Für die lieben Kleinen ist es der Tag im Jahr. An ihrem Geburtstag wollen sie es krachen lassen - vor allem für die Gäste. Kindergeburtstage sind heutzutage häufig Spektakel, für die nicht selten dreistellige Beträge gezahlt werden. Viele Eltern setzt das unter Druck. Warum ist es so weit gekommen?
Blinde Kuh, Reise nach Jerusalem, Stopptanz. Dazu ein Kuchen und abends Pommes mit Würstchen. So oder so ähnlich wurden in vielen Wohnzimmern lange Zeit Kindergeburtstage gefeiert. Ein netter Nachmittag, den man mit Freunden und Familie zu Hause verbrachte und der für die Eltern preislich im Rahmen lag. Doch wer nun Nachwuchs im Kita- und Grundschulter hat, weiss: Diese Zeiten sind vorbei.
Ein Fest, wie es viele aus ihrer eigenen Kindheit kennen, reicht heutzutage häufig nicht mehr aus. Die Ansprüche an Kindergeburtstage sind deutlich gestiegen. Die Partys sollen besonders sein, ausgefallen - und sich am besten von denen anderer Kinder unterscheiden. Und das jedes Jahr erneut.
Kinder laden zu Dino-, Piraten- oder Meerjungfrauparties, bei denen von der Einladungskarte über Deko und Torte bis zur Überraschungstüte mit kleinen Geschenken für die Gäste alles aufeinander abgestimmt ist. Eltern buchen Animateure fürs Kinderschminken und Luftballonmodellieren - oder gleich eine Agentur für das Komplettangebot mit Hüpfburg und Zuckerwatte.
Feiern ausserhalb der eigenen vier Wände sind Standard
Daneben steht ein schier unendliches Angebot, den Ehrentag der Kleinen ausserhalb der eigenen vier Wände zu feiern. Galten Geburtstagsausflüge auf die Bowlingbahn oder zur Fast-Food-Filiale früher noch als aussergewöhnlich, sind Feste in Indoorspielplatz, Klettergarten, Fussballhalle oder Trampolinpark mittlerweile Standard.
Die Nachfrage in dem Bereich sei konstant hoch, sagt etwa eine Sprecherin der Jump House Gruppe, die deutschlandweit Trampolinhallen betreibt. "An den Wochenenden sind wir für Kindergeburtstage oft Wochen im Voraus ausgebucht." Das Basis-Geburtstagspaket inklusive Getränke sowie Pizza oder Muffins kostet dort 33,90 Euro - pro Kind.
Der Kindergeburtstag ist zum Event geworden, für das viele Eltern bereit sind, dreistellige Beträge zu zahlen. Woran liegt das?
Feiern diene den Menschen seit jeher dazu, sich bestimmter Dinge zu versichern, sagt der Soziologe Paul Eisewicht, der auch zu Konsumfolgen und kulturellen Erlebniswelten forscht. Standen dabei etwa im Mittelalter Heilige im Fokus, gewann mit dem Umbruch zur Neuzeit der Mensch als eigenständiges Individuum an Sichtbarkeit.
"Heutzutage haben Kinder eine sehr hohe Wertigkeit und das Kind als eigenes Wesen ist noch mal stärker in den Fokus gerückt", sagt Eisewicht. "Man bringt ihm viel mehr Aufmerksamkeit entgegen, will ihm alle Chancen bieten - und eben auch besondere Erlebnisse."
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Individualität wird mit Anerkennung belohnt
Die Volkskundlerin Gabriele Dafft, die am LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte über Alltagskultur forscht, bezeichnet Kindergeburtstage auch als "Spiegel der Gesellschaft". Das Alleinstellungsmerkmal einer Feier sei Ausdruck von Individualität, die in der Gesellschaft einen grossen Wert habe. "Etwas Individuelles zu machen ist etwas, das anerkannt wird", sagt Dafft. Angebote, die helfen, das umzusetzen, seien für viele Eltern oft eine Entlastung.
Die Planung der Geburtstage ihrer zwei Kinder stresse sie jedes Mal total, sagt etwa Steffi, eine Mutter aus München. "Mein Mann und ich arbeiten beide und haben eh schon genug zu tun." In ihrer Stadtwohnung sei zudem wenig Platz. Ausserdem funktionierten Klassiker wie Sackhüpfen, Dosenwerfen und Schnitzeljagd ab einem gewissen Alter nicht mehr. "Die Erwartungshaltung ist da recht hoch mittlerweile. Mit der Möglichkeit, woanders zu feiern, wird etwas Druck genommen."
Viele Eltern fühlen sich unter Druck gesetzt
Den Druck, den viele Eltern beim Gedanken an die Geburtstagsparty ihrer Kinder verspürten, beobachtet auch Sozialpädagogin Dana Mundt von der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. Das Phänomen "immer grösser und toller" schwinge in vielen Anfragen mit, erzählt sie. Soziale Medien wie Instagram, wo Eltern den scheinbar perfekten Kindergeburtstag wuppten, verstärkten den Druck.
"Es besteht die Sorge, dass das eigene Kind, das etwa bei einer Trampolin-Party zu Gast war, vor seinen Freunden schlechter dasteht, wenn man nur so eine Topfschlag-Party veranstaltet." Dabei spiele auch die Angst eine Rolle, als schlechte Mutter dazustehen. "Wenn sich Eltern im Überbietungswettkampf um den nächsten extravaganten Kindergeburtstag wiederfinden, sollten sie einfach Stopp sagen", rät Mundt.
Die Psychologin und Marktforscherin Birgit Langebartels vom Kölner Rheingold-Institut spricht in diesem Zusammenhang auch von einer "Dramatisierung" von Kindergeburtstagen. Eltern versuchten heute, so viel Kontrolle wie möglich über die kindliche Entwicklung zu haben, seien dabei aber zunehmend verunsichert und von Selbstzweifeln geplagt. Bei Geburtstagen zeige sich das mitunter extrem. "Alles soll perfekt sein." Das führe dann nicht selten zu einer Überfrachtung.
Und zu Enttäuschungen. "Wenn es dann anders läuft als geplant oder ein Kind nicht so funktioniert, wie man es sich vorgestellt hat, droht es schnell zu kippen", sagt die Psychologin.
Wenn das Event wichtiger als der Inhalt wird
Der Erziehungswissenschaftler Ludger Pesch, der unter anderem als Lehrbeauftragter an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) tätig ist, gibt zudem zu bedenken, dass bei einem Geburtstag voller Attraktionen die Idee des Festes schnell in den Hintergrund geraten könne. "Es kann passieren, dass das Event wichtiger wird als der Inhalt." Die Kinder könnten sich vor lauter Zerstreuung dann gar nicht einlassen darauf, worum es eigentlich gehen sollte: "Gemeinsam zu feiern."
Verteufeln sollte man die Entwicklung nach Ansicht von Eisewicht allerdings nicht. "Erst mal ist es ja eine Chance, den Kindern etwas zu bieten, was früher nicht möglich war." Problematisch werde es, wenn das Ganze zu einer Spirale werde, bei der nach immer tolleren Erlebnissen gesucht werde. "Dann steckt man in einem Teufelskreis und es kommt zur Reizabnutzung, die immer wieder durch eine weitere Steigerung kompensiert werden muss."
Wie man der Eventisierungsfalle entkommen kann
Die Experten raten Eltern dazu, sich bei dem Thema weniger verrückt machen zu lassen. Und gemeinsam und in Ruhe mit dem Kind zu überlegen, wie es eigentlich seinen Geburtstag feiern möchte, mit wem - und was möglich ist. "Das kann man ruhig mit dem Kind besprechen", sagt Dana Mundt. "Damit sich die Erwartungshaltung nicht zu hochschraubt."
Doch egal, ob nach jeder kleinen oder grossen Highlight-Party - auch die Tüten mit Gastgeschenken werden immer dicker und voller. Mundt rät Eltern, sich mit ihrem Kind gemeinsam zu überlegen, ob sie etwas Kleines für den Heimweg mitgeben oder eine kleine Erinnerung an den Tag "verankern" wollen. "Das könnte ja auch mal ein schönes oder witziges gemeinsames Foto zum Abschluss sein. Eine Alternative kann auch etwas Selbstmitgebasteltes sein, was alle zusammen nachmittags machen: Freundschaftsbänder à la Bibi & Tina. Wichtig finde ich, dass Eltern sich hier klar sind und es nicht zu gross werden lassen."
Grundsätzlich seien Kindergeburtstage eine gute Sache, betont Pesch. Sie gehörten in der heutigen Gesellschaft dazu, seien ein Baustein des Zusammenlebens. "Ein Geburtstag ist ein herausgehobener Moment. Das zu feiern, ist Ausdruck von Wertschätzung gegenüber den Kindern." (dpa/mak)
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