Mit Kollegen verbringen viele von uns sogar mehr Zeit als mit der eigenen Familie. Umso schlimmer, wenn am Arbeitsplatz Konflikte brodeln, das Verhältnis angespannt oder sogar zerrüttet ist. Ein Coach erläutert, womit solche Probleme oft beginnen und was sich dagegen tun lässt.

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"Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste was es gibt auf der Welt." Da steckt zweifellos viel Wahrheit drin. Und auch gute Kollegen hätten Loblieder verdient: Teams, mit denen man auskommt, auf die man sich verlassen kann und womöglich sogar jeden Tag freut, mit denen die Zusammenarbeit einfach läuft.

"Freunde und Freundinnen kann man sich aussuchen und ihnen auch mal aus dem Weg gehen. Das ist bei Kollegen anders", sagt der Coach und Berater Max Meisinger. "Konflikte im Büro können den Arbeitsalltag über Wochen und Monate hinweg überschatten, schlaflose Nächte bereiten - ja, krank machen."

Er nennt drei Quellen für Probleme unter Kollegen: "Erstens: die Haltung - wie stehe ich zu meinen Kollegen und was erwarte ich von ihnen? Zweitens: die Empathie - wie gelingt es mir, mich in Kollegen hineinzuversetzen, wenn es einmal schwierig wird? Und drittens: die Kommunikation - wie gehe ich mit Unstimmigkeiten um und wie spreche ich sie an?"

Oft problematisch: Zu viel Nähe

Zur Haltung sagt Meisinger, dass viele die Kollegen - ohne gross darüber nachzudenken - wie Freunde behandeln: "Nur wenige machen sich bewusst, worin die Besonderheit von Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen besteht: Man verbringt auch dann gezwungenermassen sehr viel Zeit miteinander, wenn man - vielleicht nach einer ersten Begeisterung - Dinge am anderen entdeckt, die einen zutiefst stören."

Gleichzeitig befänden Kollegen sich, auch wenn sie es nicht immer wahrhaben wollen, in einer Art Wettbewerb: Wer hat die beste Leistung erbracht, wer bekommt die Beförderung, wer geniesst das grösste Vertrauen des Chefs?

"Offen auf andere zuzugehen, fördert den Teamgeist und zeichnet uns Menschen als soziale Wesen aus", betont Meisinger. Doch er empfiehlt: "Wer eine langfristig gute Zusammenarbeit anstrebt, sollte sich die Frage stellen: Wie viel möchte ich von mir preisgeben? Ist es wirklich eine gute Idee, Freundschaft und Kollegenschaft zu verbinden?" Zwar gebe es jede Menge gute Beispiele, wo dies glückt. Doch könne eine enttäuschte Freundschaft im Büro zum schlimmen Konfliktherd werden, der viele Schmerzen bereitet.

Wenn Freundschaften und Liebeleien zwischen Kollegen scheitern

Für romantische Beziehungen gilt das ganz besonders: "Der Arbeitsplatz ist nach wie vor eine wichtige Partnerbörse. Doch den romantischen Pfad mit Kollegen sollte man mit Vorsicht einschlagen. Scheitert die Liebelei, leidet jeder Einzelne und womöglich das ganze Team sehr lange darunter", warnt Meisinger.

Stand man sich besonders nahe und es kommt zu Problemen, kann man im Arbeitsalltag schwer auf Distanz gehen. "Jeder Konflikt ist hoch emotional, an eine normale Zusammenarbeit kaum noch zu denken. Auch weiss der andere vielleicht Bescheid über meine familiären oder finanziellen Probleme, meine Krankheiten oder seelischen Abgründe - das würde man dann am liebsten rückgängig machen. Vor allem, wenn dieser Kollege eines Tages vielleicht sogar mein Chef wird."

Gegenüber Kollegen sollte man immer den "Schieberegler zwischen Nähe und Distanz" im Griff behalten, rät Meisinger. Er zitiert einen Spruch dazu: "'Wer immer offen ist, ist nicht ganz dicht.' Das mag radikal klingen, aber gerade für das Arbeitsumfeld gilt es unbedingt."

Eskaliere die Konfliktsituation, sollten zerstrittene Kolleginnen und Kollegen frühzeitig das Gespräch miteinander suchen, auch wenn es schwerfällt – oder den Chef beziehungsweise die Chefin um Unterstützung bitten. Die nächste Stufe sei dann das Hinzuziehen eines Mediators.

Klassiker: "Dieser Kollege ist ein Störenfried, das sehe nicht nur ich so"

Wenn Meisinger als Mediator in Firmen gerufen wird, hört er einen Satz besonders häufig: "Ich komme hier mit jedem klar, nur mit diesem einen Kollegen nicht - und das geht nicht nur mir so!" Dass ein einzelner Kollege bei den restlichen Teammitgliedern für Reibung sorgt, sei in mindestens der Hälfte aller Konfliktfälle am Arbeitsplatz der Fall.

Doch die Haltung des zitierten Mitarbeiters hält er für gefährlich: "Was zunächst so wirkt, als würde ich mich entlasten – ich wähne mich auf der guten Seite und sehe mich als Opfer –, wird tatsächlich zu einer zusätzlichen Belastung. Mit der Einstellung 'Wenn diese eine Person nur anders wäre, hätten wir kaum Probleme' gebe ich die Kontrolle über die Situation und auch die Lösung aus der Hand." Ein solcher Kontrollverlust werde stark unterschätzt. Er löse so grossen Stress aus, dass er oftmals sogar krank mache.

Der besagte Mitarbeiter blende seine Mitverantwortung aus und rede mehr über den Kollegen als mit ihm: "So kann keine Empathie entstehen. Und ohne Empathie entsteht auch kein Raum für konstruktive Lösungen." Schlimmer noch: Meisinger erläutert die Gefahr des Andorra-Effekts in solchen Situationen:

  • "Wenn sich Menschen ausgegrenzt fühlen, werden sie sich immer mehr den Vorurteilen gemäss verhalten, die über sie im Umlauf sind. Selbst wenn die Etiketten, die andere ihnen aufdrücken, ursprünglich gar nicht gestimmt haben. Diese Form der selbsterfüllenden Prophezeiung ist - in Anlehnung an Max Frischs gleichnamiges Drama - als 'Andorra-Phänomen' in der sozialpsychologischen Forschung vielfach untersucht und belegt."

Lösung finden mit schwierigen Kollegen

Die richtige Haltung sei hingegen: "Wenn sich die Situation zum Positiven verändern soll, muss ich mich meiner Mitverantwortung stellen und mich in meinen Kollegen hineinversetzen wollen." Der Coach empfiehlt folgendes Vorgehen:

  • Suchen Sie das Vieraugengespräch mit Ihrem Kollegen.
  • Nehmen Sie diese Besprechung nicht zum Anlass, alles loszuwerden, was Sie dem Kollegen schon immer mal sagen wollten. Jetzt ist nicht die Zeit für Vorwürfe oder Forderungen.
  • Seien Sie neugierig und dabei wertschätzend: Ihr Ziel ist es herauszufinden, wie der andere die Dinge sieht und wie es ihm damit geht.
  • Kommen Sie zum Punkt, etwa so: "Ich bin ja nicht so zufrieden damit, wie das Projekt gelaufen ist. Wie hast du das eigentlich erlebt?"

Fragen und Zuhören, darum gehe es im ersten Schritt. Erst wenn gegenseitiges Verständnis bestehe, lasse sich thematisieren: "Wie können wir das zukünftig verbessern? Welche Wünsche und Angebote haben wir? Wie können wir unsere Ansichten und Beiträge so nutzen, dass alle davon profitieren?"

Meisinger beobachtet häufig, dass bei den sogenannten "Störenfrieden" eines leicht übersehen wird: "Sie haben gute Gründe für ihr Verhalten. Zum Beispiel, weil sie schon lange in der Organisation arbeiten und erneut Veränderungen mitvollziehen sollen, die sich in der Vergangenheit nicht bewährt haben. Nur selten handeln Kollegen aus Boshaftigkeit." Deshalb rät er, nach den Gründen der anderen zu suchen und zitiert dabei ein Credo des Change-Experten Winfried Berner: "Menschen verhalten sich stets erschreckend sinnvoll."

Gefährlich: Ja sagen, Nein denken

Erfahrungen aus der Vergangenheit seien oft auch die Ursache für unser Verhalten in Meetings oder Brainstormings: "Da passiert es dann häufig, dass sich jemand einer Mehrheitsentscheidung anschliesst, weil er keine Diskussion entfachen oder keinen Gegenwind ertragen möchte, obwohl er den Beschluss für einen grossen Fehler hält".

Kompromissbereitschaft sei zwar ein wichtiges Gut, doch wo sie sich aus Harmoniebedürfnis als Verhaltensweise einschleiche und jemand immer wieder für ihn faule Kompromisse eingehe, werde sein Rucksack immer schwerer: "Der angestaute Frust entlädt sich irgendwann nach innen oder nach aussen, zeigt die Erfahrung. Die Kolleginnen und Kollegen können das dann aber nur schwer nachvollziehen."

Der Psychologe und Verhaltenstherapeut Jens Corssen warnt entsprechend in seinem Buch "33 Erfolgsrezepte zur persönlichen Weiterentwicklung im Beruf":

  • "Ja zu sagen und Nein zu denken, geht mit der Zeit auf Ihre Gesundheit."

Ärger zu vermeiden, liegt stark an uns selbst

Deshalb - auch wenn es im Moment Überwindung kostet: "Sprechen Sie Ihre Bedenken aus: Liebe Kollegen, ich würde gerne einen grünen Haken unter diese Entscheidung setzen, aber das kann ich nicht ohne Bauchschmerzen. Ich habe diese und jene Bedenken und wünsche mir, dass wir eine Lösung suchen, die sowohl für euch als auch für mich passt", schlägt Meisinger vor.

Auch hier komme es sonst zu einem Phänomen, das gerade bei komplexen Projektarbeiten hochriskant ist: "Group Think: Gruppen tendieren dazu, sich in die erste gute Idee zu verlieben und sie weiterzuentwickeln - statt zunächst in alle Richtungen zu denken. Das kann sowohl kollegial als auch betriebswirtschaftlich teuer werden."

Ärger zwischen Kollegen gebe es nahezu überall. Was aber hilft: "Der erste Schritt zur Lösung setzt nicht bei meinem Kollegen, sondern bei mir selbst an." Dabei zitiert Meisinger sinngemäss den Bürgerrechtler Nelson Mandela: "Sich zu ärgern, das ist so, als würde man Gift trinken und hoffen, dass der andere daran stirbt."

Zur Person

  • Max Meisinger lebt in München und ist seit zehn Jahren als selbständiger Berater, Coach und Trainer in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig.

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