudem hat Arbeitslosigkeit auch im Alter Folgen. Beim Bürgergeld werden keine Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt. Jeder Monat in der Grundsicherung schmälert also künftige Rentenzahlungen.

Welche Zuschüsse gibt es für die unteren Lohngruppen?

Menschen mit geringen Einkommen können verschiedene Zuwendungen erhalten - besonders Familien. Das wären zum Beispiel:

Wohngeld: Dessen Höhe hängt vom Netto-Einkommen des Haushalts, der Zahl der Haushaltsangehörigen und den Mietkosten ab. Der Betrag kann bei geringen Gehältern in einem Drei-Personen-Haushalt einer Alleinerziehenden durchaus mehrere Hundert Euro ausmachen. Ab Januar 2023 soll sich das Wohngeld nach Plänen der Ampel-Koalition um durchschnittlich rund 190 Euro pro Monat erhöhen und der Kreis der Berechtigten von heute rund 600.000 auf zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger erweitert werden.

Kinderzuschlag: Über die Höhe dieser Zuwendung wird individuell entschieden je nach Einkommen, Wohnkosten, Grösse der Familie und dem Alter der Kinder. Voraussetzung ist, dass eine Alleinerziehende oder ein Alleinerziehender ein Bruttoeinkommen von mindestens 600 Euro und Paare von mindestens 900 Euro haben. Beispiel: Eine Mutter mit zwei Kindern bekommt bei einem Bruttogehalt von bis zu 2100 Euro und einer Warmmiete von etwa 790 Euro bis zu 229 Euro monatlich pro Kind.

Unterhaltsvorschuss: Diese staatliche Leistung für Kinder von erwerbstätigen Alleinerziehenden wird gezahlt, wenn das andere Elternteil nicht regelmässig oder in voller Höhe Unterhalt für seine Kinder beisteuert. Der Vorschuss beträgt derzeit für Kinder zwischen 6 und 11 Jahren monatlich bis zu 236 Euro, bei älteren sogar bis zu 314 Euro. Die Höhe richtet sich nach dem gesetzlichen Mindestunterhalt, der für die jeweilige Altersstufe festgelegt ist.

Strom müssen auch Bürgergeld-Empfänger selbst zahlen

Wenn man bei einem Bürgergeld-Empfänger mit null Euro Energiekosten rechnet, ist das falsch. Strom muss nämlich aus dem zur Verfügung gestellten Regelsatz finanziert werden.

Die Kosten für Wohnen und einen angemessenen Verbrauch bei der Heizung werden tatsächlich vom Amt übernommen. Gerade das sorgt angesichts steigender Mieten sowie Gas- und Ölpreise für viel Unmut aufseiten der Arbeitnehmer.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, etwa lenkt daher den Blick auf die Löhne. Ein gewisser Abstand zwischen Erwerbseinkommen und Bürgergeld müsse gehalten werden, erklärte sie im Deutschlandfunk. "In Branchen, wo dies nicht gegeben ist, muss dringend nachgebessert werden." Soll heissen: Nicht das Bürgergeld ist ihrer Ansicht nach zu hoch, sondern die Gehälter teils zu niedrig.  © dpa

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