Berlin (dpa) - Eigentlich geht es nur um 1,55 Euro - aber es geht auch ums Prinzip und um ein grosses Gerechtigkeitsversprechen der Regierung. Das Bundeskabinett hat nun grünes Licht für die geplante Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Oktober von dann 10,45 auf 12 Euro gegeben. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wie ist die Situation beim Mindestlohn in Deutschland?
2015 wurde die gesetzliche Lohnuntergrenze mit 8,50 Euro brutto pro Stunde eingeführt. Nach dem Mindestlohngesetz beschliesst die Mindestlohnkommission, in der Gewerkschaften und Arbeitgeber vertreten sind, die Mindestlohnentwicklung. Per Rechtsverordnung werden die Schritte dann verbindlich. So folgten nach 2015 mehrere Stufen: 8,84 Euro, 9,19 Euro, 9,35 Euro, 9,50 Euro, 9,60 Euro und seit 1. Januar 9,82 Euro. Zum 1. Juli 2022 ist eine Anpassung auf 10,45 Euro geplant. Neben dem gesetzlichen Mindestlohn, der grundsätzlich für alle Branchen und Regionen gilt, existieren branchenspezifische Mindestlöhne.
Warum sollen nun 12 Euro kommen?
Der Gesetzentwurf von Arbeitsminister Heil führt an, dass 2015 bewusst ein "vorsichtiger Einstieg" gewählt worden sei und der Mindestlohn auch im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich gering ausfalle. Vor allem bezieht er sich auf das Grundgesetz: Zu den elementaren Gerechtigkeitsanforderungen zählt demnach, dass man mit einer Vollzeitbeschäftigung seinen Lebensunterhalt bestreiten können solle, ohne auf Sozialleistungen angewiesen zu sein. Auch im Niedriglohnbereich müsse eine Vollzeitbeschäftigung zudem zur "angemessenen Teilhabe" am gesellschaftlichen Leben befähigen. Steigende Lebenshaltungs- und Wohnkosten stellten in Frage, ob der geltende Mindestlohn dafür geeignet sei. Für eine armutsvermeidende Altersrente reiche eine Vollzeitstelle zum Mindestlohn auch nicht.
Warum soll das bisherige Erhöhungsverfahren umgangen werden?
Gewerkschafter wie der ehemalige Verdi-Chef Frank Bsirske kritisieren schon seit Jahren, der Mindestlohn in Deutschland sei vom Start weg zu niedrig gewesen, "um davon auskömmlich zu leben" - und fordern einen einmaligen Erhöhungsschritt über die üblichen Stufen hinaus. Denn die Mindestlohnkommission ist nicht frei in ihren Empfehlungen, sondern orientiert sich an der vorangegangenen Tarifentwicklung in Deutschland.
Wer soll von 12 Euro Mindestlohn profitieren?
6,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten laut Gesetzentwurf einen Stundenlohn unter 12 Euro. Rund 111.000 sind demnach sogar trotz Vollzeitbeschäftigung auf Grundsicherung angewiesen. Mit den 12 Euro werde der Anspruch erfüllt, dass man mit seiner Arbeit auf 60 Prozent des mittleren Bruttolohns komme. Arbeitnehmer seien dann in der Regel auch bessergestellt als Bezieher staatlicher Leistungen.
Wie soll es mit dem Mindestlohn weitergehen?
Über künftige Anpassungen soll laut den Regierungsplänen weiter die Mindestlohnkommission entscheiden. Ihre nächste Entscheidung soll es zum 30. Juni 2023 geben - für die Erhöhungsstufe 1. Januar 2024.
Warum sind die Arbeitgeber unzufrieden mit dem Gesetzentwurf?
Ihnen geht es nach eigenen Angaben ums Prinzip. So hat der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgebervereinigung BDA, Steffen Kampeter, Anfang der Woche gesagt, "dass ein Staatslohn ein Angriff auf die Grundprinzipien unserer Wirtschafts- und Arbeitsordnung ist". Bereits zum Jahreswechsel hatte BDA-Präsident Rainer Dulger gesagt: "So wie es im Moment von der Bundesregierung beabsichtigt wird, halte ich es für eine grobe Verletzung der Tarifautonomie."
Was kritisieren und fordern die Arbeitgeber konkret?
Die BDA zweifelt an, dass die Mindestlohnkommission nach der Erhöhung wirklich wieder unabhängig weitermachen kann. Entsprechend hat der Staatsrechtler Frank Schorkopf, der im Auftrag der BDA ein Gutachten dazu geschrieben hat, Rückwirkungen auf die künftige Mindestlohnfindung durch die Kommission prognostiziert. Die Arbeitgeber in der Kommission wüssten nun, dass "die grosse Hand von oben" kommen könne, also vom Gesetzgeber, und das Verfahren in der Mindestlohnkommission ausgehebelt werden könne. Konkret fordern die Arbeitgeber ein späteres Inkrafttreten der geplanten Erhöhung, Übergangsfristen sowie Respekt vor bestehenden Tarifverträgen.
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