Diessen am Ammersee/München - Es ist längst Feierabend und man sitzt noch an der Arbeit, am Samstag werden E-Mails geschrieben und am Sonntag wird schon mal vorgearbeitet: Wer sich dieser Arbeitsbelastung dauerhaft aussetzt, brennt möglicherweise für seinen Job, leidet vielleicht aber auch unter einem Burn-on. Doch was steckt dahinter - und was hilft?
Was ist ein Burn-on?
Der Begriff Burn-on wurde von dem psychologischen Psychotherapeuten Timo Schiele und dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Bert te Wildt ins Spiel gebracht. Sie haben zusammen das Buch "Burn On: Immer kurz vorm Burn Out" verfasst.
Während Burn-out eine akute Erschöpfungsdepression beschreibt, kann Burn-on als chronische Erschöpfungsdepression verstanden werden. "Wir hatten das Gefühl, dass es sinnvoll ist, das zu beschreiben und in einen anderen Begriff zu fassen, um den Patienten besser gerecht zu werden", sagt Bert te Wildt, der Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Kloster Diessen am Ammersee ist. So wolle man die Patienten besser erreichen.
"Man spricht auch von einer larvierten, also verpuppten Depression", so Bert te Wildt. "Die Patienten machen eigentlich immer am Rande eines Zusammenbruches weiter und kultivieren damit hinter einem Lächeln eine andere Art von Erschöpfung und Depressivität." Daher auch der Begriff Burn-on: Während Patienten mit Burn-out zusammenbrechen und krankgeschrieben werden, funktionieren Burn-on-Betroffene immer weiter.
Bert te Wildt versteht einen Burn-on auch nicht als etwas Positives, sondern als einen Zustand, "der mit einem signifikanten Leiden einhergeht, das aber eher versteckt ist." Die Arbeit wird zwar noch erledigt, aber das Sozial-und Privatleben leiden deutlich - und werden nicht mehr als lust- und freudvoll empfunden. Viele Betroffene könnten ihre Liebe für die Arbeit aber nicht mit ihrer Symptomatik zusammenbringen, sagt te Wildt. Bis zur Einsicht, dass etwas nicht stimmt, können daher Jahre mit erheblichem Leidensdruck vergehen.
Was führt zum Burn-on?
Leistung und Erfolg sind in unserer Gesellschaft ein Massstab für gesellschaftliche Anerkennung. Insbesondere in Bereichen, in denen ein hoher Zeiteinsatz auch über die reguläre Arbeitszeit hinaus belohnt wird oder als notwendige Voraussetzung für den Job gilt, sind Burn-out und Burn-on häufige Begleiterscheinungen: "Ab einem bestimmten Mass von Arbeit und Entfremdung von sich selbst ist keine Arbeit mehr gut", sagt te Wildt.
Aber auch in Bereichen, in denen Arbeit entgrenzt oder an Beziehungsarbeit geknüpft ist, treten Burn-on-Erscheinungen vermehrt auf: etwa in Pflegeberufen, im medizinischen und therapeutischen Bereich oder bei Lehrerinnen und Lehrern. "Es sind häufig Menschen, die Verantwortung für andere Menschen haben", so te Wildt.
Der Professor für Wirtschaftspsychologie Florian Becker sagt: "Aus meiner Sicht hat das viel damit zu tun, Grenzen zu setzen, vor allem Grenzen gegenüber anderen." Aber auch Menschen, die sich vor allem über Leistung definieren, zählen zu den Betroffenen. "Das sind "insecure overachiever", die unsicheren High Performer, die leisten, aber unsicher bleiben", so te Wildt.
Welche Symptome bringt ein Burn-on mit sich?
Während ein Burn-out mit Erschöpfung einhergeht und einer tiefen inneren Abneigung der Arbeit gegenüber, sind die Symptome beim Burn-on anders gelagert. Betroffene zeigen eine kognitive Einengung auf die Arbeit, die sich in einem Fokus auf Effektivität und Leistung äussert, auch im Privaten, berichtet te Wildt.
Auf einer emotionalen Ebene dominiert der depressive Aspekt: Obwohl Betroffene leistungsorientiert und erfolgreich sind, empfinden sie keinen Stolz für ihre Leistungen und sehen sich selbst als ungenügend. Sie haben Scham- und Schuldgefühle, obwohl sie eigentlich permanent für die Arbeit und andere Menschen da sind. "Trotz der immensen Leistung leiden die Betroffenen unter dem Gefühl, nie zu genügen", sagt te Wildt.
Die Folge: innere Leere, Verzweiflung, Freudlosigkeit und ein Gefühl von Sinnlosigkeit. "Viele Menschen spüren gar nicht mehr ihre Grenzen, ihre Leidenschaften, ihre Interessen", sagt Becker. "Sie können auch Erfolge nicht mehr geniessen."
Betroffene fühlen sich einerseits müde und schlapp, können gleichzeitig aber nicht zur Ruhe kommen. Auch im Urlaub sind sie mit dem Kopf noch bei der Arbeit. Körperliche Symptome reichen von Bluthochdruck, Rücken- und Kopfschmerzen bis hin zu Tinnitus und Schlafstörungen. Der Körper befindet sich im dauerhaften Stresszustand.
Was hilft?
Burn-on-Betroffene müssen sich des Problems oftmals erst bewusst werden. Und sich dann auch gezielt dafür entscheiden, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wichtig sei, sich Zeiten und Räume zu schaffen, die nicht funktional gesehen werden, sondern in denen man sich emotional und körperlich angesprochen fühlt, rät te Wildt. "Ich benutze den Begriff Reservate ganz gerne, dass man sich Reservate der eigenen Menschlichkeit schafft, in denen der Arbeitsmodus nichts zu suchen hat."
Hilfreiche Fragen könnten sein: Was passt wirklich zu mir? Was habe ich früher gerne gemacht? Was wollte ich schon immer gerne machen und was erfüllt mich mit Leidenschaft? Auch ein Wechsel zwischen Entspannungsübungen und forderndem Sport, der zu einer natürlichen Erschöpfung führt, könne helfen. Ausserdem wichtig: Betroffene sollten bei der Arbeit Grenzen ziehen. "Klar "Nein" zu sagen, ist eine sehr wichtige Kompetenz, die vielen Menschen fehlt", sagt Becker.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Bert te Wildt rät: "Man muss sich fragen: Was bin ich bereit zu geben, zu leisten und was übersteigt ganz klar meine Grenzen und das dann auch zu markieren." Eine ambulante oder stationäre Therapie bildet hier in vielen Fällen eine notwendige Unterstützung: Dort können gemeinsam Strategien und Umsetzungsmöglichkeiten erarbeitet werden.
Aber auch der biografische Hintergrund sollte in den Blick genommen werden, um zu verstehen, woher das Gefühl von Unzulänglichkeit und Leistungsdruck stammt - und eine Burn-on-Symptomatik nachhaltig zu verbessern.
Literatur:
Bert te Wildt/ Timo Schiele: Christoph Burger: "Burn On: Immer kurz vorm Burn Out", Droemer HC, 304 Seiten, 20,00 Euro, ISBN: 978-3-426-27848-2 © dpa
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