Die meisten kennen ihn als humorvollen TV-Mediziner: Dr. Johannes Wimmer ist regelmässig im Fernsehen zu sehen, unter anderen beim Magazin Visite und in seiner eigenen Sendung. Darüber hinaus spricht er in seinen Videos auf YouTube über Gesundheitsthemen.
Er selbst hat allerdings eine schwere Zeit hinter sich: Nur wenige Monate nach der Geburt starb seine kleine Tochter Maxi. Über diese Zeit und über das, was ihm Kraft gegeben hat, hat der Mediziner nun ein Buch mit dem Titel "Wenn die Faust des Universums zuschlägt" geschrieben.
Herr
Johannes Wimmer: Ich weiss sehr gut, wie sich Einsamkeit anfühlt und wie es ist, wenn einem ein Herzensmensch viel zu früh entrissen wird. Anders als heute wurde damals nicht über den Tod gesprochen, vor allem nicht mit Kindern. Ich erinnere mich noch daran, dass meine Oma monatelang schwarz getragen hat und nicht mehr gelacht hat, weil "sich das ja nicht gehöre". Das war schrecklich für mich. Einen geliebten Menschen zu verlieren, tut unfassbar weh, das wird man niemals ändern können. Was man aber ändern kann, ist die Art, wie man mit dem Verlust umgeht. Heute weiss ich, dass es guttut, darüber offen zu reden und nicht nur gemeinsam zu weinen, sondern auch zu lachen. Mein Umfeld schenkt mir ganz viel Kraft, aber vor allem habe ich in mir selbst durch das Erlebte eine Ruhe gefunden, mit der ich auch dem schwersten Sturm des Lebens etwas entgegenzusetzen habe.
Sie beschreiben, wie Sie mit Ihrer Tochter Maxi beim Arzt waren, weil Sie das Gefühl hatten, dass etwas nicht stimmt. Es konnte aber nichts festgestellt werden. Was können Sie - sowohl als Arzt aber auch aus Ihrer persönlichen Erfahrung – Eltern raten, die das Gefühl haben, dass mit ihrem Kind etwas nicht in Ordnung ist, auch wenn die Ärzte nichts finden?
Man sagt, dass das Bauchgefühl die Summe aller emotionalen Erfahrungen sei. Auch wenn der Kopf rational sagt, dass alles stimmen müsste, da keine Werte oder Untersuchungen auffällig sind, täuscht uns das Bauchgefühl selten. Es ist aber ein Unterschied, ob ich denke "Oh ja, ich hoffe mein Kind hat nicht diese oder jene schwere Erkrankung" oder wenn man mit jeder Faser spürt, da stimmt was nicht. In den Fällen ist es wichtig, hartnäckig zu bleiben.
Dr. Wimmer: "Wir haben in dieser Zeit viel von Maxi lernen können"
Was hat Ihnen in dieser Zeit am meisten geholfen?
Wir wussten irgendwann, dass die Reise mit Maxi zu einem Ende kommen wird. Das ist eine traurige Gewissheit, die schmerzt. Doch haben wir als Familie in dieser Zeit auch viel von Maxi lernen können. Zum Beispiel wie wichtig es ist, jeden Tag gemeinsam schöne Momente zu kreieren, die uns keiner mehr nehmen kann. Wir waren vorbereitet und konnten uns langsam von ihr verabschieden. Ich denke ständig an Maxi, doch möchte ich dabei nicht nur traurig sein. Es ist eine schöne Wehmut, die uns für immer begleiten wird.
Für Eltern ist es das Schlimmste, was man sich vorstellen kann: Das eigene Kind erkrankt schwer und stirbt. Oft ist das Umfeld überfordert. Viele wissen nicht, wie sie mit den Eltern umgehen sollen, und ziehen sich zurück, weil sie nichts falsch machen wollen. Wie hilft man als Aussenstehender eigentlich am meisten?
Es sind die kleinen Dinge, die manchmal am meisten helfen. Das kann ein warmes Essen, ein Einkauf oder ein Filmabend sein. Es ist wichtig, ganz konkret zu fragen, wie man jemandem in einer solchen Situation helfen kann: "Habt ihr genug zu essen zu Hause?" "Wann wurde das letzte Mal saubergemacht?" "Was macht ihr morgen Abend?". Das hilft alles viel mehr als der Satz "Wir sind immer für Euch da" oder "Wir denken an Euch". Gedanken mögen eine schöne Idee sein, aber wenn man Betroffenen hilft, dass ein warmes Essen auf den Tisch kommt, ist das sehr viel mehr wert. Mir ist aber ganz wichtig, dass man vor allem sich selbst in einer solchen Situation helfen kann, indem man sich an Vertrautem festhält, den Tag strukturiert und die kleinen Augenblicke des Lichts als solche annimmt und bewahrt.
Sie haben Ihrer Tochter nach ihrem Tod vertraute Kleidung angezogen und sie auf dem Sofa aufgebahrt, damit Sie und auch Ihr Umfeld Abschied nehmen konnten. Inwiefern haben Sie das als heilsam erlebt und inwiefern würde ein anderer Umgang mit dem Thema Tod uns helfen?
Dass man sich zu Hause von einem Menschen verabschiedet, der von uns gegangen ist, kannte ich eigentlich nur aus den Erzählungen über meine Urgrosseltern. Als sie auf ihrem kleinen Bauernhof starben, kam die Familie und das Dorf zusammen, um Abschied zu nehmen. Dieses Bild aus den Erzählungen meiner Mutter hat in mir immer eine innere Wärme verursacht und so war es eher ein Bauchgefühl, es so zu machen. Ich beschreibe den Tag im Buch sehr genau und bin bis heute unendlich dankbar, dass wir ihn so gestalten und erleben durften.
"Nach der Geburt habe ich erstmal durchgezählt, ob wirklich alles da und dran ist"
Sie haben inzwischen eine weitere Tochter bekommen – gut neun Monate, nachdem Maxi gestorben ist. Sie sagen, dass Sie das Gefühl haben, dass die Seelen sich unterwegs begegnet sind. Das finde ich sehr berührend. Konnten Sie die Schwangerschaft unbefangen geniessen?
Ich bin ja Mediziner und da ist im Kopf immer irgendwo noch ein kleines Fragezeichen oder die Überlegung "dies und jenes kann man vor der Geburt gar nicht rausfinden, das sieht man erst, wenn das Kind auf der Welt ist" versteckt. Ich bin also, wie sagt man, vorsichtig optimistisch mit meiner Frau durch die Schwangerschaft gegangen. Nach der Geburt habe ich dann der Hebamme über die Schulter geschaut und erstmal durchgezählt, ob auch wirklich alles da und dran ist (lacht).
Wie haben Sie es geschafft, sich nicht von der Faust des Universums zerschlagen zu lassen, die Sie im Buchtitel beschreiben?
Ich möchte dem, der das Buch liest, zeigen, dass er oder sie nicht allein ist. Und dass es okay ist, sich zu fühlen, wie man sich in schweren Momenten des Lebens fühlt, dass es aber auch immer einen Weg gibt. Ich erwarte von niemandem, dass er die Dinge so macht, wie ich sie gemacht habe, aber ich möchte zeigen, wie wertvoll es ist, Momente bewusst zu gestalten. So schafft man aus schrecklich traurigen Momenten auch schön traurige Momente. Für mich persönlich habe ich aber zwei Möglichkeiten gesehen: Entweder gebe ich mich geschlagen oder ich nehme das Schicksal an und lebe für meine Familie und mich das Leben weiter, bewusst und gefüllt mit schönen Momenten, die einem keiner mehr nehmen kann. Dieses Buch nimmt die Berührungsangst vor diesem schweren Thema, denn auch wir haben in dieser Zeit Wege gefunden, zu lachen und unsere gemeinsame Zeit zu geniessen. Tatsächlich gibt es in dem Buch immer wieder Momente, bei denen man lachen muss. Lachen und Weinen liegen eben nah beieinander.
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