Sexuelle Belästigung im Job ist Alltag. Jeder zweite Beschäftige wurde bereits Opfer, sogar zwölf Prozent der Männer berichten laut einer aktuellen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von unerwünschter körperlicher Annäherung. Was vom Gegenüber meist als harmloser Spass eingestuft wird, kann Betroffene völlig aus der Bahn werfen. Unsere Leserinnen haben das am eigenen Leib erlebt.

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Sexuelle Belästigung ist eine Grenzüberschreitung. Viele unserer Leserinnen haben das selbst erfahren und sind dem Aufruf gefolgt, uns ihre Erlebnisse zu schildern. Vier Frauen stellen ihre Geschichte heute vor. So unterschiedlich diese sind, eines haben sie gemeinsam: Sich dem oder der Vorgesetzten anzuvertrauen, fällt enorm schwer - und endet nicht immer positiv.

Ariane T.*, Medizinstudentin: "Man fühlt sich schmutzig und eklig"

"Im Rahmen meines Studiums habe ich relativ häufig sexuelle Belästigung vor allem durch Patienten erlebt. Das reichte von anzüglichen Bemerkungen beim Herunterbeugen (z.B. beim Blutabnehmen) bis hin zu Klatschern auf den Hintern, wenn man das Patientenzimmer verlassen hat.

Das Schlimmste daran ist, dass man sich hinterher schmutzig und eklig fühlt, obwohl man nichts dafür kann. So erzählt man eher nicht seinen Oberärzten oder Betreuern davon. Auch will man als kleiner Medizinstudent am unteren Ende der Hierarchie keine Scherereien verursachen."

Trotzdem überwand sich Ariane T. und berichtete einem Oberarzt von einem Vorfall. Sie machte dabei positive Erfahrungen: "Er hat sich verständnisvoll verhalten und das inadäquate Verhalten in der Visite mit dem Patienten angesprochen." Dieser sei fortan sehr respektvoll mit ihr umgegangen.

Sich zu wehren, fiele ihr im sonstigen Alltag nicht schwer – in ihrem Job sei das allerdings etwas anderes: "Im Umgang mit schwerkranken Menschen ist es schwierig, sich mit harten Worten abzugrenzen. Für sie ist es eine Art Flucht aus ihrer belastenden Situation im Krankenhaus."

Elsa P.*, arbeitssuchend: "Man wird für verrückt gehalten"

"Der sexuellen Belästigung ging bereits eine lange Zeit des Mobbings voraus. Aus Platzgründen wurde ich von einem anderen Stockwerk in eine schon seit Jahren zusammenarbeitende Gruppe gesetzt.

Ich hatte eine Art Verehrer in der Firma. Dieser hat Kontakt zu einem Kollegen in der Gruppe aufgenommen. Nennen wir den Kollegen Herrn X. Herr X hat diese Geschichte in der Gruppe verbreitet. Ich hatte zu dem 'Verehrer' zwar absolut keinen Kontakt, aber für die eingeschworene Gruppe war das alles eine willkommene Abwechslung.

Es begann eine regelrechte Hetzjagd. Sobald ich das Zimmer verliess, wurde ich verfolgt. Ich habe die Beteiligten gebeten, damit aufzuhören, ohne Erfolg. Ich habe mich an meinen Vorgesetzten gewandt, da musste ich mir anhören, dass ich unter Verfolgungswahn leide. Irgendwann wusste ich mir nicht mehr zu helfen und bin zu einem Anwalt gegangen. Er hat einen Brief an die Firma geschrieben. Bald darauf wurde mir gekündigt."

Elsa P. leidet bis heute unter der Situation, bezeichnet sich selbst als nicht stabil. Auch Freunde und Familie haben sie nicht genug unterstützt. "Man wird irgendwann für verrückt gehalten und redet immer weniger darüber." Heute würde sie sich stärker zu Wehr setzen: "Ich würde mich an den Arbeitsplatz zurückklagen. Ich würde an die Öffentlichkeit gehen. Heute wäre ich dafür stark genug." Warum Menschen so etwas machen? "Manche reagieren sich damit ab, sie brauchen ein Ventil für ihren Druck. Für sie ist es nur lustig, es ist Unterhaltung. Der Betroffene dagegen ist einfach nur allein."

Dagmar L.*, Angestellte: "Der Chef hat nichts unternommen"

"Ein gleichgestellter Arbeitskollege aus einer anderen Abteilung hatte mich während eines Anrufes wiederholt gefragt: 'Haben Sie schon Sex gehabt heute? Sie haben noch keinen Sex gehabt heute? Sie brauchen nur Bescheid zu sagen.'

Wie sich später herausstellte, hatte dieser Mitarbeiter bereits eine andere Kollegin immer wieder sexuell belästigt. Diese hatte sich dann bei unserem Vorgesetzten beschwert. Als der mich fragte, ob ich etwas darüber wüsste, verneinte ich, erzählte aber, dass der Mitarbeiter mich selbst vor ein paar Tagen am Telefon sexuell belästigt habe. Er fragte noch, warum ich nichts gesagt hätte. Aber weder er noch irgendjemand anderes aus dem gesamten Unternehmen hat danach etwas unternommen."

Heute hätte sich Dagmar L. anders verhalten: "Ich wäre gleich zum Vorgesetzten gegangen. Wenn man jünger ist, traut man sich das aber nicht unbedingt." Sie hätte in dem Fall allerdings Angst, dass der Chef mit dem betreffenden Kollegen über die Beschwerde spricht. Wenn dann nichts weiter passiere, komme das einem "Freifahrtsschein" für die sexuelle Belästigung des Kollegen gleich.

Sarah J.*, Technische Zeichnerin: "Hoffentlich tut der dir nichts"

"Im meinem Berufsleben hatte ich überwiegend männliche Kollegen. Häufig musste ich dienstlich verreisen. Auf Weisung des Arbeitgebers sollten - wenn möglich - Fahrgemeinschaften gebildet werden. Balzende ältere Semester genossen die junge Begleitung. Mehrfach dachte ich auf langen Fahrten: Hoffentlich tut der dir nichts.

Der Mensch neben mir war nie ein Unbekannter und nur zu gern wurde ich gefragt, ob man abends noch gemeinsam etwas essen gehen könnte. Klar, dass beim Bierchen häufig das 'Du' aufgedrängt wurde. Kann man da etwa zickig ablehnen?"

Solche Gelegenheiten seien gern genutzt worden, um über die verständnislose Ehefrau zu berichten. Darauf folgten meist Komplimente für Sarah J.s Äusseres. "Zotige Witzchen sollten wohl auch die Stimmung auflockern. Stets war ich hin- und hergerissen zwischen kollegialer Pflicht und der Befürchtung einer Eskalation der Situation. Glasige Augen verhiessen oft Unheil und ich zog es meist vor, mich früh zu verabschieden."

Sarah J.s Bericht zeigt, dass sexuelle Belästigung nicht bei Tätlichkeiten anfängt - jede Frau definiert selbst, wann sie eine unerwünschte Annäherung verspürt. In der männerdominierten Branche sei eine solche jedoch meist als harmloser Spass eingestuft worden. "Da ich überwiegend bei grossen Konzernen mit Arbeitnehmervertretung beschäftigt war, stimmt mich dies sehr bedenklich." Sechs Jahre war sie selbst als Betriebsrätin tätig. Mehr als einmal erzählten ihr Kolleginnen im Vertrauen, dass sie sich am Arbeitsplatz belästigt fühlten und ungern zur Arbeit kämen. "Dies diente jedoch nur dazu, einem Menschen einmal das Herz ausschütten zu können. Konsequenzen sollte das männliche Verhalten nie haben. Alles sollte stets geheim bleiben."

*Name von der Redaktion geändert.

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