Im Sommer strahlen einen aus den sozialen Medien wieder viele Urlaubs- und Bikinibilder an - häufig sind darauf Kinder zu sehen. Experten warnen vor unabsehbaren Folgen, selbst bei noch viel harmloseren Bildern.
Am liebsten würde er schweigen über das, was da passiert. Die furchtbaren Zwecke, denen Kinderfotos dienen. Und die einmal von den eigenen Eltern oder Grosseltern auf Facebook, Instagram & Co. gepostet wurden. "Es ist ja verständlich, dass sie ihre Freude teilen wollen. Leider ist das Internet dafür aber der am schlechtesten geeignete Raum", betont Joachim Türk, Vizepräsident des Kinderschutzbundes, im dpa-Gespräch.
Das Posten kann schreckliche Folgen haben: Pädokriminelle stehlen diese oft harmlosen Alltagsbilder, stellen sie in einen sexuellen Zusammenhang und verbreiten sie. Zur Erklärung: Unter "Pädokriminialität" fallen verschiedene Ausprägungen sexueller Gewalt gegen Kinder, etwa Kindesmissbrauch, Kinderhandel, Kinderprostitution und eben Kinderpornografie.
Ausgerechnet Eltern beliefern diese Szene ungewollt. Deshalb schärft Türk ein: "Stellen Sie sich vor, die Bilder geraten auf Websites pädophiler Angebote, und fremde Menschen kommentieren dazu in allen Details, wie genau sie Ihren Kindern am liebsten sexualisierte Gewalt antun würden. Da hoffen Sie, dass nicht auch noch Hinweise auf Ihre Wohnung geklaut worden sind."
Promis schildern düstere Erfahrungen
Tatsächlich scheinen viele Eltern solche Gefahren nicht zu kennen. Promis wie der Comedian
Auch die Schauspielerin
Doch zu bestimmten Hashtags, die sich auf Kinder beziehen, findet man bis zu 25 Millionen Treffer auf Instagram, rund drei Millionen mehr als noch vor einem Jahr. Türk warnt: Die Szene der Pädokriminellen sei gewaltig und immer auf der Suche nach neuen Bildern. Die geklauten Fotos würden für Zwecke zur Verfügung gestellt, "von denen wir uns keine Vorstellung machen wollen".
Missbrauch für pädophile Zwecke
Neben pädophilen Treffpunkten im Darknet, Chats und Foren werden Bilder auch auf YouTube in pornografische Inhalte umgewandelt. Die Internetwächter von Jugendschutz.net klären in ihrem Jahresbericht 2020 auf, wie das durch geschickte Einstellungen der Playlist-Funktion mit harmlosesten Fotos geschieht: etwa durch sexualisierende Adjektive (sexy, cute, hot, geil). Auch sorgen Angaben über Alter, Grösse und Aktivitäten wie "gymnastics" dafür, dass Pädophile bei ihrer Suche im Internet dann tatsächlich auch bei solchen Videos landen.
Offene Türen für Stalker und Sexualtäter
In Pädophilen sieht auch Thomas-Gabriel Rüdiger die grösste Gefahr, wenn es um Kinderfotos geht. Doch ein weiteres riesiges Problem beim arglosen Posten beobachtet der Cyberkriminologe vom Institut für Polizeiwissenschaft der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg: Nicht nur Bilder, sondern auch empfindliche Informationen werden geteilt: Wo geht die Familie regelmässig essen? Welche Haustiere gibt es? Wie sieht die Wohnung aus? Kriminelle wie Sexualtäter oder Stalker können die Bilder mit Informationen kombinieren, die sie in sozialen Netzwerken finden und sich diese zunutze machen: zum Beispiel wo das Kind wohnt, welchen Kindergarten es besucht.
"Für einen Täter ist es dann nicht schwer, an das Kind heranzukommen. Vielleicht weiss er das Alter, den Namen, das Geschlecht, das Aussehen, vielleicht sogar Hobbys. Es gab bereits Fälle, in denen Stalker über die Reflexion in der Pupille auf einem Selfie den Wohnort ausfindig gemacht haben", warnt Rüdiger im Gespräch mit unserer Redaktion.
Tipps des DKHW und der Polizei:
- Überlegen Sie bei jedem Foto, ob es wirklich ins Netz gehört. Ist es notwendig, das Gesicht des Kindes zu zeigen?
- Posten Sie keine Nacktfotos oder sonstige Bilder von Kindern in unangemessenen Situationen.
- Vermeiden Sie, personenbezogene Daten des Kindes preiszugeben.
- Sollten Sie auf jugendpornografische Inhalte stossen - oder auch nur ein seltsames Gefühl bei einem Inhalt haben: Melden Sie ihn bitte der Internet-Beschwerdestelle. Dazu rät die Polizei in einem FAQ zum Thema.
Tipp des Cyberkriminologen Rüdiger:
- Wer kein Risiko eingehen will, verzichtet ganz auf Kinderfotos im Netz: "Verpixelungen von Kindern bringen nur wenig: Einerseits können sie teilweise zurückgerechnet werden, auf der anderen Seite kann man trotzdem vulnerable Informationen wie Grösse, Kleidung und Haarfarbe über das Kind gewinnen." Entsprechendes gelte für Smileys auf dem Gesicht oder Aufnahmen des Kindes von hinten.
Posten im WhatsApp-Chat? Auch davor wird gewarnt
Bilder nur mit dem Bekanntenkreis zu teilen, halten die Experten ebenfalls nicht für sicher. Wer sagt, dass einer dieser Freunde das Bild nicht auch teilt? "Die Kontrolle liegt nicht mehr bei Ihnen, sobald Sie das Bild aus der Hand geben", warnt Vikotoria Jerke, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes und seit Jahren mit dem Thema befasst.
Fotos als WhatsApp-Status oder Profilbild einzustellen, hält auch der Cyberkriminologe Rüdiger für unklug. "Alle Studien sagen, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder meist im sogenannten sozialen Nahbereich ausgeübt wird: von Familie, Verwandten, Freunden." Statt Fotos in Chat-Gruppen zu posten, empfiehlt er eine digitale Bildergalerie auf dem heimischen Tablet oder ein selbst gebasteltes Fotobuch.
Steilvorlagen für Mobbing
Würde ich solch ein Bild von mir selbst im Netz sehen wollen? Das sollten sich Eltern fragen. Der erste Gang aufs Töpfchen oder das Einnicken mit offenem Mund auf dem Babystuhl: Dass das sehr intime Momente ihres geliebten Kindes sind, scheinen viele vollkommen zu vergessen. "Für den späteren Teenager sind solche Aufnahmen höchst peinlich", sagt Jerke im Gespräch mit unserer Redaktion. "Vor allem liefern Eltern möglichen künftigen Mobbern ihres eigenen Kindes geradezu Steilvorlagen." Sie warnt: "Das Internet vergisst nichts. Was ich dort hineinstelle, bleibt."
- Tipp: Posten Sie keine Fotos von Kindern in peinlichen oder unangenehmen Situationen. Überlegen Sie: Würden Sie ein solches Foto von sich selbst auch im Netz teilen?
Eltern sollten laut der Initiative "Schau hin!" ihre Kinder - sofern sie selbst schon posten - auch dabei unterstützen, herauszufinden, ob ein Bild wirklich für die Öffentlichkeit bestimmt sein soll - oder ob es einem später unangenehm sein könnte. Was im ersten Moment lustig oder provokant gemeint ist, können Jugendliche später bereuen.
Persönlichkeitsrechte des Kindes werden verletzt
Posten von Kinderfotos ist aber nicht nur eine moralische, sondern auch eine juristische Frage: "Kinder besitzen Persönlichkeitsrechte", betont der Jurist Christian Günther im Gespräch mit unserer Redaktion. Jeder Mensch bestimmt danach selbst, wie er sich in der Öffentlichkeit darstellt und was er ihr über sich mitteilt. "Wer also gegen den Willen des Kindes Fotos und Videos postet, kann ihre Persönlichkeitsrechte wie das Recht am eigenen Bild verletzen."
Zunächst entscheiden Eltern hier für ihre Kinder und müssen die Interessen ihrer Kinder wahren: "Sie müssen bedenken, welche Folgen die Veröffentlichung für diese haben kann. Was einmal im Internet gelandet ist, lässt sich später nicht mehr kontrollieren."
Sobald das Kind in der Lage ist, selbstständige Entscheidungen zu treffen, müssen die Eltern das Kind um Erlaubnis fragen, bevor sie ein Bild des Kindes posten. Das kann je nach dessen Entwicklung in einem unterschiedlichen Alter der Fall sein, meist wird von einem Alter von 14 Jahren ausgegangen.
Tatsächlich verletzen aber Eltern häufig die Persönlichkeitsrechte der Kinder. Das fand die Pädagogik-Professorin Nadia Kutscher von der Uni Köln heraus. Gemeinsam mit dem DKHW führte sie eine Studie zur Mediennutzung in Familien durch: "Kinder selbst haben oftmals genaue Vorstellungen davon, wer welche Bilder von ihnen sehen darf. Sie möchten auch an den Entscheidungen beteiligt werden. Aber die Eltern fragen sie in der Regel gar nicht", sagte Kutscher der dpa.
Tipps:
- Beziehen Sie Ihre Kinder mit ein. Fragen Sie sie, bevor Sie ein Bild von ihnen posten.
- Unterstützen Sie Ihre Kinder dabei herauszufinden, ob ein Bild wirklich für die Öffentlichkeit bestimmt sein soll - oder ob es einem später unangenehm sein könnte. Dazu rät aktuell wieder die Initiative "Schau hin!". Auf keinen Fall sollten laut der Initiative peinliche oder zu freizügige Aufnahmen geteilt werden. Was im ersten Moment lustig oder provokant gemeint ist, können Jugendliche später bereuen.
Teils wird laut Kutscher der ausdrückliche Wunsch der Kinder, nicht gezeigt zu werden, von den Eltern sogar übergangen – mit der Begründung: "Aber das sieht doch so witzig aus." Das kann laut dem Juristen Günther durchaus eines Tages sogar vor Gericht enden: "Kinder können wegen der Persönlichkeitsrechtsverletzung Unterlassung und Schmerzensgeld verlangen. Eltern müssen dafür sorgen, dass das Bild aus dem Netz verschwindet und dürfen es nicht erneut veröffentlichen."
Eltern geben Nutzungsrecht weiter
Ein weiteres Problem: Das Urheberrecht der Bilder liegt zwar bei dem Ersteller des Fotos oder Videos, doch was Eltern dabei nicht immer bedenken: "In ihren Nutzungsvereinbarungen räumen sich auch Facebook, WhatsApp, Instagram, Google, YouTube, Snapchat, TikTok und andere Nutzungsrechte ein", erklärt Günther: "Diesen Bedingungen muss jeder bei der Anmeldung zustimmen."
Das heisst: Facebook & Co. dürfen die Werke für weitere Zwecke und kostenlos verwenden, also auch Dritte weltweit zur Nutzung berechtigen. "Selbst wenn Sie den Account löschen, können beispielsweise geteilte Fotos auf Facebook oder Instagram weiterhin erscheinen", sagt Günther.
Wut der Kinder droht
Normalerweise sei es Aufgabe der Eltern, die Risiken für ihre Kinder zu minimieren, sagt Rüdiger: "Im Netz erhöhen Eltern die Risiken sogar noch, vor allem durch Kinderbilder". Eltern, die Fotos vom Nachwuchs hochladen, stellten ihre Bedürfnisse über die ihrer Kinder. Viele Eltern könnten gar nicht überblicken, was die Präsenz ihrer Kinder im Netz bedeute. Es gebe Seiten, die vollautomatisch Bilder von Instagram-Accounts kopieren und im Netz anbieten. Er berichtet auch von Fällen, in denen Fingerabdrücke über Instagram-Bilder erkannt und identifiziert werden konnten", berichtet Rüdiger.
Als weiteres besorgniserregendes Beispiel für die stetige Verbesserung der Technik nennt er künstliche Alterungssoftware: Dadurch sei es möglich, dass eine Person im Alter einmal "vollautomatisch" auffindbar sei durch ein Kinderbild, das heute gepostet wird. "Damit kann es passieren, dass dem Kind schon in jüngsten Jahren die Möglichkeit genommen wird, eine eigene oder auch gar keine digitale Identität zu entwickeln". Seine allgemeine Warnung: "Was aus den vorhandenen Bildern noch in der Zukunft ausgelesen werden kann, ist jetzt noch gar nicht ersichtlich."
Verwendete Quellen:
- dpa
- Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes
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