Im Durchschnitt ziehen Kinder mit 22 bis 24 Jahren von daheim aus. Das ist für das Finden des eigenen Weges ein wichtiger Schritt. Weshalb finanzielle Aspekte vor einem Umzug abgeklärt werden sollten und warum es ein gutes Zeichen ist, wenn Ihr Kind Hilfe ablehnt.
Nesthocker mit Vollpension im Hotel Mama? Das scheint zumindest in Deutschland kein Thema zu sein. Laut dem Statistischen Bundesamt ziehen Kinder mit durchschnittlich 23,6 Jahren bei den Eltern aus – immerhin drei Jahre früher als der EU-Durchschnitt.
Töchter sind mit 22,7 Jahren noch etwas eher dran als die Söhne mit 24,4 Jahren, schlüsselt Elisabeth Raffauf die Statistik auf. Die Diplom-Psychologin und Autorin ist der Meinung: "Mit zwanzig Jahren sollten Kinder auf jeden Fall raus." Nach der Pubertät als Ablösungsphase sei ein guter Zeitpunkt, ein eigenes Leben zu führen.
Den eigenen Weg finden – lässt sich besser woanders
"Die jungen Erwachsenen müssen ihren Weg suchen und finden und das geht viel besser, wenn sie nicht mehr zu Hause wohnen", sagt die Psychologin. Zu Hause würden sie sagen: "Mama, ich weiss ja sowieso, dass du dich kümmerst", aber woanders müssten sie es selbst machen.
Erziehung hat von Beginn an die Selbstständigkeit im Blick, heute mehr denn je, sagt Orientierungs-Coachin Katja von Glinowiecki. In der Regel zögen Kinder von zu Hause aus, wenn die erste Ausbildung, oft sei das die Schulzeit, abgeschlossen sei. Von selbst ergibt es sich zum Beispiel, wenn junge Leute die Zusage für einen Studienplatz aus einer anderen Stadt bekommen.
Das Thema fällt also nicht völlig unvermutet vom Himmel. Trotzdem kann es ein besonderer Moment sein, es konkret anzuschneiden. "Kinder können das viel leichter ansprechen, wenn sie wissen: Die Eltern wollen, dass ich meinen eigenen Weg mache, aber gleichzeitig kann ich jederzeit kommen, wenn etwas schwierig ist", beschreibt Raffauf gute Voraussetzungen.
Finanzielle Aspekte im Vorfeld besprechen
"Der Haken ist oft der finanzielle Aspekt", sagt Coachin von Glinowiecki. "Kann ich es mir leisten, auszuziehen? Wo kommt die Miete her? Gut ist, wenn über solche Dinge immer schon offen in der Familie gesprochen wurde." Das heisst, dass das Bewusstsein, was Dinge kosten und was man sich leisten kann und will, nach und nach im Alltag wächst. Dann fällt es leichter, alle Möglichkeiten miteinander durchzugehen.
Denn egal, ob es in eine WG oder eine eigene Wohnung gehen soll, die Eltern hängen bei der Finanzierung oft mit drin. "Es sollte um zwei Fragen gehen: Was brauchst du? Was können wir?", sagt Raffauf. Haben die Eltern viel Geld, kann man die zweite Frage abwandeln in: Was halten wir für richtig? "Wenn die Eltern blind alles zahlen, lernen die Kinder nicht wirklich, selbstständig zu werden."
Eltern, denen das möglich ist und die gerne vorausschauend planen, haben vielleicht mit Blick auf einen Auszug schon Geld beiseitegelegt. Oder der Nachwuchs selbst hat mit Jobs etwas angespart. Nicht nur bezüglich der Finanzen ist eines tröstlich: Auszug ist ein Prozess. Vom ersten Plan bis zur Umsetzung vergeht Zeit, in der Dinge ausgelotet, geklärt und entschieden werden können.
Nachwuchs mitdenken lassen, Dritte einbeziehen
"Wenn Eltern ihre Kinder mitdenken lassen in diesem Prozess, ist meine Erfahrung, dass es nicht zu Konfliktsituationen kommen muss", sagt Orientierungs-Coachin von Glinowiecki. "Wichtig ist, von beiden Seiten mal neutral draufzuschauen", so ihre Erfahrung. "Da hilft es, bei einem Gespräch noch eine dritte Person dabei zu haben, das kann auch jemand aus der Familie oder ein Freund sein."
Offen und ehrlich reden ist auch das A und O, wenn es an die Einrichtung des eigenen WG-Zimmers oder der kleinen Wohnung geht. Eltern müssen akzeptieren, wenn das Kind nicht den ausrangierten Tisch von Tante Trude in der Küche stehen haben will.
Die jungen Erwachsenen wiederum sollten Angebote aus dem Familien- und Bekanntenkreis durchaus wertschätzen, sich aber auch auf ihren eigenen Geschmack verlassen. "Man kann zweierlei tun: Sich einerseits für das Angebot bedanken und gleichzeitig für sich selbst wissen: Will ich das oder gefällt mir das gar nicht?", sagt Psychologin Raffauf.
Irgendwann ist es dann so weit: Das Kind ist aus dem Nest heraus. "Für die Eltern ist das Loslassen meist schwieriger als für das Kind", sagt Katja von Glinowiecki. Das darf man sich auch ruhig eingestehen. "Viele Eltern sind gleichzeitig irgendwie traurig und auch froh", beobachtet Elisabeth Raffauf. "Diese Ambivalenz ist normal." Ein Lebensabschnitt geht zu Ende, aber etwas Neues fängt an – nicht nur für das Kind, auch Eltern können die entstehenden Freiräume neu füllen.
Lesen Sie auch: Pubertät als schwierige Zeit? Warum es häufig auch am Verhalten der Eltern liegt
Hilfe wird abgelehnt? Zeichen der Selbstständigkeit
Wie sich das Miteinander von Eltern und ausgezogenem Nachwuchs weiter gestaltet, hängt von vielen Faktoren ab: Wohnen Sohn oder Tochter noch in derselben Stadt? Wie gern nehmen sie Hilfe von Mama und Papa noch in Anspruch?
Raffauf erinnert sich, dass sie ihrem Sohn angeboten habe, weiter seine Bettwäsche zu waschen. "Das war von mir wohl der Wunsch, noch etwas für ihn machen zu können", lacht sie. "Ach Mama, lass mal", habe der geantwortet. Letztlich habe sie sich über seine Selbstständigkeit gefreut. Wichtig sei, über so etwas reden zu können.
Wenn Kindern ein Auszug leichtfällt, dürfen Eltern ihrer Ansicht nach eines wissen: "Das ist eine Bestätigung dafür, dass sie ganz viel richtig gemacht haben. Denn Kinder können gut gehen, wenn die Bindung gut ist und sie wissen: Ich kann jederzeit nach Hause kommen, aber meine Eltern freuen sich auch, wenn es mir ohne sie gut geht." (dpa/mak)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.