Die EU will Regelungen zu Gentechnik lockern – doch das Vorhaben erntet viel Kritik. Auch Händler wie Rewe, Tegut und dm sprechen sich dagegen aus. Einige warnen vor steigenden Preisen für Verbraucher:innen.

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Die Europäische Union berät derzeit über ein Gesetz, das bestimmte Regelungen des Gentechnikrechts aufheben könnte. Vertreter:innen der Lebensmittelbranche haben sich am Dienstag in einem offenen Brief dagegen ausgesprochen. Zu ihnen zählen etwa Alnatura, der dm-Drogeriemarkt, Frosta und Bioland.

Die Unterzeichnenden betonen in dem Brief ihre Sorge. Es geht um das Gesetz zur Regulierung neuer genomischer Techniken (NGT), mit dem sich derzeit das Europäische Parlament und der Agrarministerrat befassen.

"Der vorliegende Gesetzesentwurf zu NGT entscheidet darüber, ob es in der EU zukünftig noch eine Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion ohne Gentechnik geben wird", heisst es in dem Brief, der öffentlich ist. Die Unterzeichnenden fordern, die Wahlfreiheit zwischen natürlichen Lebensmitteln und Gentechnik zu wahren, die Bio-Landwirtschaft weiter zu fördern, die Preisstabilität nicht zu gefährden und unklare Rechtsfragen zur Patentierbarkeit vorab zu prüfen.

Das Schreiben richtet sich an Manfred Weber, den Vorsitzenden der Mitte-Rechts-Fraktion EVP, der grössten Fraktion im EU-Parlament. Gegenüber Journalist:innen erklärte Bioland-Präsident Jan Plagge am Dienstag, dass in der EVP die Meinungsbildung zum Gentechnikvorschlag noch nicht abgeschlossen sei, weshalb man der Fraktion eine "Schlüsselrolle" bei den Abstimmungen in den kommenden Wochen zuschreibe.

Die Rewe Group, Tegut und mehrere Lebensmitteleinzelhändler aus Österreich haben bereits im November in einem anderen offenen Brief an die EU-Kommission und das Europaparlament davor gewarnt, die Vorschriften für Gentechnik zu lockern. Händler:innen äusserten darin unter anderem ihre Sorge, dass Lebensmittelpreise für Verbraucher:innen steigen könnten.

Vorschlag der EU-Kommission: Keine Kennzeichnungspflicht mehr

Viele gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel sollen einem Vorschlag der EU-Kommission zufolge in der Europäischen Union künftig einfacher erforscht und ohne spezielle Kennzeichnung verkauft werden. Entsprechende Lockerungen hatte die Behörde Anfang Juli in Brüssel vorgeschlagen. Pflanzen, die durch moderne Methoden wie die Gen-Schere Crispr/Cas verändert wurden, sollen von den strengen Gentechnik-Regeln ausgenommen werden – wenn das Ergebnis auch durch herkömmliche Züchtungsmethoden hätte entstehen können. Zahlreiche Wissenschaftler:innen drängen schon lange darauf, dass Regeln gelockert werden.

In der ersten Februarwoche will das EU-Parlament seine Position für die Verhandlungen mit der Europäischen Kommission und dem EU-Rat festlegen. Am 24. Januar stimmt der federführende Umweltausschuss über Änderungsvorschläge zum Kommissionsvorschlag ab. Laut Lebensmittelzeitung (LZ) tendiert der Ausschuss bisher dazu, die Regulierung noch weiter zu lockern als von der EU-Kommission vorgeschlagen.

Gentechnik: Vor- und Nachteile einer Deregulierung

Ziel der Lockerung ist es unter anderem, Landwirt:innen Zugang zu widerstandsfähigeren Pflanzen zu ermöglichen, die etwa weniger Pestizide benötigten oder besser mit dem Klimawandel zurechtkommen. Von durch neue Gentechnik veränderten Pflanzen geht nach derzeitigem Wissensstand keine grössere Gefahr für Menschen aus, als durch herkömmlich gezüchtete Pflanzen.

Die EU könnte durch eine Zulassung auch ihre Wettbewerbsfähigkeit im Lebensmittelsektor stärken. Ohne die Züchtung neuer Sorten wird befürchtet, dass die landwirtschaftliche Produktion durch den Klimawandel stark zurückgehen könnte. Auch wurden bestehende Regelungen in Mitgliedsländern als teils widersprüchlich kritisiert. Die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben bereits 2023 Vorteile der Gentechnik für den Ökolandbau hervorgehoben, weil die neuen Pflanzen chemischen Pflanzenschutz obsolet machen könnten.

Doch genau die Öko-Branche sieht sich durch die geplante Änderung bedroht. "Bio-Betriebe setzen gemäss den Vorgaben der EU-Öko-Verordnung grundsätzlich keine Gentechnik ein, da diese im ökologischen Landbau grundsätzlich nicht zugelassen sind. Eine Aufweichung dieser Regelung würde bedeuten, dass man ‚Bio‚ dann im Grunde genommen nicht mehr uneingeschränkt trauen könnte", erklärte Fritz Konz, Leiter Qualität und Umwelt bei der Supermarktkette Tegut in einem Pressestatement vergangenen November.

"Bis zu 94 Prozent der NGT-Pflanzen würden dann nicht mehr reguliert"

Mit dem Gesetzentwurf sollten unter anderem das verpflichtende Zulassungsverfahren mit einer Risikoprüfung und die eindeutige Kennzeichnung abgeschafft werden. "Bis zu 94 Prozent der NGT-Pflanzen würden dann überhaupt nicht mehr reguliert: Sie würden ohne Zulassungsverfahren und ohne Risikoprüfung auf die Äcker und Märkte kommen", warnt Burkhard Roloff, ein Experte des BUND, gegenüber der Deutschen Presse-Agantur (dpa). Ohne Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit gebe es keine Wahlfreiheit mehr für Konsument:innen, Landwirt:innen, Züchter:innen sowie Lebensmittel-Verarbeiter und -Händler.

Händler wie Rewe und Tegut sind zudem besorgt, dass der Gesetzesvorschlag das Verursacherprinzip im Bezug auf Gentechnik aufheben könnte. Derzeit müssen Betriebe, die NGT-Pflanzen anbauen, etwa Abstandsregelungen einhalten und ihre Nachbarn informieren. Dies könnte sich umkehren: Hersteller von gentechnikfreien und biologischen Lebensmitteln müssten dann selbst dafür sorgen, dass ihre Produkte frei von gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen sind. Sie befürchten zusätzliche Kosten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, die höchstwahrscheinlich zu Preissteigerungen führen würden.

Alnatura-Chef Götz Rehn betonte, dass 90 Prozent der Verbraucher:innen sowie Lebensmittelhändler und die Bio-Branche gegen eine Deregulierung des Gentechnikrechts seien. Er forderte Transparenz und klare Kennzeichnungen.

Ist Gentechnik in der EU schon erlaubt?

Gentechnisch modifizierte Lebensmittel gelten als umstritten. Die Forscher:innen der Leopoldina betonen, dass es für NGT-Pflanzen und -Produkte keinen begründeten Anlass zur Besorgnis gibt. Der BUND argumentierte in der Vergangenheit dagegen, dass gesundheitliche Risiken wie Antibiotikaresistenzen zu wenig untersucht würden. Frosta-Vorstandsvorsitzender Felix Ahlers betonte mit Bezug auf den offenen Brief, sich nicht gegen Gentechnik aussprechen zu wollen, sondern dafür, Transparenz, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit beizubehalten.

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Gentechnisch veränderte Pflanzen und deren Saatgut dürfen in der EU nur mit Zulassung genutzt werden. Auch der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) ist nur dann erlaubt, wenn hierfür eine Genehmigung vorliegt – für die EU und national. Tatsächlich lässt die EU aber kaum gentechnisch veränderten Pflanzen für den Anbau zu. Der Import ist dagegen keine Seltenheit.

Verwendete Quellen: Offener Brief an Manfred Weber/ dm, Offener Brief an die EU-Kommission, Leopoldina, Tegut, LZ vom 29.11.23, LZ vom 9.1.24, BUND, Material der dpa  © UTOPIA

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