In der Schweiz verdienen Frauen noch immer rund ein Fünftel weniger als Männer. Mehr Transparenz bei den Löhnen nach schwedischem Vorbild könnte die Kluft verringern. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer.

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Zwölftausend Menschen versammelten sich Anfang März in Bern, um für Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern zu demonstrieren. Anlass war der Equal Pay Day am 9. März, der den Stichtag markiert, bis zu dem die Frauen über das Jahresende hinaus arbeiten müssen, um mit dem durchschnittlichen Jahreslohn der Männer gleichzuziehen.

Nach wie vor verdienen Frauen in der Schweiz 18,9 Prozent weniger als Männer. Darin enthalten sind auch Lohnunterschiede, die sich aufgrund von Schwangerschaft, Kindererziehung oder Teilzeitarbeit ergeben. Doch selbst nach Berücksichtigung diese sogenannten objektiven Faktoren bleibt eine Differenz. Laut einer Studie des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) sind etwa 40 Prozent des Lohnunterschieds (also 7,5 Prozent) zwischen Männern und Frauen nicht durch diese Faktoren erklärbar. Auch wenn die Zahlen auseinander gehen und umstritten ist, wie die Berechnung genau erfolgt, so kommen doch die meisten Studien zur Schlussfolgerung: selbst bei gleicher Arbeit und Qualifikation gibt es Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern. Besonders ersichtlich wird dies bei Managerposten, denn je grösser der Verantwortungsbereich, desto grösser die Lohnunterschiede.

Gleiche Arbeit bedeutet nicht gleiches Gehalt

Dagegen unternommen wird nach Meinung des Verbands Business and Professional Women (BPW), der auch den Equal Pay Day in der Schweiz organisiert, viel zu wenig. Dabei gäbe es zahlreiche Möglichkeiten. Durch mehr Transparenz etwa würden Unternehmen mehr unter Druck geraten, zumindest gleiche Arbeit und Qualifikation entsprechend zu entlohnen. Schweden nimmt hier eine Vorreiterrolle ein, denn der Staat legt zu versteuerndes Einkommen und Vermögen seiner Bürger offen. Jede Schwedin kann so in Erfahrung bringen, was ihre männlichen Kollegen verdienen. Für die nächste Gehaltsverhandlung, kann das durchaus hilfreich sein. Zudem müssen Unternehmen in Schweden alle drei Jahre einer staatlichen Behörde eine Auswertung der von ihnen gezahlten Löhne vorlegen. Für Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern bedarf es einer Begründung.

Die Voraussetzungen für gleiche Löhne scheinen in Schweden also deutlich besser zu sein als in der Schweiz. Umso enttäuschender ist das Ergebnis - auch in Schweden gibt es zwischen Frauen und Männern einen Lohnunterschied von 15 Prozent, 6 Prozent wenn man die objektiven Faktoren berücksichtigt. Aufgrund der umstrittenen Berechnungsformeln mit unterschiedlichen Ergebnissen, lässt sich noch nicht einmal sagen, ob Schweden damit besser dasteht als die Schweiz.

Warum greift die Transparenzpolitik nicht?

Doch warum greift die Transparenzpolitik nicht? Zum einen bedeutet mehr Transparenz nicht auch mehr Gleichheit. Obwohl die Schweden wissen, wie viel ihre Spitzenmanager verdienen, sind deren Gehälter nicht geringer als in der Schweiz. Zum anderen fehlen auch in Schweden wirkungsvolle Instrumente, um die Gehaltsunterschiede zu überwinden. Unternehmen müssen zwar ungleiche Entlohnung erklären, doch das war es dann auch schon. Egal ob die Gründe gerechtfertigt sind oder nicht, für Sanktionen fehlt der zuständigen Behörde das Mandat. Das ist in etwa so, als würde zwar jeder Bürger eine Steuererklärung abgeben müssen, bei Steuervergehen das Finanzamt aber nichts unternehmen können.

Doch das eigentliche Problem steckt in der schwammigen Interpretation der objektiven Faktoren und vor allem den daraus gezogenen Konsequenzen für die Löhne, deren Rechtfertigungen in erster Linie ökonomisch sind. Ist es gerechtfertigt, dass eine Frau nach einer Schwangerschaft und der anschliessenden Kinderbetreuung bei der nächsten Gehaltserhöhung leer ausgeht? Oder dass junge Frauen bei Beförderungen übergangen werden, weil davon ausgegangen wird, dass sie jederzeit schwanger werden könnten? Ist man ein Unsicherheitsfaktor für den Arbeitnehmer, weil man diejenige ist, die beim kranken Kind zu Hause bleibt und nicht der Partner? Die Antworten darauf sind vielschichtig, ein knappes Ja oder Nein wird den damit verbundenen Konsequenzen oft nicht gerecht. Denn dahinter stecken tiefliegende Wertefragen, die nicht nur zwischen Arbeit und Kindererziehung, sondern auch zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen geklärt werden müssen. Noch immer versucht der Staat sich dieser Bewertung zu entziehen, in dem man den freien Wettbewerb entscheiden lässt. Es wird sich zeigen, ob sich die Gesellschaft mit dieser Laissez-faire-Politik auch in Zukunft noch zufrieden gibt. Die Unterstützerinnen und Unterstützer des Equal Pay Day tun es jedenfalls nicht.

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