Achtsamkeit und Meditation können hilfreich sein, doch sie haben auch Schattenseiten. Fachleute warnen davor, Nebenwirkungen zu verharmlosen. Eine Psychologie-Professorin erklärt, welche Personen besonders vorsichtig sein sollten.

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Um dem Alltagsstress und anderen möglichen psychischen Problemen entgegenzuwirken, setzen viele Menschen auf Meditation und schwören auf die positive Wirkung eines achtsamen Lebensstils, die durch Studien zum Teil auch wissenschaftlich belegt ist. Die möglichen negativen Folgen von Meditation würden jedoch oft ignoriert, berichtet Vollbild. Gerade das positive Bild der Achtsamkeitsübungen sorge dafür, dass Nebenwirkungen verharmlost würden, heisst es in dem Recherche-Magazin.

Nebenwirkungen einer Meditation sind nicht selten

Gegenüber Vollbild warnt die US-amerikanische Psychologin Willoughby Britton von der Brown University davor, dass Forschungsarbeiten der letzten Jahre sich vor allem auf die positiven Seiten der Meditation fokussierten, die möglichen negativen Folgen allerdings weniger genau untersucht wurden. Dabei stünden diese bereits in alten buddhistischen Texten und seien somit "nichts Neues".

Britton selbst habe in einer zehnjährigen Langzeitstudie herausgefunden, dass jede:r zehnte Meditierende Nebenwirkungen entwickele, die einen im Alltag stark einschränken würden. Meistens handelte es sich dabei um Angstzustände, dissoziative Erfahrungen oder eine Kombination davon. In selteneren Fällen könnten auch Psychosen auftreten.

Bei einer Dissoziation handelt es sich um einen Zustand, bei dem man das eigene Bewusstsein als vom Körper getrennt erlebt. Leichte Dissoziationen geschehen alltäglich, etwa wenn man hochkonzentriert ist und alles um sich herum ausblendet. Dissoziationen können aber auch unangenehm sein, etwa wenn sie Vergesslichkeit hervorrufen oder die Beziehung zwischen Ich und Umwelt dadurch als gestört wahrgenommen wird.

Eine Studie der Charité Berlin, veröffentlicht im Fachmagazin BJ Psych Open, kam zu einem ähnlichen Ergebnis wie Britton. 22 Prozent der rund 1.400 untersuchten Proband:innen habe unerwünschte Nebenwirkungen entwickelt. Neun Prozent davon seien nur mild und temporär gewesen. Bei den anderen 13 Prozent habe es sich um moderate bis extreme Effekte gehandelt, die eine Behandlung erforderten und teilweise sogar Krankenhausaufenthalte notwendig machten.

Vollbild-Recherche: Panikattacken und Psychosen

Vollbild berichtet auch von konkreten Fällen, in denen Betroffene schwere psychische Probleme entwickelten, nachdem sie mit Meditation begonnen hatten. Nadin, eine 28-jährige Studentin aus Düsseldorf, wurde zwei Monate lang stationär in einer Klinik behandelt, weil sie infolge eines Retreat-Aufenthalts eine Psychose entwickelt hatte. Micki, ein 26-Jähriger Student aus Wiesbaden, erklärt, dass er während der Nutzung einer Meditations-App Panikattacken bekam und schliesslich ebenfalls eine Klinik aufsuchte.

Vollbild nennt ausserdem einen besonders tragischen Fall aus Kanada, wo eine 22-Jährige ein Meditations-Retreat vorzeitig abbrach und anschliessend Suizid beging. Ihre genauen Beweggründe und ob tatsächlich die Meditation der Auslöser war, konnte bis heute aber nicht geklärt werden.

Warum negative Folgen von Meditation oft ignoriert werden

Wenn Betroffene über negative Erfahrungen mit Meditation berichten, würden ihnen die Anbieter:innen des Kurses oft selbst die Schuld dafür gegeben, erklärt Britton. Es hiesse dann, die Person mache etwas falsch oder die Probleme seien schon vorher dagewesen.

Micki erklärt, in der Meditations-Community werde gesagt: "Wenn du Probleme hast beim Meditieren, dann musst du noch weiter durch. […] Du stehst so kurz vor dem Ziel, jetzt musst du nur noch ein bisschen mehr machen." Auch Nadin berichtet davon, dass ihr Guru ihre negativen Gefühle nicht ernst nahm und sie von Mitarbeitenden des Retreats ermutigt wurde, weiterzumachen, als sie ihnen gegenüber ihre Bedenken äusserte.

Vollbild warnt zudem davor, dass jede:r ohne seriöse Ausbildung Meditationskurse und -retreats anbieten kann. Viele Anbieter seien deshalb bei ernsthaften psychischen Problemen überfordert. Ausserdem gebe es keine Kontrollen entsprechender Angebote.

Bestimmte Personengruppen besonders gefährdet

In einem Interview mit dem Spiegel warnte Psychologie-Professorin Ramani Durvasula bereits 2023 davor, dass Achtsamkeitsübungen wie Meditationen bei bestimmten Personengruppen unerwünschte Nebenwirkungen haben könnten.

Narzisst:innen könnten etwa in eine "Tyrannei des Wohlbefindens" verfallen und entsprechende Praktiken nutzen, um andere abzuwerten. Bei traumatisierten Menschen hingegen drohe Meditation Angstzustände hervorzurufen.

Traumatisierten Menschen kann Meditation schaden

Aufgrund von Nebenwirkungen wie "Hypererregung oder Dissoziationen" würde Duvarsula sehr ängstlichen Menschen mit traumatischer Vorgeschichte keine Empfehlung zur Meditation geben: "Ich würde klarmachen, dass man aufhören kann und sollte, wenn das Meditieren überfordert oder Angst hervorruft", erklärt sie.

Das heisst aber nicht, dass traumatisierte Menschen grundsätzlich nicht meditieren sollten. Laut einer Studie von 2022 aus der Fachzeitschrift Jama Psychiatry kann Meditation auch dabei helfen, Angstzustände abzubauen. Ob Achtsamkeitspraktiken helfen oder schaden, hängt laut Durvasula von der Vorgeschichte und der Persönlichkeit der jeweiligen Person ab.

Vorsicht vor "achtsamen" Narzisst:innen

Die Psychologie-Professorin warnt ausserdem vor einem Effekt, der speziell bei Narzist:innen auftrete. Narzissmus ist ein Persönlichkeitsstil, der laut Durvasula unter anderem durch einen hohen Selbstanspruch, der Suche nach Bestätigung und Ich-Fixiertheit gekennzeichnet ist. Darüber hinaus trügen Narzisst:innen in der Öffentlichkeit eine "Maske", die sich von ihrer privaten Seite unterscheidet und mitunter grausam, gefühllos und manipulativ sein kann.

Narzisstische Menschen liessen sich oft nur sehr oberflächlich auf Dinge ein, erklärt Durvasula. Anstatt das Gelernte wirklich ins eigene Leben zu integrieren, übten sie Achtsamkeit und Meditation mitunter deshalb aus, um ihre eigene Überlegenheit zum Ausdruck zu bringen. "In den sozialen Medien schwärmen sie von ihrer Meditation, in Wahrheit aber bleibt Verachtung und das Gefühl der Überlegenheit," so die Psychologin.

Die narzisstische Person könne "diese Wellnesspraktiken hervorragend als Waffe einsetzen", um andere zu beschämen oder unter dem Vorwand der Selbstfürsorge familiäre Pflichten zu vernachlässigen. Die Mitmenschen könnten dagegen nichts unternehmen, "weil ihnen die Gesellschaft sagt: Achtsamkeit und Meditation sind gut. Was sollen sie also dagegen einwenden, wenn jemand für sich selbst sorgt?"

Andererseits hätten Narzisst:inen einen Hang zur Frustration, da sie Achtsamkeitspraktiken teils als Allheilmittel betrachten. Wenn die entsprechenden Methoden nicht zum Erfolg führen, heisst es: "Ich tue alles, ich mache Sport, ich meditiere – warum geht es dann nicht aufwärts?", sagt Durvasula.

Alternativen zur Meditation

Statt zu meditieren, empfiehlt Durvasula jenen Personen, für die Meditation unangenehm ist, sich auf andere Weise auf die Gegenwart zu konzentrieren: "Basteln oder Backen oder etwas anderes, das zwar sinnlich ist, aber vielleicht keine so anregenden Geisteszustände erzeugt."

Narzisst:innen sollten hingegen Praktiken üben, die die Verbindung mit anderen Menschen stärken: etwa im Gespräch mit anderen das Handy wegzulegen, Blickkontakt herzustellen und aufmerksam zuzuhören.

Menschen wünschten sich schnelle Antworten für ihre Probleme und würden deshalb oft bei Achtsamkeit und Meditation landen. Diese "TikTokifizierung psychischer Gesundheit" hält Durvasula jedoch für problematisch. Achtsamkeitspraktiken seien nur "ein Werkzeug von vielen". Zwar können sie positive Effekte haben, benötigen aber dennoch eine gewisse Vorsicht.

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Hinweis: Wer sich psychisch belastet fühlt, kann etwa bei der Telefonseelsorge Hilfe finden: Unter der Telefonnummer 0800/1110111 oder 0800/1110222. Alternativ gibt es das Chat-Angebot unter: online.telefonseelsorge.de

Verwendete Quellen: Vollbild, BJ Psych Open, Spiegel, Jama Psychiatry

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