Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die alleinerziehende Mutter Anne Dittmann, mit welchen Vorurteilen und Hürden Alleinerziehende in Deutschland zu kämpfen haben und erzählt, inwiefern sich ihre Mutterschaft auch auf ihr Datingverhalten auswirkt.
Als ihr Kind ein Jahr alt war, wurde Anne Dittmann alleinerziehend. Ihre eigene Lebensrealität zeigte der Mutter auf, mit welchen Hürden und Vorurteilen Alleinerziehende in unserer Gesellschaft zu kämpfen haben und dass vor allem alleinerziehende Frauen von einem deutlich höheren Armutsrisiko betroffen sind.
Was brauchen Alleinerziehende also wirklich? Antworten auf diese Frage gibt die Autorin in ihrem Buch "solo, selbst & ständig". Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht die Mutter eines Grundschulkindes über Vor- und Nachteile verschiedener Betreuungsmodelle und erklärt, warum nur die wenigsten getrenntlebenden Eltern im Wechselmodell leben können.
Frau Dittmann, seit wann sind Sie alleinerziehend?
Anne Dittmann: Ich bin mit 24 Jahren Mutter eines Wunschkindes geworden. Als mein Kind ein Jahr alt war, wurde ich alleinerziehend. Das war ich dann zwei Jahre lang, ehe der Vater meines Kindes und ich uns für das Wechselmodell entschieden haben. Beim Wechselmodell versorgen beide Elternteile das gemeinsame Kind zu gleichen Teilen. Das bedeutet: Das Kind lebt beispielsweise eine Woche bei der Mutter und in der nächsten Woche bei dem Vater. Inzwischen leben wir jedoch nicht mehr im Wechselmodell.
Warum wurde das Erziehungsmodell geändert?
Viele Menschen denken, das Wechselmodell stehe ausschliesslich für Gleichberechtigung in der Elternschaft, aber darum geht es nicht. Vielmehr geht es darum, auf die Bedürfnisse alle – und vor allem derer der Kinder – Rücksicht nehmen zu können. Unser Kind hatte im Rahmen unseres gelebten Wechselmodells zum Ausdruck gebracht, wieder mehr bei mir leben zu wollen. Wir sind also vom ursprünglich erweiterten Residenzmodell ins Wechselmodell und schliesslich wieder ins erweiterte Residenzmodell gegangen. Inzwischen ist unser Kind in der Grundschule und vermutlich wird der Wechsel zurück ins erweiterte Residenzmodell nicht der letzte Wechsel unseres Betreuungsmodells gewesen sein.
Worum genau handelt es sich beim erweiterten Residenzmodell und wie leben Sie es?
Dieses Betreuungsmodell liegt gewissermassen zwischen dem Wechselmodell und dem klassischen Wochenend-Elternteil-Residenzmodell. In unserem Fall teilen wir uns die Betreuung etwa 66:34 auf. Unser Kind ist rund zwei bis zweieinhalb Tage in der Woche bei seinem Papa – mal unter der Woche, mal am Wochenende. So haben sowohl mein Ex-Partner und ich auch betreuungsfreie Wochenenden.
Lassen Sie uns noch einmal zurück zum Wechselmodell kommen: Welche Voraussetzungen müssen getrennt lebende Eltern mitbringen, um in diesem Betreuungsmodell leben zu können?
Nur die wenigsten Eltern können das Wechselmodell leben. Mit Blick auf ein akademisiertes Umfeld, in dem die Menschen mehr Geld verdienen, in der Stadt leben und beispielsweise kein Haus abbezahlen müssen, wird das Wechselmodell durchaus häufiger gelebt. Dennoch sprechen wir hierbei nicht von der Lebensrealität der Getrennten in Deutschland. Es gibt verschiedene Studien, die besagen, dass zwischen fünf und 15 Prozent das Wechselmodell leben. Dabei ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, dass die Getrennten relativ nah beieinander leben, damit die Kinder ihre Hobbys weiter ausleben und Freundschaften pflegen können. Hiermit wären wir dann auch schon bei einer grossen Herausforderung: Eine Wohnung zu finden, ist hart. Dabei dann auch noch örtlich gebunden zu sein, macht es noch herausfordernder.
Dazu kommen dann noch die Wünsche des Kindes, die es zu berücksichtigen gilt.
Richtig, das Kind sollte diese Art der Betreuung wollen. Wenn ein Kind das Wechselmodell partout ablehnt, sollte man es auch nicht leben. Natürlich entscheidet ein Kind nicht alleine über das Betreuungsmodell, aber man sollte es immer mit einbeziehen und reagieren, wenn ein gewähltes Modell dem Kind nicht guttut.
Welche Rolle spielt der finanzielle Aspekt beim Wechselmodell?
Eine grosse. Und damit wären wir auch bei einem wesentlichen Nachteil des Modells: Die Politik fördert die Gleichstellungsarbeit, die Eltern bei diesem Modell leisten, nicht. Politisch und strukturell leben wir noch in einer getrennten Familiensituation aus den 1980er- bis 1990er-Jahren. Strukturell betrachtet gibt es also nur die Vorstellung eines Residenzmodells.
Als der Vater meines Kindes und ich ins Wechselmodell gegangen sind, musste jeder von uns eine komplette Wohnung inklusive Kinderzimmer finanzieren. Konkret bedeutet das: Man benötigt alles doppelt. Von Möbeln über Kleidung bis hin zu Spielsachen oder Bücher. Wir sprechen also von doppelten Kosten, ohne dass sich dabei das Kindergeld erhöht.
Vielmehr muss das Kindergeld geteilt werden, was zu einer enormen Ressourcenverknappung führt. Mit dem Wechselmodell sind damals auch die Unterhaltszahlungen meines Ex-Partners weggefallen, was vor dem Hintergrund nachvollziehbar ist, damit der Vater meines Kindes alle anfallenden Kosten für das Modell tragen konnte. Ebenso nachvollziehbar muss aber auch sein, dass Alleinerziehende jene Gruppe in der Gesellschaft darstellen, die am meisten von Armut betroffen ist und somit den Gürtel nicht noch enger schnallen kann.
Häufig kommt es diesbezüglich dann zu Reaktionen wie "Alleinerziehende können dann ja mehr arbeiten gehen".
Das stimmt, diese Reaktionen gehen aber total an der Realität vorbei. Viele Alleinerziehende arbeiten ohnehin schon Vollzeit, davon häufig im Niedriglohnsektor. Und auch wenn eine Mutter von einer Teilzeit- in eine Vollzeitanstellung wechseln möchte, braucht es auch einen Arbeitgeber, der den Bedarf sieht. Insofern ist es zu leicht gesagt, einfach mehr arbeiten gehen zu können.
Deutschland lebt traditionelle Familienmodelle
Nichtsdestotrotz bringt das Wechselmodell auch Vorteile …
Absolut, vor allem dann, wenn man sich mit dem anderen Elternteil auch über die Trennung hinaus gut versteht. Natürlich sind auch der Vater meines Kindes und ich nicht immer derselben Meinung, dennoch respektieren wir die Bedürfnisse des anderen so gut es geht. So kann das Wechselmodell eine immense Entlastung bewirken, auch wenn es eine finanzielle zusätzliche Belastung ist. Ich sehe das Wechselmodell ausserdem als Möglichkeit für die Väter, sich mehr um ihre Kinder zu kümmern.
Sind Ihnen schon Fälle begegnet, in denen das Wechselmodell gescheitert ist, weil ein Elternteil sich nicht gleichgestellt kümmern möchte?
Leider ja. Ich habe erst kürzlich eine Kolumne gelesen, in der ein Vater sich fragt, inwiefern das Wechselmodell sich auf sein Leben auswirken würde. Das Problematische daran ist, dass Väter sich diese Fragen stellen, während niemand die Mütter fragt, ob sie alleine erziehen wollen.
Alleinerziehende sind die Gesellschaftsgruppe in Deutschland, die am meisten von Armut betroffen ist – vor allem Frauen. Warum ist das so?
Man kann sagen, dass fast jede zweite Alleinerziehende von Armut betroffen ist. Das hat mehrere Gründe. Einerseits leben wir in Deutschland Familienmodelle noch sehr traditionell, was vor allem durch das Ehegattensplitting gefördert wird. Dadurch sind die Mütter sowohl finanziell als auch auf dem Arbeitsmarkt oft nicht gut aufgestellt, weil sie entweder über mehrere Jahre keiner Lohnarbeit nachgegangen sind oder nur Teilzeit gearbeitet haben. Hinzu kommt die schlechte Betreuungs-Infrastruktur in Deutschland. Ich habe beispielsweise mal ein Gespräch mit einer promovierten Alleinerziehenden geführt, die nicht arbeiten kann, weil es in ihrer Umgebung keine Betreuungsmöglichkeiten für ihr Kind gibt. Hier geht es nicht darum, dass sie als Mutter sich weiter qualifizieren muss, es geht darum, dass sie eine Betreuung für ihr Kind benötigt.
Ein weiteres Problem ist, dass viele Alleinerziehende keinen Unterhalt bekommen. Die Zahlen sind schockierend: 75 Prozent der Unterhaltspflichtigen zahlen keinen oder zu wenig Unterhalt. Auf diese Weise summieren sich die Faktoren, die alleinerziehende Frauen mit Armut konfrontieren. Hinzu kommt noch der Gender-Pay-Gap. In Summe blicken wir also auf eine Vielzahl von Ursachen für das Armutsrisiko Alleinerziehender, die dringend aufgearbeitet werden müssten.
Lesen Sie auch
Finanzielle Sorgen wirken sich häufig auf die mentale Gesundheit aus …
Richtig, das Risiko für Burnout und Depressionen ist bei Alleinerziehenden dreimal höher, wie ich auch in meinem Buch "solo, selbst & ständig" erkläre. Hierbei spielen natürlich viele verschiedene Faktoren eine Rolle und nicht alle Betroffenen rutschen automatisch in eine Erschöpfungsdepression. Als ich während meiner Zeit als Alleinerziehende in den Burnout gerutscht bin, habe ich mich stark mit meiner Mutter verglichen, die ebenfalls alleinerziehend war, aber keine mentalen Probleme hatte. Doch jeder Mensch ist anders und somit kann ich nur an alle Alleinerziehenden appellieren, sich bei mentalen Erkrankungen professionelle Hilfe zu holen.
Alleinerziehende greifen auch häufiger zu Schlafmitteln. Dies kann ebenfalls eine gefährliche Spirale in Gang setzen. Auch ich habe wegen Schlafstörungen als Alleinerziehende einmal eine Schlaftablette genommen. Glücklicherweise habe ich die Packung aber schnell wieder entsorgt, weil mich die Tablette auch am Folgetag schlichtweg zu müde gemacht hat. Dennoch muss hingesehen und -gehört werden, wenn Alleinerziehende zu Schlafmitteln greifen. Warum tun sie das? Natürlich, weil sie gestresst sind und das sollte nicht sein.
Haben Sie denn das Gefühl, dass die Gesellschaft genug zu Alleinerziehenden hinsieht und -hört?
Ich denke schon, dass wir heute einen sensibleren Blick auf viele Themen haben als früher. Auch mentale Erkrankungen werden nicht mehr so tabuisiert wie etwa zu Zeiten, in denen meine Mutter in meinem Alter war. Ich glaube, viele Menschen sehen die Situation Alleinerziehender, haben aber gleichzeitig starke Vorurteile. Das zeigt sich auch mit Blick auf die politische Landschaft: Die Parteien um Lisa Paus, die SPD und die Grünen, wollten die Kindergrundsicherung umsetzen, ehe ein Christian Lindner von der FDP daherkommt und behauptet, Alleinerziehende bräuchten noch Anreize, arbeiten zu gehen, was meiner Meinung nach absoluter Hohn ist.
Hier wird versucht, das Vorurteil zu schüren, Alleinerziehende seien inkompetent oder wollen sich am Kindergeld bereichern – obwohl sie so gut haushalten mit ihrem Geld und eigene Bedürfnisse zurückstellen. Denn das belegt auch die Studienlage: Eltern mit geringen finanziellen Mitteln nehmen sich immer zurück und denken zuerst an ihre Kinder. Umso frustrierender ist es, dass sich das negative Menschenbild gegenüber Alleinerziehenden durch all diese geschürten Vorurteile noch immer hält.
Viele trennen sich aus Sorge um ihre Kinder nicht
Um bei Vorurteilen zu bleiben: Wenn Eltern sich trennen, wird nicht selten zu bedenken gegeben, die Kinder könnten unter der Trennung leiden …
Ja, häufig ist von einer traumatischen Erfahrung der Trennungskinder die Rede und dass diese im Erwachsenenalter keine langfristigen und gesunden Beziehungen führen können werden. Natürlich habe auch ich mich nach meiner Trennung gefragt, inwiefern sie sich auf mein Kind auswirken könnte. Ich erhalte auch immer wieder Nachrichten von Müttern, die sich aus Sorge um ihre Kinder nicht trennen, obwohl sie mit ihrer Beziehung eigentlich schon längst abgeschlossen haben. Nur wegen der Kinder zusammenzubleiben, halte ich für nicht richtig.
Lesen Sie auch: Therapeutin erklärt, wie unsere Kindheit die Partnerwahl beeinflusst
Dabei hat sich das Vorurteil, Kinder werden durch die Trennung der Eltern traumatisiert, durch die Studienlage nicht belegt. Eltern sollten sich zugestehen, aus einer Beziehung herauszutreten, wenn diese sie nicht mehr glücklich macht. Dass sie im Anschluss dafür sorgen, wieder glücklich zu werden, wird von den Kindern gesehen und wahrgenommen. Ausserdem nehmen sie sich ein Beispiel daran, in ihrem späteren Leben selber auch aus Beziehungen zu treten, die ihnen nicht guttun. Wenn sich die Eltern trennen, bedeutet das also mitnichten, dass die Kinder beziehungsunfähig werden. Ich denke sogar, dass sie qualitativ bessere Beziehungen führen können, weil sie gelernt haben, die eigenen Grenzen zu wahren.
Lassen Sie uns über Dating sprechen: Allein- und Getrennterziehende daten anders, sind zeitlich weniger flexibel und sind auf der Suche nach jemandem, der/die die eigene Lebenssituation nachvollziehen kann und bereit ist, sie anzunehmen. Das klingt ziemlich herausfordernd …
Ich glaube, Alleinerziehende schauen genauer hin. Die Qualität des Datings findet viel gründlicher statt, sodass längst nicht jeder Mensch infrage kommt für ein Kennenlernen. In meinen Teenager- und Zwanzigerjahren war ich immer gerne in Liebesbeziehungen und habe mich wahnsinnig gerne verknallt (lacht). Heute bin ich seit Jahren single – mein persönlicher Ansatz ist, dass bei einer möglichen neuen Partnerschaft viele Aspekte schlichtweg stimmen müssen. Passt die Person in mein Leben? Ist sie kinderfreundlich? Kann ich mir diese Person auch im Umfeld meines Kindes vorstellen?
Lesen Sie auch: Wann man Kosenamen lieber für sich behält
Wie sieht das in Ihrem Fall konkret aus?
Wenn ich date, kommt für mich ein Mensch mit einem ungeregelten Leben nicht infrage. Das hängt vor allem damit zusammen, dass ich selbst mein Leben auch regeln musste. Als alleinerziehende Person lernt man, lösungsorientiert zu denken, um Herausforderungen schnell bewältigen zu können. Wenn ich aber beispielsweise jemanden kennenlerne, der wenig Verantwortung in seinem Leben übernimmt, kann ich diese Person nicht unbedarft in meine Familie hereinlassen. Denn dafür stehe ich als Mutter: als Familie. Ich bin keine Alleinstehende ohne Kind, die nur für sich Verantwortung übernehmen muss, sondern habe immer auch die Verantwortung für mein Kind. Entsprechend wählt man immer sehr genau aus, wen man trifft und hinterfragt beispielsweise auch, wie diese Person mit Konflikten umgeht. Insofern mag der Auswahlprozess beim Dating mitunter zwar sehr lange dauern, kann aber dazu beitragen, irgendwann eine ganz tolle Beziehung zu führen.
Über die Gesprächspartnerin
- Anne Dittmann (33) ist Journalistin, Autorin und Podcasterin. 2023 ist ihr Buch "solo, selbst & ständig – Was Alleinerziehende wirklich brauchen. Ein Wut- und Mutmachbuch" erschienen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.