Sachsendorf (dpa/sa) - Die Briefe voller Bewunderung bestätigen Helga Frenzel. Sie sei die beste Lehrerin, Mathe macht Spass stehe darin. Helga Frenzel sitzt aufrecht auf einem Stuhl im Lehrerzimmer. Sie blickt zugewandt und doch ein wenig lehrerstreng durch ihre Brille. Längst könnte die 70-Jährige tun, was Rentner in der Regel tun - aber sie hat sich anders entschieden.

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Helga Frenzel geht weiter in die Schule. Völlig freiwillig und gern. "Ich bin jetzt 51 Jahre Lehrerin, und noch nie hatte ich das Empfinden, jetzt musst du in die Schule." Sie weiss, dass manch ein Bekannter mit Unverständnis reagiert.

Nicht nur ein Beruf

Sie verstehe die Lebensplanung vieler, die sich auf die Rente freuen. Selbst wolle sie aber weiter tätig sein, sagt die Sonderpädagogin, die bis zum letzten Tag vor der Rente in einer Förderschule in Schönebeck unterrichtet hat. Für sie war klar, es gibt noch viel weiterzugeben. Schluss ist nicht, nur weil es das Geburtsdatum vorgibt. Ihr Lebensalter stehe im Ausweis, sagt die 70-Jährige, aber sie selbst fühle sich nicht so. Und: Für sie habe der Berufswunsch immer festgestanden. Lehrerin sei nicht nur ein Beruf für sie, sondern Berufung. Ihr Prinzip sei: "Was würde mir als Schüler Spass machen". Projekte und Anwendung, Anreiz und Motivation seien wichtig.

Helga Frenzel ist laut dem Bildungsministerium aktuell eine von 61 Lehrkräften, die ihre Lebensarbeitszeit verlängern. Nicht alle tun das in Vollzeit. Deshalb kommen rechnerische 48,9 Vollzeit-Stellen zusammen. Darüber hinaus wurden 59 ehemalige Lehrkräfte nochmals befristet eingestellt, was rund 23 Vollzeitstellen entspricht. Und das bei aktuell rund 14 300 Lehrkräfte im aktiven Landesdienst, was ohnehin schon deutlich zu wenige sind.

Baustein aber keine Lösung

Eine Lösung für das Problem des Lehrermangels sind die aktiven Ruheständlerinnen also nicht, aber ein Baustein. Bildungsministerin Eva Feussner (CDU) hatte vor einigen Monaten in einem Brief Lehrer gebeten, freiwillig länger im Schuldienst zu bleiben.

Statt ins Rentnerinnenleben zu starten, meldete sich Helga Frenzel beim Landesschulamt. Eine "grosse Sprachlosigkeit" sei ihr da begegnet. Man habe gar nicht so recht etwas anfangen können mit ihr. Ein solcher Fall sei vorher wohl noch nicht vorgekommen. Schliesslich übernahm sie den erfolglos ausgeschriebenen Schulleiterposten in der Grundschule Gross Mühlingen. Vier Jahre lang war das ihr Job - bis sich auf eine Ausschreibung jemand Jüngeres fand.

Frenzel betont, dass es ihr nie darum gehe, anderen einen Posten wegzunehmen. Sie wolle helfen und sich einbringen. Aber ihr ist auch wichtig, nicht fremdbestimmt zu sein. "Nee, nun grade nich." Und so meldete sie sich erneut auf eine ohne Resonanz ausgeschriebene Stelle - dieses Mal im kleinen Ort Sachsendorf.

Vor wenigen Monaten fing sie dort als Schulleiterin an. Während sie zuvor immer mit dem Bus in die Schulen fahren konnte, gibt es nun keine solche Verbindung mehr. Helga Frenzel kaufte sich Anfang dieses Jahres das erste Auto ihres Lebens. Und so fährt sie täglich die 30 Kilometer bis in die Grundschule Sachsendorf. "Ich habe es als Herausforderung gesehen", sagt die 70-Jährige.

Viele nutzen die Chance in den Ruhestand zu gehen

Eva Gerth, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sagt: "Das schaffen die wenigsten." Die meisten Lehrkräfte nutzten angesichts der grossen Belastungssituation die erste oder zweite Chance, in den Ruhestand zu gehen. Für die, die länger arbeiten wollten, werde im Landesschulamt nicht eben der rote Teppich ausgerollt. Da fordere man nach einem Lehrer-Berufsleben dann nochmal ein Führungszeugnis. Eva Gerth betont: "Die echten Anreize fehlen." Für sie ist denkbar, 63 bis 67 Jahre alten Lehrkräften etwa das Angebot zu unterbreiten, 20 statt 25 Stunden pro Woche zu unterrichten, dafür über die Altersgrenze hinaus.

Helga Frenzel hat an ihrer jetzigen Grundschule eine ehemalige pädagogische Mitarbeiterin, die eine Lehrbefähigung hat, nach zwei Jahren Rente zurück in den Unterricht geholt. Der Kollegin sei die Decke auf den Kopf gefallen. Und so geht es weiter in einem Team mit sechs Kolleginnen zwischen 50 und 60. Auf die Frage, wie lange sie noch weiterarbeiten möchte, sagt Helga Frenzel: "Ich gucke."

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