• In einer Patchwork-Familie zu leben, ist eine grosse Herausforderung.
  • Warum der Faktor Zeit so wichtig ist und welchen Fehler Eltern oft begehen, erklärt Therapeutin Anette Frankenberger in unserem Podcast "15 Minuten fürs Glück".
  • Hören Sie die aktuelle Folge - hier und überall, wo es Podcasts gibt!

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In Frankreich heisst sie "belle-mère" (wörtlich übersetzt "schöne Mutter"). Bei uns ist der durch Märchen etwas in Verruf geratene Begriff "Stiefmutter" gebräuchlich, in Skandinavien nennt man Stiefeltern "Bonuseltern". Was aber überall gleich ist: Patchwork-Familien sind keine Seltenheit.

Bedeuten sie denn aber auch mehr "work", also mehr Arbeit? Ja, sagt die systemische Paar- und Familientherapeutin Anette Frankenberger in der aktuellen Folge unseres Podcasts "15 Minuten fürs Glück":

"Vor allem bedeutet Patchwork mehr Beziehungs- und Bewusstseinsarbeit. Das heisst aber natürlich nicht, dass eine 'normale Familie', nur weil sie 'normal' ist, funktioniert. Und dass eine Patchwork-Familie, bloss weil sie zusammengewürfelt ist, nicht funktioniert", sagt die Münchner Therapeutin.

Sieben goldene Regeln für Patchwork-Familien

Ein häufiges Problem beziehungsweise einen typischen Fehler beobachtet sie allerdings, wo immer sich Teile aus Familien zu einer neuen zusammenfügen: "Erstens werden die neuen Partner den Kindern oft zu früh vorgestellt. Hier wird viel zu viel erwartet von Kindern und das viel zu früh. Dann denken die hinzugekommenen Eltern, sie hätten Erziehungsaufgaben für die Kinder – haben sie aber nicht." Die Reaktion der Kinder "Du bist nicht mein Papa!" sei dann schon vorprogrammiert. Und ja, damit hätten sie auch recht: "Es muss klar sein: Papa bleibt Papa und Mama bleibt Mama", betont Frankenberger.

Diese Ratschläge gibt sie Erwachsenen in Patchwork-Konstellationen:

  • Neuen Partner den Kindern nicht zu früh vorstellen! Erst wenn es ernst wird – und nicht als "neuen Elternteil". Das ist nicht die Position des neuen Partners, was er auch verdeutlichen kann mit Sätzen wie: "Ich weiss, ich bin nicht dein Papa …"
  • Miterziehen – ja oder nein? Im Alltag lässt sich erzieherisches Eingreifen wie "Kannst du bitte den Tisch mit abdecken?" kaum vermeiden. Bei grösseren Erziehungsthemen gilt aber Zurückhaltung. Frankenberger nennt es "Erziehen über Bande": Die grossen Themen, Ärgernisse und Ratschläge trägt der hinzugekommene Elternteil an den leiblichen Vater oder die Mutter heran, aber nicht direkt an das Kind.
  • Beziehung wachsen lassen und keinerlei Druck ausüben. Auf keinen Fall – etwa mit grossen Geschenken – anbiedern beim Stiefkind. Das Kind darf mit mir als Stiefmutter- oder -vater eine Beziehung haben, muss aber nicht.
  • Chancen erkennen im "Bonus-Eltern-Status": Eine Stiefmutter kann im besten Fall Dinge sagen oder bei heiklen Themen Ratgeberin sein, gerade weil sie nicht die Mama ist. Es bleibt zwar eine mütterliche oder väterliche Rolle, die aber – anders als in einer normalen Familie – von Freundschaft getragen sein sollte.
  • Der Elternteil, der nicht mit in der Patchwork-Familie lebt: Auch wenn es sehr schwerfällt, darf das Kind den neuen Partner mögen. Wer dafür den Raum gibt, schützt das Kind vor inneren Konflikten.
  • Getrennte Eltern: Schlecht übereinander zu sprechen, hat giftige Folgen und kann zu der fatalen Situation führen, dass sich das Kind von einem Elternteil entfremdet. Deshalb: Negative Gefühle über den Ex-Partner nicht vor oder gar mit den Kindern besprechen, sondern mit anderen Menschen.
  • Das neue Paar muss kein schlechtes Gewissen haben – es ist okay, eine neue Beziehung zu haben. Und nicht die Kinder suchen den Partner aus. Sie haben Platz, aber wir und unsere Auszeiten zu zweit auch. Damit lebt man auch eine gute Partnerschaft vor – ein Vorbild, von dem das Kind später sehr profitieren wird.

Fünf Jahre im Schnitt: Aus Flickenarbeit wird Flickenwerk

Der allerbeste Begleiter für Patchwork-Familien laut Frankenberger: "Grosse, grosse Langsamkeit. Nichts erwarten. Wir sind einfach da, nehmen teil und sehen ganz gemächlich zu, wie so eine Beziehung entsteht", rät sie.

Dieser Faktor Zeit ist auch durch Studien belegt, die das Bundesfamilienministerium im "Monitor Familienforschung" (PDF) zusammengefasst hat. Demnach dauert es durchschnittlich fünf Jahre, bis eine Patchworkfamilie zusammengewachsen ist – eine Spanne, die auch Frankenbergers Erfahrung entspricht. Entscheidend sei dabei, so zeigt die Forschung, das Verhalten der Eltern – wie sie nach der Trennung miteinander kommunizieren.

Weitere wissenschaftliche Befunde beruhigen: Der Grossteil der Kinder, die biologische Eltern und Stiefeltern haben, erlebt laut eigenen Angaben die Beziehung zu beiden als gut. Die sogenannte "Konkurrenzhypothese" gilt als widerlegt, dass beispielsweise zwei "Väter" in Konkurrenz miteinander stehen und schwierig für das Kind sein könnten.

Insofern: Ja, Patchwork ist wahrlich "Flickenarbeit". Doch mit Geduld, respektvollem Umgang und ohne Druck ist der viel passendere Ausdruck eigentlich "Flickenwerk". Es kann etwas Wunderbares entstehen, das so besonders ist wie die einzelnen Personen darin.

Verwendete Quelle: "Stief- und Patchworkfamilien in Deutschland", Bundesministerium für Familie, Monitor Familienforschung, Ausgabe 31.

Podcast "15 Minuten fürs Glück"

Der erfolgreiche Podcast "15 Minuten fürs Glück" von WEB.DE/GMX liefert seit März 2022 konkrete Tipps für den Alltag. Anette Frankenberger eröffnet im Gespräch mit Journalistin Dr. Antonia Fuchs ungewohnte Blickwinkel, die das Leben erleichtern.
Über die Expertin: Anette Frankenberger verfügt über jahrzehntelange Erfahrung als Therapeutin. Sie arbeitet seit 1994 in München als systemische Paar- und Familientherapeutin sowie Supervisorin in eigener Praxis. Seit 1989 ist sie als Dozentin in der Erwachsenenbildung und Erziehungsberatung tätig. Regelmässig hält sie Vorträge zum Themenkreis Partnerschaft, Familie und Erziehung.
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Teaserbild: © Getty Images/golero