Laut Forschenden aus den Niederlanden könnte die Atlantische Umwälzzirkulation zusammenbrechen – mit gravierenden Auswirkungen auch auf uns. Wir ordnen für dich ein, wie realistisch dieses Szenario ist.

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Die Atlantische Umwälzzirkulation (Atlantic Merdional Overturning Circulation, kurz: AMOC) transportiert Meerwasser durch den Atlantischen Ozean. Sie ist für uns in West-, Mittel- und Nordwesteuropa die Warmwasserheizung: Sie sorgt dafür, dass unsere Winter mild und die Meere im Winter in der Regel eisfrei sind. Die AMOC zählt zu den Kippelementen des Klimasystems unserer Erde. Durch sich ändernde Umweltbedingungen könnte sie "kippen", sich also stark abschwächen oder gar zum Stillstand kommen.

Eine im Februar in der Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlichte Studie liefert nun weitere deutliche Hinweise darauf, dass die atlantische Umwälzzirkulation tatsächlich kippen könnte. Wir erklären, wie wahrscheinlich dieses Szenario ist und was es für uns bedeuten könnte.

Wie funktioniert die Atlantische Umwälzzirkulation?

Die AMOC, zu der auch der Golfstrom gehört, transportiert warmes Wasser aus den Tropen nach Norden und kaltes Wasser aus dem Nordatlantik nach Süden. Sie ist Teil des globalen Förderbands der Meeresströmungen, die das Meerwasser der grossen Ozeane in Bewegung halten. Die AMOC ist für unser mildes Klima in West- und Mitteleuropa verantwortlich und beeinflusst Wettersysteme auf der ganzen Welt. Ohne die AMOC wäre es bei uns in Mitteleuropa deutlich kälter – vergleichbar etwa mit Neufundland oder Teilen Kanadas.

Wie alle globalen Ozeanströmungen wird die AMOC durch Dichteunterschiede des Meerwassers angetrieben. Die Dichteunterschiede resultieren aus unterschiedlichen Salzgehalten und Temperaturen des Meerwassers: Oberflächennah strömt warmes Meerwasser in die Polregion. Dort kühlt das Wasser ab und gefriert zu Eis. Durch die Eisbildung bleibt Salz im restlichen Wasser zurück und erhöht damit die Dichte des Meerwassers. Aufgrund seiner höheren Dichte sinkt das Wasser dann in die Tiefe ab und strömt dort zurück in Richtung Süden. Dort steigt es dann unter bestimmten Bedingungen wieder an die Wasseroberfläche auf und erwärmt sich wieder. Dann strömt das Wasser wieder Richtung Norden und der Kreislauf beginnt erneut.

Das Wasser zirkuliert dabei sehr langsam: Ein "Wasserpaket", das vor Grönland heute in die Tiefe absinkt, wird unter den jetzigen Umständen erst in circa 1.000 Jahren wieder mit der Oberflächenströmung dort ankommen.

Steht der Kipppunkt der AMOC kurz bevor?

Die AMOC zählt zu den Kippelementen unseres Klimasystems. In Folge von sich langsam ändernden Umweltbedingungen, die etwa durch den anthropogenen Klimawandel hervorgerufen werden, kann sich der Zustand der AMOC sehr schnell verändern. Konkret bedeutet das: Durch höhere Temperaturen im Klimawandel schmilzt das grönländische Eis zunehmend ab. Es gelangt immer mehr Süsswasser in den Nordatlantik. An einem kritischen Punkt, dem Kipppunkt, verlangsamt sich die AMOC bis hin zum Stillstand.

Klimawissenschaftler:innen forschen seit Jahren intensiv daran, ob und wann die AMOC ihren Kipppunkterreicht. Temperatur- und Salzgehaltsdaten des Nordatlantiks sowie paläoklimatische Daten zeigen, dass sich die Stärke der AMOC verändert und dass sie sich in den letzten Jahrzehnten abgeschwächt hat. Zurzeit ist die AMOC so schwach wie in den letzten eine Million Jahrennicht.

Ob und wann genau die AMOC ihren Kipppunkt erreicht, konnten Wissenschaftler:innen bisher nicht zuverlässig beantworten. Laut IPCC ist es unwahrscheinlich, aber nicht auszuschliessen, dass die AMOC ihren Kipppunkt bis zum Ende des Jahrhunderts überschreitet.

Was hat die neue Studie herausgefunden?

Die im Februar 2024 neu erschienene Studie von der Forschungsgruppe um den Klimawissenschaftler René M. van Westen liefert nun neue Erkenntnisse zu dem Kipppunkt der AMOC. Erstmals verwenden die Wissenschaftler:innen ein komplexes globales Klimamodell, um das Kippen der AMOC zu simulieren.

In dem Modell berechnen sie, was passiert, wenn immer mehr Süsswasser aus dem Grönländischen Eisschild in den Nordatlantik fliesst. Für diese Berechnung benötigten die Wissenschaftler:innen sechs Monate auf dem schnellsten Hochleistungsrechner der Niederlande. Das bahnbrechende Ergebnis dieser ersten sehr realitätsnahen Berechnung ist: Die AMOC kann kippen. Die Studie trifft jedoch keine Aussage darüber, ob und wann die AMOC in Zukunft tatsächlich kippen wird.

Damit bringt diese Studie die Forschung zur Atlantischen Umwälzströmung einen wichtigen Schritt nach vorn. Bisherige Studien, wie etwa die kritisch diskutierte Studie eines Forscherteams aus Dänemark, verwendeten lediglich Beobachtungsdaten in ihrer Analyse oder liessen andere wichtige Elemente des Klimasystems unberücksichtigt. Dass der Kipppunkt nun mit einem solch genauen Klimamodell berechnet werden konnte, ist als ein weiterer wichtiger Hinweis zu deuten, dass das Kippen der AMOC ein realistisches Szenario sein könnte.

Was könnte passieren, wenn die AMOC kippt?

Im Interview mit dem Deutschlandfunk schildert Stefan Rahmstorf, Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und Ozeanograf am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, was ein Zusammenbruch der AMOC für uns bedeuten würde.

  • Demnach könnte sich das Klima insbesondere in Nordwesteuropa stark abkühlen. Die niederländische Studie zeichnet dabei ein dramatisches Bild: Pro Jahrzehnt könnte die Temperatur um zwei bis drei Grad Celsius sinken. Der Klimawandel würde diese Abkühlung mit seinen erwarteten zwei bis drei Grad Erwärmung pro Jahrhundert nicht ausgleichen. Diese Abkühlung würde unser Klima in Europa und das Klimasystem weltweit fundamental verändern.
  • Welche Folgen das für unser Klima und Wetter hätte, ist schwer abzusehen. Während es in Nordwesteuropa stark abkühlt, würde es rundherum durch den anthropogenen Klimawandel nach wie vor immer wärmer. Dadurch würde sich ein immer grösserer Temperaturunterschied aufbauen – ein Garant für die Entstehung von Extremwetterereignissen.
  • Sehr wahrscheinlich wäre eine Landwirtschaft, wie wir sie kennen, in grossen Teilen Nordeuropas dann nicht mehr möglich, so Stefan Rahmstorf. Die niederländischen Forscher:innen schreiben in ihrer Studie sogar, dass das Meer im Winter bis nach Südengland zufrieren könnte.

Auch in anderen Teilen der Welt würde sich einiges verändern: Der Meeresspiegel vor Amerika könnte deutlich steigen, tropische Niederschlagsgürtel könnten sich verschieben. Dürren und Überschwemmungen wären die Folge.

All das würde unsere Lebensrealität stark verändern, wie der Podcast "11 Km" von der Tagesschau erklärt. Ein Kippen der AMOC könnte weitere Kippelemente im Klimasystem zum Kippen bringen. Vom Meer abhängige oder beeinflusste Ökosysteme könnten verändert oder gar zerstört werden. Es müssten sehr wahrscheinlich viele Menschen aus ihrer Heimat fliehen. Die Autor:innen um den Klimaforscher van Westen schreiben in ihrer Studie sogar, dass es für die erwarteten Temperaturänderungen keine realistischen Anpassungsoptionen gibt.

Wie realistisch ist dieses Schreckensszenario?

Laut Jochem Marotzke, Ozeanograf am Max-Planck-Institut für Meteorologie an der Universität in Hamburg, sollten wir die in der Studie berechneten Klimaveränderungen nicht für bare Münze nehmen. Im Gespräch mit der Tagesschau erklärt er, dass einige in der Studie getroffenen Modellannahmen für die Entwicklung unseres zukünftigen Klimasystems unrealistisch sind. In dem Modell wird simuliert, dass stetig Süsswasser aus dem Eis in das Meer gelangt, ohne dass dabei die Temperatur steigt. Im Modell wird das Grönlandeis demnach nicht weniger. Messungen zeigen jedoch eindeutig, dass das Grönlandeis schmilzt. Das in der Studie berechnete Klima kann also nicht eins zu eins auf unsere durch die globale Erwärmung beeinflusste Zukunft übertragen werden.

Studien zu solchen Extremereignissen sind unter Forschenden teilweise umstritten. Oftmals ist die Datenbasis sehr dünn und Unsicherheiten werden nicht hinreichend berücksichtigt. Dass ein Zusammenbruch der AMOC starke Auswirkungen auf das Klima hätte, ist jedoch unumstritten. Wie die jedoch genau aussehen, muss in anschliessenden wissenschaftlichen Untersuchungen weiter erforscht werden.

Klimawandel stoppen – Kippelemente vorm Kippen bewahren

Die Diskussion um Kipppunkte in unserem Klimasystem erregt immer wieder viel Aufmerksamkeit, weil ihre Auswirkungen auf unsere Lebensrealität enorm wären. Deswegen ist es natürlich wichtig, diese Kipppunkte und ihre Auswirkungen auf unseren Planeten zu erforschen und so besser zu verstehen.

Besonders wichtig ist jedoch, dass wir alles dafür tun, um das Erreichen dieser Kipppunkte zu verhindern. Während das Erreichen dieser Kipppunkte (noch) in der Zukunft liegt, ist der fortschreitende Klimawandel mit seinen Folgen bereits Realität. Die gute Nachricht ist, dass wir einiges tun können, um den Klimawandel aufzuhalten.

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