Die Blue Zones faszinieren Wissenschaftler:innen: Nirgends sonst werden die Menschen so alt und bleiben so lange gesund. Was können wir von den Blue Zones lernen?
2005 erschien in der Zeitschrift "National Geographic" der Artikel "The Secrets of Long Life" von Dan Buettner. Dieser reiste zusammen mit einigen Wissenschaftler:innen jahrelang durch die Welt, um Gegenden zu finden, in denen die Menschen am ältesten werden und am längsten gesund bleiben. Er identifizierte fünf solcher "Blue Zones":
- Ikaria in Griechenland
- Okinawa in Japan
- Ogliastra auf Sardinien
- Loma Linda in Kalifornien
- die Halbinsel Nicoya in Costa Rica
Buettner befragte die Menschen dort zu ihrer Lebensweise. Auf diese Weise wollte er herausfinden, weshalb viele von ihnen so alt werden. Gibt es womöglich Gemeinsamkeiten, die es ermöglichen, das Geheimnis eines langen Lebens zu lüften?
Übrigens: Seit August 2023 läuft auf Netflix die Miniserie "Wie wird man 100 Jahre alt? Die Geheimnisse der Blauen Zonen", in der Dan Buettner in die Blue Zones reist.
1. Blue Zone: Ikaria in Griechenland
Ikaria ist eine griechische Insel mit etwa 8.000 Einwohnern, die unter anderem dadurch hervorsticht, dass sie weltweit eine der niedrigsten Sterberaten im mittleren Alter hat. Buettner führt dies unter anderem auf die als sehr gesund geltende Mittelmeerdiät mit viel Gemüse, Olivenöl und Fisch zurück.
Ein Einwohner dagegen glaubt, neben dem vielen biologisch angebauten Gemüse und dem sauberen Wasser sei es vor allem der stetige Wind vom Meer, der so gesund sei. Andere Bewohner:innenheben die besondere Herzlichkeit und den Sinn für Gemeinschaft auf der Insel hervor.
2. Blue Zone: Okinawa in Japan
Okinawa ist ebenfalls eine Insel im Süden von Japan. Auf ihr herrscht ein subtropisches Klima, in dem die Menschen unter anderem Süsskartoffeln, Soja und viele Gemüsesorten anbauen. Zur Blue Zone wurde Okinawa vor allem, weil dort die ältesten Frauen leben, erklärt National Geographic.
Das Magazin Spektrum führt das nicht nur auf die grossteils pflanzliche Ernährung und massvolles Essen zurück, sondern auch auf das Prinzip "Ikigai": Das Wort bedeutet so viel wie "lebenswert" und ist im Leben der Japaner:innen und insbesondere auf Okinawa fest verankert. Wichtiger als materieller Erfolg ist es, dass man im Leben seine Berufung findet und lebt – bis ins hohe Alter. Buettner berichtet in seinem Artikel beispielsweise von über 80-Jährigen, die noch täglich für den jährlichen Zehnkampf trainieren.
3. Blue Zone: Ogliastra auf Sardinien
Die Region Ogliastra auf Sardinien ist als Blue Zone dafür bekannt, dass hier die ältesten Männer weltweit leben. Viele von ihnen arbeiten bis ins hohe Alter als Hirten. Sie glauben, dass sie vor allem durch ihregesunde Ernährung so alt werden: Auf dem Speiseplan stehen hauptsächlich pflanzliche Lebensmittel wie Kartoffeln, Bohnen, Getreide und Gemüse, ausserdem Milchprodukte von den Weidetieren, die viele Omega-3-Fettsäuren enthalten. Spektrum zufolge werden die Menschen hier besonders alt, weil sie ihr Leben lang in der Familie bleiben und ihr Ansehen mit dem Alter immer grösser wird.
4. Blue Zone: Loma Linda in Kalifornien
In der Kleinstadt Loma Linda in Kalifornien leben besonders viele Siebenten-Tags-Adventist:innen. Diese christliche Religionsgemeinschaft ist schon länger Gegenstand der Forschung: In den "Adventist Health Studies" wurde über 40 Jahre hinweg untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen den Ernährungsgewohnheiten der Adventisten und ihrer hohen Lebenserwartung gibt. Buettners Reportage zufolge leben sie vier bis zehn Jahre mehr als durchschnittliche Kalifornier:innen. Die Wissenschaftler glauben, dass die Bewohner seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs erkranken, weil die Adventisten sich pflanzlich und natürlich ernähren.
Adventisten aus der Blue Zone Loma Linda sagen aber auch, ihr Glaube halte sie gesund. Das ist nicht auszuschliessen: Einige Wissenschaftler:innen haben nachgewiesen, dass Menschen, die einen starken Glauben haben und regelmässig in die Kirche gehen, im Schnitt etwas älter werden und länger gesund bleiben als der Durchschnitt.
5. Blue Zone: Nicoya-Halbinsel in Costa Rica
Auf dem amerikanischen Kontinent machten Buettner und sein Team noch eine weitere Blue Zone aus: Die Nicoya-Halbinsel in Costa Rica. Laut National Geographic ist die Sterblichkeitsrate im mittleren Alter am niedrigsten und es gibt nach der Blue Zone auf Sardinien die meisten über 100-jährigen Männer. Buettners Reportage zufolge soll das vor allem an der starken sozialen und spirituellen Gemeinschaft der Menschen und regelmässiger Bewegung liegen.
Was lernen wir von den Blue Zones?
Zunächst einmal kann man feststellen, dass das Leben in den Blue Zones einige Gemeinsamkeiten aufweist. Die Wissenschaftler:innen, welche Buettner bei seiner Suche begleiteten, zählen folgende Punkteauf:
- Alle Blue Zones sind in gewisser Weise isoliert: Es handelt sich um Inseln, Halbinseln, gebirgige Regionen oder Kleinstädte.
- Die Menschen leben noch vergleichsweise traditionell. Sie leben hauptsächlich von der Landwirtschaft, als Hirt:innen oder von der Fischerei und sind demnach regelmässig in Bewegung und an der frischen Luft.
- Dazu passt auch, dass die Menschen hauptsächlich das essen, was bei ihnen in der direkten Umgebung wächst oder gefangen werden kann. Verarbeitete Lebensmittel werden kaum gegessen. Interessanterweise ist die Ernährung in den verschiedenen Blue Zones davon abgesehen durchaus unterschiedlich. Beispielsweise essen die Menschen in Nicoya im Durchschnitt mehr Fleisch als in den anderen Blue Zones.
- Die sozialen Netze in den Blue Zones sind sehr stark: Die Menschen bleiben bis ins hohe Alter in den Familien- und Freundeskreis eingebunden und gestalten aktiv das Leben mit.
Dabei sollte trotz des vergleichsweise ursprünglichen Lebensstil nicht vernachlässigt werden, dass die Blue Zones inzwischen auch über eine moderne Gesundheitsversorgung verfügen. Auf Ikaria gibt es zum Beispiel ein gemessen an der Einwohner:innenzahl grosses Krankenhaus. Dies trägt vermutlich dazu bei, das Leben der Menschen zu verlängern.
Möglicherweise ist es auch kein Zufall, dass alle Blue Zones in subtropischen bis tropischen Regionen liegen: Wissenschaftler vermuten, dass ein Mangel an Vitamin D die Lebenszeitverkürzen kann. In den Blue Zones bekommen die Menschen relativ viel Sonne ab, sodass Vitamin-D-Mängel unwahrscheinlich sind.
Blue Zones: Ist es so einfach?
Ist damit das Geheimnis eines langen Lebens entschlüsselt? So einfach ist das leider nicht. Denn eine systematische Untersuchung und ein Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen fehlt. Beispielsweise wäre es interessant zu wissen, ob es andere Gegenden gibt, auf die die oben genannten Punkte ebenfalls zutreffen und wo die Menschen dennoch nicht so alt werden. EinArtikel formuliert das Problem so: "Die Welt ist so gross, man wird immer Orte finden, an denen die Menschen besonders dick, dünn, gross oder klein sind – oder eben besonders alt werden."
Ebenso wäre es interessant, zu untersuchen, wie alt Menschen in den Blue Zones werden, wenn sie nicht nach den oben genannten Punkten leben. Solch ein Versuchsbau wäre aber aus ethischen Gründen nicht möglich.
Insgesamt ist es deshalb schwer zu sagen, wie stark die vier Aspekte jeweils wirklich dazu beitragen, dass die Menschen überdurchschnittlich alt werden und lange gesund bleiben.
Sind es nur die Gene?
Eine weitere Frage drängt sich auf: Sind es womöglich die Gene, die dafür sorgen, dass die Menschen in den Blue Zones so alt werden? Haben sie einfach besonders gute Gene? Studien an Zwillingen wie die dänische Zwillingsstudie von 1996 widerlegen diese Behauptung: Die Gene scheinen den Todeszeitpunkt nur zu einemgeringen Teil zu beeinflussen.
Eine Untersuchung der Menschen von Nicoya kommt zu einem ähnlichen Schluss. Dort stellte man fest, dass Bewohner Nicoyas, die aus der Blue Zone fortziehen, nicht mehr überdurchschnittlich alt werden.
Die Bewohner der Blue Zones könnten sich aber auf eine andere Weise gegenseitig beeinflussen: Langzeitstudien wie die Framingham Heart Study haben gezeigt, dass Menschen eher übergewichtig werden, wenn sie von übergewichtigen Menschen umgeben sind. Möglicherweise funktionieren Blue Zones ähnlich – Studien dazu gibt es jedoch nicht.
Kritik am Geheimnis für ein langes Leben
Dr. Saul Justin Newman vom University College London hat grundlegende Fehler in den Daten zu extremer Langlebigkeit aufgedeckt, wofür er auch den Ig-Nobelpreis in Demografie erhalten hat. Im Gegensatz zu den echten Nobelpreisen zeichnen die Ig-Nobelpreise skurrile wissenschaftliche Entdeckungen aus, die "Menschen zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen."
In seiner Forschung zeigt Dr. Newman, dass Berichte über Supercentenarians – also Menschen, die 110 Jahre oder älter werden – häufig durch Schreibfehler oder sogar Rentenbetrug verfälscht sind. Besonders kritisch bewertet er die "Blue Zones", Regionen, in denen Menschen angeblich aussergewöhnlich alt werden und gesund leben sollen. Seine Analysen belegen, dass viele der dort registrierten Hundertjährigen in Wirklichkeit längst verstorben sind und nur noch auf dem Papier existieren.
Dr. Newman fand heraus, dass Regionen mit hoher Armut, fehlenden Geburtsurkunden und wenigen 90-Jährigen oft auffällig viele angeblich Hundertjährige verzeichnen. Diese Muster lassen sich häufig auf Rentenbetrug zurückführen. Zudem widerlegt er die verbreiteten Ernährungstheorien zu den "Blue Zones". Ein Beispiel: In Okinawa, einer dieser Regionen, essen die Menschen laut Regierungsdaten die wenigsten Süsskartoffeln und das wenigste Gemüse in ganz Japan. Gleichzeitig weist die Bevölkerung dort den höchsten Body-Mass-Index des Landes auf.
BMI berechnen: Warum der Body-Mass-Index nicht besonders aussagekräftig ist
Schon in der Vergangenheit hatte Dr. Newman Studien zur Langlebigkeit scharf kritisiert und widerlegt. Er zeigte, dass extreme Altersangaben häufig auf systematische Fehler oder mangelhafte Daten zurückzuführen sind. Viele der Langlebigkeitsbehauptungen basieren laut Newman nicht auf tatsächliche Gegebenheiten, sondern auf ungenaue oder manipulierte Datensätzen.
Joris Deelen, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, der zur Genetik und Biomarkern forscht, äusserte sich gegenüber Zeit Online zu Newmans Arbeit: "An Newmans Arbeit scheint etwas Wahres dran zu sein." Obwohl ihn die Ergebnisse überrascht haben, ist ihm das Thema Rentenbetrug nicht neu. Er halte die von Dr. Newman verwendeten Quellen zudem für verlässlich.
Allerdings weist Deelen darauf hin, dass die Studie bisher nur als Preprint veröffentlicht wurde und noch nicht von unabhängigen Fachleuten überprüft ist. "Es könnte sein, dass manche Aussagen noch abgeschwächt werden müssen", erklärte Joris Deelen. Gleichzeitig vermutet er, dass es schwierig sein könnte, die Arbeit in einem wissenschaftlichen Journal zu veröffentlichen, da sie die demografische Altersforschung sehr stark kritisiert.
Beobachtungen aus den Blue Zones sind keine Beweise, aber nachvollziehbar
Insgesamt ist bisher nicht eindeutig nachgewiesen, warum die Menschen in den Blue Zones so alt werden – ob die Angaben schlichtweg nicht der Realität entsprechen, ob es sich um Zufall handelt, ob die Menschen sich gegenseitig beeinflussen oder ob tatsächlich der Lebensstil die entscheidende Rolle spielt.
Klar ist jedoch, dass sich der Lebensstil in den Blue Zones weitestgehend mit dem deckt, was wir im Allgemeinen für gesund halten. Die Menschen essen frische, unverarbeitete Lebensmittel und bewegen sich regelmässig an der frischen Luft. Studien an über 100-Jährigen in Deutschland zeigen ausserdem, dass diese überwiegend zufrieden mit ihrem Leben sind, sich nach wie vor in die Gesellschaft einbringen und einen Sinn in ihrem Dasein sehen. Das deckt sich mit den Beobachtungen aus den Blue Zones. Näheres zum Geheimnis eines langen Lebens wird die Altersforschung in den kommenden Jahren aufdecken müssen.
Blue Zone als Marke
Die Marke Blue Zones wurde basierend auf den Erkenntnissen aus den Regionen gegründet, in denen Menschen besonders lange und gesund leben. Sie fördert gesunde Lebensstile, die ausgewogene Ernährung, regelmässige Bewegung und starke soziale Bindungen umfassen. Blue Zones arbeitet mit Gemeinden und Unternehmen zusammen, um Programme und Veränderungen zu entwickeln, die das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Menschen verbessern.
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Überarbeitet von Melanie Grünauer
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