Der eigene Chef spielt eine grosse Rolle, wenn es um Zufriedenheit im Job - und oft auch, wenn es um einen Jobwechsel geht. Wie man erkennt, wann es Zeit ist zu gehen.
Man kommt auf keinen gemeinsamen Nenner, hat nicht genügend Freiräume, fühlt sich übergangen oder dauernd zu Unrecht kritisiert: Gründe, warum Beschäftigte unzufrieden mit dem Führungsverhalten ihrer Vorgesetzten sind, kann es viele geben.
Und für manch einen ist genau diese Unzufriedenheit dann auch ein Grund, den Arbeitgeber zu wechseln: Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Teleresearch im Auftrag der Beratungs- und Prüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) sogar der zweithäufigste direkt nach der Bezahlung.
29 Prozent der Beschäftigten, die schon mal den Arbeitgeber gewechselt haben, gaben demnach das Führungsverhalten der Vorgesetzten als einen der Gründe dafür an. Insgesamt befragt wurden 1.555 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland im März 2023.
Nicht zu früh hinschmeissen - nicht zu lange ertragen
Doch wann sollte man wirklich das Handtuch werfen, wenn es mit dem Chef oder der Chefin kriselt?
Das kommt auf die Situation an. "Also fünf Jahre lang zu versuchen, einen Chef zur guten Führungskraft zu erziehen, oder aber den Narzissten jeden Tag irgendwie zu ertragen, ist ungesund", sagt der Kölner Karriereberater Bernd Slaghuis. "Aber beim kleinsten Konflikt sofort zu sagen, der Chef ist doof, also kündige ich, ist natürlich auch nicht die Lösung."
Schliesslich können Unstimmigkeiten am Arbeitsplatz und mit den Vorgesetzten in jedem Job einmal auftauchen. Die Frage ist nur: Lassen sie sich klären? "Ich sehe gerade in der Beratung, dass viele gefrustete Angestellte zu schnell hinschmeissen", sagt Slaghuis. Vor allem Berufseinsteigern und jüngeren Beschäftigten fehle es oft an der Konfliktlösungsbereitschaft, erst einmal das Gespräch mit der Führungskraft zu suchen, um gemeinsam einen Ausweg zu finden.
In sich gehen: Liegt es wirklich am Chef?
Dabei sollte man sich vor einer Kündigung in jedem Fall fragen: Warum genau ist man eigentlich so unzufrieden? Vielleicht hat das tatsächlich mit dem Führungsverhalten der oder des Vorgesetzten zu tun - oder mit der Stelle an sich.
Oder: "Vielleicht ist der Chef nur ein vorgeschobener Grund für den Kündigungswunsch, weil es auf den ersten Blick leichter scheint, die Gründe im Aussen zu suchen", gibt die Hamburger Karriereberaterin Ragnhild Struss zu bedenken.
Mache jemand beispielsweise wiederholt die Erfahrung, dass sich Jobs oder auch Beziehungen anders entwickelten als erhofft, ist man schnell enttäuscht, bricht Arbeitsverhältnisse oder generell Kontakte schnell ab, dann könnten auch "tiefe innere Überzeugungen über andere Menschen, die Arbeitswelt oder das Leben im Allgemeinen dahinterliegen", so die Psychologin. Und diese liessen sich durch einen erneuten Jobwechsel und einen neuen Vorgesetzten nicht lösen.
Wie ein Gespräch Klarheit bringen kann
Doch auch wer sich sicher ist, einfach nicht gut mit dem aktuellen Vorgesetzten und dem derzeitigen Arbeitsumfeld klarzukommen, sollte hinterfragen: Was genau macht die Situation für mich so aussichtslos, dass die Kündigung als einzige Lösung erscheint? "Ist es die Art der Kommunikation und der Arbeitsbeziehungen?", so Struss. "Oder liegt es viel mehr an den Aufgaben, der Unternehmenskultur oder den Arbeitsanforderungen?"
All das kann man dann bei der Führungskraft ansprechen. Ins Gespräch mitbringen sollte man aber mehr als die eigene Unzufriedenheit - oder gar Schuldzuweisungen. Sondern vor allem eine klare Vorstellung: "Was ist mir denn als Mitarbeiterin, als Mitarbeiter in der Zusammenarbeit mit meiner Führungskraft persönlich wichtig? Was benötige ich, um einen guten Job zu machen?", so Slaghuis.
Wichtig ausserdem: Konkret benennen, was schief läuft - und was sich künftig ändern sollte. Sagen könne man etwa je nach Situation: "Ich habe in den letzten Wochen das Gefühl, dass ich Ideen einbringen möchte, diese jedoch nicht auf Interesse stossen. Es ist mir wichtig, solche Themen anzusprechen, die mir in meinem Verantwortungsbereich auffallen und hierfür auch Lösungen umzusetzen", so Slaghuis. "Ist das in Ihrem Sinne und wenn ja, wie werden Sie mich darin unterstützen?"
Manchmal kann ein solches Gespräch nicht nur für mehr Klarheit, sondern auch für Veränderungen sorgen - und eine Kündigung womöglich unnötig machen. "Vielleicht ist der Chef oder die Chefin sogar dankbar für den Hinweis, an welchen Stellen der Führungsstil mehr an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden angepasst werden könnte und hat selbst Interesse daran, sich in seiner Rolle als Führungskraft weiterzuentwickeln", so Struss. Vielleicht lässt sich ja auch an der Aufgabenverteilung etwas drehen.
Nicht blind in den nächsten Job stolpern
Wer hingegen trotz aller Bemühungen feststellt, dass sich an der aktuellen Situation nichts ändern lässt, sollte tatsächlich überlegen, die Reissleine zu ziehen. Vor einem warnt Karriereberater Slaghuis allerdings: Einen neuen Arbeitsvertrag voreilig und quasi blind zu unterschreiben - ohne wirklich herausgefunden zu haben, ob der neue Arbeitgeber tatsächlich besser zu einem passt.
Er rät deshalb, in Vorstellungsgesprächen offen über die eigenen Erwartungen zu sprechen, auch über die an künftige Vorgesetzte. Über den alten Arbeitgeber beziehungsweise den früheren Vorgesetzten zu lästern sei zwar ein No-Go. Sagen könne man Slaghuis zufolge aber durchaus: "Mir ist in meinem Job total wichtig, dass ich Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume besitze. Das war in meiner letzten Position und mit meiner Führungskraft so nicht möglich - wie ist es bei Ihnen?"
Und auch wer sich für die eigene Arbeit wünscht, dass ein potenzieller Vorgesetzter deutliche Leitplanken setzt und klare Anweisungen gibt, sollte das nicht verschweigen.
Menschen seien unterschiedlich, auch dahingehend, wie sie von ihren Vorgesetzten unterstützt werden möchten, sagt Slaghuis. "Es geht im Vorstellungsgespräch darum, gegenseitig über Vorstellungen und Erwartungen zu sprechen." Nur auf dieser Basis könnten sich schliesslich beide Parteien entscheiden, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll oder nicht - und Beschäftigte könnten so Unzufriedenheit im nächsten Job so weit wie möglich vermeiden. (dpa/af)
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