Sie sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken: Smartphones. Kein Wunder, dass auch Kinder schon früh in Kontakt mit ihnen kommen. Umso grösser ist die Herausforderung, vor der viele Eltern in diesem Zusammenhang stehen: Denn ein Smartphone bringt im Alltag zwar viele Vorteile, birgt aber ebenso die Gefahr vor problematischen oder gefährlichen Inhalten. Wie reagiert man also richtig, wenn die Kleinen etwa auf Horrorvideos stossen, fragwürdige Links zugeschickt bekommen oder diese möglicherweise selbst im Klassen-Chat teilen? Eine Digitalexpertin erklärt, worauf Eltern achten sollten.
Ab einem Alter von zehn bis elf Jahren besitzt mehr als die Hälfte der Kinder in Deutschland ein eigenes Smartphone. Diese Zahlen gehen aus der jährlich erscheinenden KIM-Studie ("Kindheit, Internet, Medien") hervor und zeigen: Smartphones spielen im Leben von Kindern immer früher eine Rolle, was auch die Digitaltrainerin Sandra Weiss bestätigt. Wie die Neurologin im Gespräch mit unserer Redaktion einordnet, habe zuletzt die Corona-Pandemie die Tendenz zu einem immer jüngeren "Eintrittsalter" sogar verstärkt.
Erwachsene nutzen Plattformen wie YouTube anders als Kinder
Stehen Smartphones auf der einen Seite für Erreichbarkeit, stellen sie Eltern aber auch vor Herausforderungen. Eine der grössten Befürchtungen der Erwachsenen ist hierbei, dass die Kinder das Gerät zu viel nutzen. "Sie haben Sorge, dass die Kinder süchtig werden, nur noch am Handy hängen und nicht mehr ansprechbar sind", erklärt Sandra Weiss. Zudem weiss die Expertin, dass "sich die wenigsten Eltern mit den Inhalten auskennen, mit denen ihre Kinder in Berührung kommen können". In ihrer Arbeit begegne sie daher häufig Grundschulkindern, "die nicht mehr gut schlafen können und Alpträume haben, weil sie im Internet 'etwas Schlimmes' gesehen haben".
Wie kommt es dazu, dass Kinder im Internet Inhalte konsumieren, mit denen sie eigentlich nicht in Berührung kommen dürften? Wie Weiss erklärt, konsumieren schon die Kleinsten Videos auf YouTube, obwohl die Plattform laut Nutzungsbedingungen eigentlich erst für Nutzerinnen und Nutzer ab 16 Jahren vorgesehen sei. "In der Realität kann man auf YouTube abertausende Videoclips mit heftigen Horror- und Gewaltvideos sehen. Per Browser sind pornografische Inhalte leicht zugänglich, aber auch Folter- und Hinrichtungsvideos sowie teilweise strafrechtlich verbotene Inhalte", weist Sandra Weiss auf gefährliche Inhalte im Netz hin. Auch würden eben diese Inhalte "immer wieder unbedacht in Klassen-Chats gestellt und dann in einer immensen Geschwindigkeit vervielfältigt".
Die Folgen liegen auf der Hand: Mit nur einem Klick können Kinder aus purer Neugier oder dem Wunsch, dazugehören zu wollen, auf Inhalte stossen, die traumatisieren – eine Gefahr, die den Eltern häufig nicht bewusst ist, da sie oftmals keinen Einblick in diese Chatgruppen haben.
Wie Eltern reagieren sollten, wenn sich die Kinder anvertrauen
Weil Erwachsene Plattformen wie YouTube oder WhatsApp anders nutzen als Kinder, haben sie oftmals keine Vorstellung davon, was Kinder dort erleben können. Aus Gesprächen mit Eltern und Kindern nimmt Sandra Weiss immer wieder mit, dass Eltern die Sorgen und Ängste ihrer Kinder häufig erst dann mitbekommen, wenn sie "nicht mehr schlafen können und sich eventuell den Eltern anvertrauen".
Dass sich die Kinder in einem solchen Fall gegenüber ihren Eltern öffnen, ist nicht der Regelfall. Denn wird ein Kind erstmals im Internet mit derartigen Inhalten konfrontiert, ist es nicht nur schockiert, sondern verspürt auch Scham gegenüber den Eltern. Das schlechte Gewissen, verbotene Inhalte konsumiert zu haben, führt nach Erfahrung der Digitalexpertin häufig dazu, "dass sich die Kinder gar nicht oder erst spät öffnen". Zu gross sei die Sorge vor einem Handy-Verbot.
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Handy-Verbot als pädagogische Massnahme?
Ist ein, zumindest temporäres, Handy-Verbot also die richtige Massnahme? Weiss' Antwort fällt hier deutlich aus: Nein. Ihr Appell an die Eltern lautet: "Nehmen Sie den Kindern das Smartphone niemals weg, wenn sich Ihre Kinder Ihnen aufgrund schlimmer Inhalte anvertrauen". Wie die Familiencoachin weiss, bestehe mit dieser Massnahme die Gefahr, dass Kinder sich kein zweites Mal gegenüber den Erwachsenen öffnen. Vielmehr müsse es darum gehen, Vertrauen aufzubauen, statt Strafen zu erteilen: "Eltern müssen den Kindern vermitteln, dass sie nicht bestraft werden, wenn sie online auf verbotene Inhalte stossen", so Sandra Weiss.
Kinder sollen ihren Eltern vertrauen – und umgekehrt. Sandra Weiss empfiehlt aus diesem Grund Regeln zur Nutzung des Smartphones. Eltern rät sie, das Smartphone den Kindern nicht sofort zu schenken, sondern es zunächst zu überreichen oder zu verleihen, bis sie erkennen, dass sich die Kinder an zuvor festgelegte Umgangsregeln halten. An dieser Stelle könne etwa ein Medienvertrag zwischen Eltern und Kindern greifen, schlägt die Expertin vor. Neben der Festlegung von Regeln zum Umgang mit dem Smartphone gilt es zudem, aufzuklären. "Die frühzeitige Aufklärung über verstörende Inhalte und Themen wie Cybergrooming oder Cybermobbing ist elementar", gibt Sandra Weiss zu bedenken.
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Smartphones machen nicht nur Kinder süchtig
Nach Einschätzung der Digitaltrainerin könne kaum ein Kind den Umgang mit dem Smartphone allein erlernen. Ihrer Meinung nach brauche es "intensive Vorbereitung und Begleitung von Erwachsenen, wie zum Beispiel durch technische Massnahmen zur Festlegung etwa von zeitlichen Limits". Eben jener Rat knüpft an die eingangs erwähnte Sorge von Eltern mit Blick auf den Handykonsum ihrer Kinder an: die Angst, die Kinder könnten zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen – ein Aspekt, bei dem Weiss an die Vorbildfunktion der Erwachsenen appelliert. Denn: "Smartphones sind sehr wirkmächtig und machen nicht nur Kinder süchtig."
Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Schutz
Auch wenn Vertrauen in der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern der Dreh- und Angelpunkt ist, ist es laut Sandra Weiss von Bedeutung, den Erwachsenen jene Apps näherzubringen, die ihre Kinder immer wieder vor die Bildschirme ziehen. Denn Erwachsene und Kinder mögen zwar teilweise die gleichen Apps auf ihren Smartphones installiert haben, genutzt werden sie jedoch grundlegend unterschiedlich.
So sei den Eltern häufig nicht bewusst, was die Apps ausmacht und welche Risiken sie bergen. Denn "viele Apps sind so konzipiert, dass sie von Kindern aufgrund verschiedener Mechanismen der App sehr hochfrequentiert genutzt werden", erklärt die Trainerin und ergänzt: "Eltern, die digitalkompetent sind, sind nicht automatisch medienkompetent."
Um Kinder vor möglichen Gefahren oder verbotenen Inhalten im Netz zu schützen, ist gegenseitiges Vertrauen der Schlüssel. Während sich die Erwachsenen damit befassen sollten, wie ihre Kinder das Internet nutzen, müssen diese wiederum verstehen, dass es sich bei den Regeln seitens der Eltern zur Nutzung "nicht um sinnlose Verbote oder Beschränkungen handelt", ordnet Sandra Weiss ein.
Je früher Eltern also beginnen, ihren Kindern zu erklären, dass es hierbei nicht um Kontrolle, sondern um Schutz geht, könne umso mehr Vertrauen aufgebaut werden. Denn wie die Expertin weiss, gilt sowohl in der digitalen als auch analogen Welt: "Der beste Kinder- und Jugendschutz ist die vertrauensvolle Kommunikation zwischen Kindern und Eltern."
Verwendete Quellen
- Mpfs.de: KIM-Studie 2022
Über die Gesprächspartnerin
- Frau Dr. med. Sandra Weiss ist Digitaltrainerin und Neurologin und vermittelt mit weiteren Digitaltrainern und Digitaltrainerinnen Medienkompetenz und Mediensicherheit für Kinder. Im Rahmen von Ausbildungstagen an Schulen, Bildungsstätten und Unternehmen werden Kinder, Eltern und Lehrkräfte auf eine gemeinsame und verantwortungsvolle Mediennutzung vorbereitet.
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