- Die Vaterrolle hat sich in den vergangenen Jahren verändert.
- Väter haben und nehmen sich heute mehr Zeit für ihre Kinder. Aber was macht einen guten Vater aus? Und wie problematisch ist es, wenn Jungen ohne Vater aufwachsen?
Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Männer in der Rolle des Familien-Ernährers festgelegt - die einen freiwillig, die anderen nicht. "Der Vater war für die Familie da, indem er weg war, also beispielsweise den ganzen Tag in der Fabrik gearbeitet hat", sagt Alexander Cherdron, Arzt und Psychotherapeut aus Wiesbaden. Bei der Erziehung sollte sich der Vater möglichst raushalten.
Heute ist das anders. Väter sehen wieder verstärkt ihre erzieherische Rolle, viele wollen sich von Beginn an bei der Entwicklung ihres Kindes einbringen. Sie nehmen an Geburtsvorbereitungskursen teil, sind bei der Geburt ihres Kindes dabei und können sich auch dank neuer Möglichkeiten wie Elternzeit früh an der Erziehung beteiligen.
Auch das Selbstbild des Vaters ist heute ein anderes. "Die Generation der neuen Väter ist viel selbstreflektierender", so Cherdron weiter. Väter könnten ihre Rolle heute mehr gestalten, sie würden aber auch stärker von der Gesellschaft herangezogen. "Heutzutage würde kein Vater mehr sagen, dass er sich vor dem Windelnwechseln drückt", sagt der Psychotherapeut.
Väter gehen anders mit Kindern um
Bei der Erziehung des Kindes haben Mütter und Väter unterschiedliche Rollen. Väter geben neben der engen mütterlichen Welt einen zweiten Weg vor, sie helfen bei der Autonomieentwicklung und bei den Söhnen bei der Entwicklung des männlichen Identitätsgefühls. "Im besten Falle entwickeln Väter und Söhne frühzeitig eine enge emotionale Beziehung, die unabhängig zur Beziehung zur Mutter ist", sagt Michael Matzner, Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Fresenius in Heidelberg.
Vor allem im Spiel gehen Väter anders mit Kindern um, was für die Motorik und die körperliche Entwicklung wichtig ist. "Väter haben oft einen gröberen, aufregenderen Körperkontakt. Sie sind eher taktil, auf Anfassen und Bewegung hin ausgerichtet, während Mütter eher emotional orientiert und auf Nähe bedacht sind", verdeutlicht Matzner.
Psychotherapeut Cherdron beschreibt das in einer Metapher: "Die Mutter ist der sichere Hafen, der Vater bereitet auf die raue See vor." Was zuerst etwas grob klingt, ist für die Entwicklung insbesondere der Söhne wichtig. "Väter sollen ihre Söhne an Grenzen führen. Toben und Reibung fördern den konstruktiven Umgang und die Modulation von Emotionen, die Ausbildung von Frustrationstoleranz und das Aneignen von Regeln", erklärt Alexander Cherdron. So führe diese spielerische Auseinandersetzung mit dem Vater zu einer konstruktiven Kanalisierung der körperlichen Aggressionen und Kräfte.
Selbst bei der sprachlichen Entwicklung ist der Vater nicht unbedeutend. Michael Matzner verweist auf wissenschaftliche Untersuchungen, in denen festgestellt wurde, dass Väter anders mit ihren Kindern sprechen. Ihr Vokabular sei präziser und komplexer und weniger vorhersagbar.
Wenn der Junge keinen Vater hat
Jungen haben ein Bedürfnis nach männlichen Bezugspersonen. Sind Väter für die Erziehung nicht anwesend, geht das oft nicht spurlos an den Söhnen vorüber. Studien zeigen, dass bei Jungen mit Sprachschwierigkeiten, mit höherem Aggressionspotenzial und mit ADHS die Anzahl von vaterlos aufgewachsen Kindern höher ist. Es gibt auch Zusammenhänge zur Höhe des Schulabschlusses und fehlender Sprachentwicklung.
Die Forschung stelle bei vielen vaterlosen Jungen immer wieder auffällige Mängel auf der sozialen, moralischen, geistigen und psychosexuellen Ebene fest, sagt Michael Matzner. "Auffällige Jungen, die zu extremen Regelverletzungen, Grenzüberschreitungen und aggressivem Verhalten neigen, sind sehr oft mehr oder weniger vaterlos aufgewachsen.
Ein Beispiel seien rechtsradikale junge Männer. Sie müssten sich stärker ihrer Männlichkeit versichern, sagt Matzner und verweist auf eine Untersuchung, nach der gut die Hälfte von ihnen aus zerbrochenen Familien stamme. Das Problem sei die mangelnde Anerkennung zu Hause. "Im Unterschied zu vaterlosen Jungen verhalten sich Jungen mit präsenten Vätern in der Regel nicht besonders auffällig oder aggressiv, da sie ja die Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Väter haben und nicht erringen müssen."
Der fehlende Vater könne zwar in gewisser Weise kompensiert werden, sagt Alexander Cherdron. "Ein Onkel, der Grossvater oder ein Nachbar, der vielleicht keine Kinder hat, können den Vater-Hunger ein Stück weit stillen. Den Vater richtig ersetzen können sie häufig nicht."
Anders sei es, wenn der Vater früh gestorben ist. Es sei in der Familie dann oft psychisch positiv präsent, die Kinder fühlten sich weniger verlassen, so Michael Matzner.
Was macht einen guten Vater aus
Auf die Frage, was einen guten Vater ausmacht, antwortet Alexander Cherdron: "Ein guter Vater muss engagiert und involviert sein und liebevoll mit seinen Kindern umgehen. "Die physische Anwesenheit reicht nicht. Vaterschaft kann nur wirken, wenn sie mit Haut und Haaren und ganzer Seele involviert sind."
Für die Erziehung sei ein "Weichei-Vater" genauso Gift wie ein "autoritärer Basta-Vater", der alles im Keim erstickt. Ideal sei ein "weiser Herausforderer", sagt Cherdron: "Er muss einerseits Grenzen setzen und andererseits fördern. Der Sohn lernt dadurch, mit seinen Aggressionen umzugehen und eine Frustrationstoleranz auszubilden, aber auch keine übermässige Angst vor Autoritäten zu entwickeln."
Als problematisch sieht der Psychotherapeut, wenn Väter unbewusst Phantasien auf die Söhne übertragen und subtil eigene Wünsche oder Aufträge vermitteln. "Du sollst etwas Anständiges werden. Du sollst einmal Nobelpreisträger werden oder bei Bayern München spielen", nennt er als Beispiele.
Es gebe auch Väter, die seien neidisch und würden solche Sätze sagen, wie: "Ich hätte es auch gern so gut gehabt wie du. Ich durfte kein Abitur machen." Auch das sei kontraproduktiv für die Vater-Sohn-Beziehung und würde das Kind unter Druck setzen, sagt Cherdron.
Vaterrolle ändert sich
Im Laufe der Entwicklung ändert sich die Rolle zwischen Vater und Sohn. Im frühen Grundschulalter neigen Jungs dazu, ihre Väter zu idealisieren, später wird der Vater zur Angriffsfläche. Alexander Cherdron spricht hier von der Wandlung vom "Helden" für das Kind hin zum "Vollpfosten" in der Pubertät."Die Vaterrolle muss im Laufe der Entwicklung des Jungen angepasst werden", sagt Cherdron. In der Pubertät sei es dann die Reibung, der Kampf, wo der Vater sehr stark zur eigenen Identität des werdenden Erwachsenen beitrage und ihm auf Augenhöhe begegnen sollte. Dabei sei es oft wichtig, milde zu reflektieren und zu sagen, dass manche Aktionen wichtig für diese Phase sind.
Auch nach dem Auszug des Sohnes aus dem Elternhaus stehen Vater und Sohn ein Leben lang in einer besonderen Bezogenheit. Das sei anders als bei Töchtern, sagt Alexander Cherdron. Die Tochter liebt den Vater oder eben nicht. Für den Sohn diene der Vater dagegen weiterhin zur eigenen Identifizierung. "Der Vater ist für den Sohn immer ein Vergleich, es wird immer einen Mix aus Liebe, Idealisierung und Reibung zwischen den beiden geben."
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