Mütter leisten oft Übermenschliches, vergessen dabei aber oft eines: sich selbst. Eine Therapeutin schlägt deshalb vor, den Muttertag mal ganz anders zu nutzen.
"Weil Gott nicht alles allein machen und nicht überall sein konnte, schuf er die Mütter." So lautet ein arabisches Sprichwort. Doch ausgerechnet Mütter vergessen gerne, auf sich selbst zu achten. Viele haben es vielleicht von ihren eigenen Müttern oder Vätern auch gar nicht vorgelebt bekommen. Unaufhörlich geben sie, ohne ausreichend an sich selbst zu denken.
Die Münchner Paar- und Familientherapeutin Anette Frankenberger schlägt daher vor, den Muttertag zum "Selbstfürsorge-Tag" zu erklären. Davon würde die ganze Familie profitieren, betont sie im Gespräch mit unserer Redaktion: "Selbstfürsorge ist nicht nur einfach etwas Schönes, sondern eine notwendige Grundlage für das Familienleben: Ich kann mich nur dann gut um andere kümmern, wenn ich selbst gut versorgt bin. Je ausgeruhter ich bin, desto gelassener und liebevoller kann ich sein."
Jeder sollte eine "Was ich liebe"-Liste haben
Selbstfürsorge - aber wie? Frankenberger empfiehlt: "Tun Sie das, was Ihnen guttut, ohne darauf zu warten, dass andere es für Sie tun - um dann am Ende enttäuscht zu sein. Machen Sie sich selbst eine Freude: Blumen kaufen, mit der Freundin spazieren gehen. Fragen Sie sich: Was ist mir wichtig?"
Was dabei helfen kann, ist eine Liste. Frankenberger nennt sie die "Was-ich-liebe-Liste" und erklärt, wie es geht:
- "Schreiben Sie eine Liste mit den Dingen, die Sie gerne machen.
- Halten Sie die Dinge fest, die Sie mit allen Sinnen geniessen. Was tun, riechen, fühlen, hören und sehen Sie gerne?
- Werden Sie dabei möglichst konkret: Welche Schokolade? Welche Musik?"
"Tatsächlich geht es zum einen darum, sich der Dinge, die man liebt, erst einmal so richtig bewusst zu werden", erläutert Frankenberger. "Bei vielen Frauen - und auch Männern - in meiner Praxis beobachte ich: Nach drei Punkten ist die Liste erst mal zu Ende. Sie wissen schon gar nicht mehr, was ihnen eigentlich guttut."
Wenn wir dann im zweiten Schritt umsetzen, was auf unserer Liste steht, nehmen wir diese Dinge bewusster wahr, erklärt Frankenberger: "Erst wenn ich weiss, was mir wichtig ist, geniesse ich es auch entsprechend, wenn ich es dann habe. Das Leben wird ,kost-bar' im Sinne von: Ich koste davon - mit Genuss."
Die Liste könne wunderbare Effekte aufs Familienleben haben: Eine von Frankenbergers Klientinnen hängte ihre zuhause an den Kühlschrank. Als ihre Söhne - acht und zehn Jahre alt - das sahen, schrieben sie ebenfalls ihre Listen und platzierten sie daneben. Einer der Jungs kam mit Blümchen zu seiner Mama: "Ich habe auf deiner Liste gesehen, dass dir das Freude bereitet."
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Kraft tanken ohne schlechtes Gewissen
Es bedürfe keiner grossen Aktionen - die kleinen Fünf-Minuten-Aktionen im Alltag seien das, was uns stärke. „Mir bereitet es zum Beispiel Freude, Himbeermarmelade selber zu kochen und zu essen. So etwas Kleines wahrzunehmen und bewusst zu geniessen, reicht schon, um Kraft zu tanken. Für die eine ist es, sich Blumen zu kaufen. Für die andere, den Kaffee am Nachmittag in aller Ruhe zu trinken."
Entscheidend, aber für viele Mütter nicht selbstverständlich: ohne schlechtes Gewissen zu geniessen: "Schlechtes Gewissen hält uns davon ab, gut für uns zu sorgen. Denken Sie an den Hinweis im Flugzeug: Eltern sollen sich die Sauerstoffmaske erst selbst aufsetzen, dann dem Kind", betont die Therapeutin.
Wie wichtig die Selbstfürsorge ist, veranschauliche dieses fast 1.000 Jahre alte Zitat des bedeutenden Mönches Bernard de Clairvaux:
- "Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weiter gibt, während jene wartet, bis sie erfüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfliesst, ohne eigenen Schaden weiter. Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugiessen und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott. Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst. Wenn du nämlich mit dir selbst schlecht umgehst, wem bist du dann gut? Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle, wenn nicht, schone dich."
Mütter haben hohe Ansprüche an sich selbst
Heute würde man es wahrscheinlich so formulieren: Wir müssen unsere "Akkus regelmässig aufladen". "Eltern müssen nun besonders darauf achten: Was brauche ich? Ist der Schulstoff gerade wichtiger als der Haussegen? Oft läuft es mit dem Lernen wieder viel besser, wenn man einmal ein Stück zurückgetreten ist und gesagt hat: ,Stopp! Das hatten wir uns doch ganz anders vorgestellt. Wie können wir es uns wieder schön machen?'"
Frankenberger beobachtet tagtäglich in ihrer Praxis den hohen Anspruch, den Mütter an sich selbst haben: "Sie haben ein Bild davon, was perfekt ist. Dieser Perfektion kann ich ein Leben lang nur nachrennen, aber ich kann sie nie erreichen. Es ist wichtig, sich klarzumachen: Wo es um Familie und Kindererziehung geht, ist ,gut genug' oft wirklich gut genug. Wenn ich schon auf dem Zahnfleisch gehe, bin ich auch den anderen keine Hilfe mehr. Die Bedürftigkeit der Kinder ist dann nur noch eine Last."
Kinder mithelfen lassen
Viele scheuten sich auch davor, die Kinder im Haushalt einzubinden: "Mütter meinen, die Kinder damit nicht belasten zu dürfen." Dabei sei es wichtig, sie mithelfen zu lassen: "Erstens lernen sie so diese Tätigkeiten. Zweitens merken sie, dass das nicht nur der Job der Mutter ist. Das Familienleben gestalten alle zusammen!"
Jeder brauche dabei auch Auszeiten: "Wenn Ihnen ein Mittagsschlaf guttut, kündigen Sie den Kindern an, dass sie in einer halben Stunde wieder für sie da sind. Die Kinder lernen dann, dass sie sich darauf verlassen können - und dass ihre Mama den Tag besser meistert, wenn sie ausgeruht ist. Kinder profitieren von einer Mama, der es gut geht und die ihre Ressourcen kennt und pflegt. Das gilt selbstverständlich auch für Papas."
Eltern seien hier auch wichtige Vorbilder: "Ich trinke meinen Tee nicht gehetzt, während ich tausend andere Sachen erledige, sondern mache es mir schön. Diese Langsamkeit, das Geniessen und die Wertschätzung, von Dingen zu lernen, ist für Kinder wichtig. Das Recht, auch mal in Ruhe gelassen zu werden, haben Grosse wie Kleine."
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