Ein klima- und gesundheitsschädliches Gas entweicht nach seinem Einsatz ungefiltert in die Umwelt – weil es kein zugelassenes Verfahren dafür gibt. Klingt absurd, ist aber im Fall von Sulfuryldifluorid leider die Wahrheit.

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Sulfuryldifluorid oder Sulfurylfluorid ist ein farb- und geruchloses, aber giftiges Gas, das zur Schädlingsbekämpfung beim Holztransport eingesetzt wird. Das Gas wird in einer Kartusche in die Container gelegt, diese werden fest verschlossen, wonach das Gas austritt. Nach der Einwirkzeit, wenn die Schädlinge vernichtet wurden, wird der Container geöffnet und das Gas tritt in die Atmosphäre aus.

Sulfuryldifluorid hat jedoch ein hohes Treibhauspotenzial: Eine Tonne emittiertes Sulfuryldifluorid ist laut Umweltbundesamt (UBA) auf 100 Jahre gesehen so klimaschädlich wie etwa 4.000 Tonnen CO₂. Auf eine Zeitspanne von 20 Jahren gerechnet ist es sogar über 7.000 Mal so schädlich wie Kohlenstoffdioxid, so das Umweltinstitut München.

Warum wird Sulfuryldifluorid eingesetzt?

Das Biozid wird hauptsächlich im Holzexport eingesetzt. Der Hauptimporteur China und andere Empfängerländer kaufen das Holz nur, wenn es frei von Schädlingen wie dem Borkenkäfer ist, erklärt der NDR. Deshalb wird das Holz noch in Deutschland, meist am Exporthafen, durch zertifizierte Unternehmen mit Sulfuryldifluorid behandelt.

So zum Beispiel am Hamburger Hafen: Dort werden jedes Jahr hunderttausende Tonnen Holz exportiert, wobei laut Hamburger Senat etwa 200 Tonnen Sulfuryldifluorid eingesetzt werden. Der NDR errechnet, dass dies dem CO₂-Fussabdruck von über 115.000 Deutschen entspricht.

Doch auch zur Schädlingsbekämpfung bei Lebensmitteln wie Trockenobst, Nüssen und Getreide oder bei Gebäuden wie Kirchen kommt das Biozid zum Einsatz. In letztem Anwendungsgebiet hat sich 2002 in einem tragischen Unfall gezeigt, wie gefährlich das Gas ist. Dort kam es nach dem Einsatz von Sulfuryldifluorid in einer Kirche zu zehn schweren Vergiftungen und einem Todesfall. Ein Bewohner des Nachbarhauses wurde tot aufgefunden. Schon damals hat ein Holzschutzexperte jedoch vorhergesagt: Sulfuryldifluorid ist trotzdem "weiter im Kommen".

Sulfuryldifluorid und das Klima

Sulfuryldifluorid ist mehrere tausend Mal klimaschädlicher als das "typische" Treibhausgas CO₂. Dennoch wird es in grossen Mengen allein in Deutschland eingesetzt. Das sind die Zahlen des Umweltinstituts München:

  • Von 2015 bis 2020 ist der Inlandsabsatz von 50 auf 200 Tonnen angestiegen.
  • Im Hamburger Hafen ist der Einsatz in derselben Zeit von 17 auf 230 Tonnen gestiegen – er hat sich also fast vervierzehnfacht.
  • Zwischen 2019 und 2022 entstanden allein dort so viele Emissionen wie von drei Millionen Tonnen CO₂. Das ist mehr, als der innerdeutsche Flugverkehr verursacht.

Ausserdem besteht, erklärt das Institut, ein Teufelskreis zwischen Erderhitzung und Holzexport: Der Borkenkäfer, Hauptziel vom Sulfuryldifluorid-Einsatz, breitet sich während Hitze- und Dürreperioden besonders gut in den Wäldern aus. Er zerstört Waldfläche und macht das Holz teilweise für die heimische Holzverarbeitung unbrauchbar. Gleichzeitig bietet China bessere Preise und nimmt das Holz an, solange es davor mit Sulfurylfluorid begast wurde.

Kurz gesagt: Durch die klimawandelbedingten Dürren und Hitzeperioden und den dadurch höheren Schädlingsbefall werden mehr und mehr Bäume gefällt und exportiert.

Regulation von Sulfuryldifluorid

Wie kann es nun sein, dass ein so schädliches Gas noch in diesem Ausmass eingesetzt wird? Das Klimagas fliegt weitestgehend noch immer unter dem Radar von nationalen und internationalen Regulierungen. Es unterliegt beispielsweise nicht den Berichtspflichten des Pariser Klimaabkommens und ist nicht Teil des EU-Emissionshandels.

Seit 2021 schreibt die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft in Deutschland vor, dass Begasungsanlagen Klimagas aus der Luft abfiltern sollen. Das würde auch auf Sulfuryldifluorid zutreffen.

2024 wird das Gas erstmals in der EU-Verordnung über fluorierte Treibhausgase erwähnt, und zwar als hochpotentes Treibhausgas. Darauf folgte auch die Regulierung – falls man das so nennen kann – dass Betreiber das Gas zurückgewinnen müssen, sofern das technisch und wirtschaftlich machbar ist.

Ein grosses Problem bei beiden Ansätzen: Bisher gibt es nicht einmal erprobte und zulässige Technik, um sie umzusetzen. Und sobald es sie gibt, ist die "wirtschaftliche Machbarkeit" trotzdem gewissermassen Ansichtssache.

Gibt es keine Alternativen?

Sulfuryldifluorid selbst ersetzt den ozonschichtschädigenden Stoff Methylbromid, dessen Verwendung durch das Montrealer Protokoll 1987 weltweit stark begrenzt wurde. Sulfuryldifluorid schädigt also nicht die Ozonschicht, hat aber die oben beschrieben ernsten Folgen für das Klima.

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In der EU werden derzeit mehrere Alternativen geprüft oder erforscht. Hochschulen arbeiten beispielsweise an einer Abfilterungstechnik, die bisher fehlt. Auch stehen die brennbaren und giften Gase Monophosphan und Ethandinitril zur Auswahl für eine Zulassung, um Sulfuryldifluorid zu ersetzen. In Serbien und Tschechien ist das explosive und damit auch sehr gefährliche Gas Phosphorwasserstoff als Alternative zugelassen.

Es gibt jedoch auch Verfahren, die ganz auf giftige Gase verzichten. Das Umweltinstitut München beschreibt drei Kategorien:

  • Thermische Behandlung, in der das Rundholz (also Stämme, nicht geschnittene Holzteile) über mehrere Stunden erhitzt wird, sodass Schädling abgetötet werden. Dieses Verfahren ist beispielsweise schon für Schnittholz im Einsatz, das nach China exportiert wird. Bei Rundholz wäre der Energieeinsatz ungleich höher, sodass das Verfahren nicht in jedem Fall eine klimafreundliche Alternativ darstellt.
  • Unterwasserlagerung, bei der das Wasser einfach 90 Tage lang unter Wasser liegt, damit Schädlinge absterben.
  • Entrindung, bei der das Rundholz vor der Verladung in die Container entrindet wird. Dafür ist eine gewisse Infrastruktur notwendig, die jedoch in den USA schon zum Einsatz kommt und wahrscheinlich auch in Deutschland aufgebaut werden könnte. Weil manche Schädlinge auch im Inneren des Stammes sitzen, ist die Entrindung jedoch nicht für alle Holz- oder Schädlingssorten geeignet.

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