Berlin (dpa) - Um Tempo und Folgen des digitalen Wandels in der Reisebranche zu beschreiben, findet Roland Conrady klare Worte: "Wenn die nicht aufpassen, sind sie schnell abgehängt."

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Conrady ist der wissenschaftliche Leiter des Kongresses zur Reisemesse ITB in Berlin. Mit seiner Warnung meint er vor allem kleinere Reiseveranstalter, mittelständische Hotels und regionale Tourismusverbände. Die müssten bei der Online-Vermarktung nachlegen, um im Wettbewerb zu bestehen.

Wie das gelingen kann, ist eines der Themen beim viertägigen ITB-Kongress (9. bis 12. März) unter dem Schlagwort "Travel 4.0", der sich mit den Umwälzungen der Branche durch die Digitalisierung beschäftigt. Möglich wäre das zum Beispiel über eine Beteiligung an schon bestehenden Plattformen, sagt Conrady. "Da müsste noch mehr passieren."

Ob gross oder klein, ob Hotelier, Reisebüro oder Touristikkonzern - letztlich geht es allen darum, im Internet und auf dem Smartphone die grösstmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Nach einer repräsentativen Umfrage des Digitalwirtschaftsverbands Bitkom haben bereits 66 Prozent der Deutschen Übernachtungen online gebucht, 56 Prozent Flüge und 45 Prozent Mietwagen.

Den grössten Vorteil daraus ziehen bislang international agierende Konzerne, die ihr Geld mit der Reisevermittlung verdienen und nicht mit der Organisation, geschweige denn mit der Bewirtung eines Gastes. Beispiele dafür sind das Online-Reisebüro Expedia, der Privatwohnungsvermittler Airbnb und Priceline mit dem Hotelbuchungsservice Booking.com. So machte etwa das US-Unternehmen Priceline 2015 bereits 9,2 Milliarden Dollar (8,4 Mrd Euro) Umsatz und 2,5 Milliarden Dollar (2,3 Mrd Euro) Gewinn.

Der Präsident des Tourismusverbands BTW, Michael Frenzel, spricht von Wettbewerbsverzerrung, gegen die die Politik etwas tun müsse: "Gleiche Regeln müssen für alle Unternehmen gelten." Ungleich sind etwa Steuerregeln oder die Haftungspflicht von Reiseveranstaltern, die reine Vermittler nicht haben.

Durch die neue Konkurrenz geraten klassische Reiseveranstalter wie Tui, Thomas Cook und FTI unter Druck. Sie bieten komplette Urlaubspakete in Form von Pauschalreisen an. Diese verkaufen sie überwiegend über Reisebüros. "Aber die Zahlen zeigen, dass viele Menschen ihre Reise auch individuell zusammenstellen wollen", sagt der Vertriebs-Geschäftsführer von FTI, Ralph Schiller. Er will deshalb das bisherige Geschäftsmodell seines Unternehmens erweitern.

Es sei daran gedacht, "dass man einen Flug, ein Hotel und einen Transfer einzeln im Namen eines Leitungsträgers in Rechnung stellt", erläutert er im Touristik-Magazin "fvw". "Wir könnten dann auf Augenhöhe mit den neuen Wettbewerbern verkaufen." Es gehe bei dem neuen Geschäftsmodell nicht darum, den Reisebüro-Vertrieb zu umgehen. Die Reisebüros sollten auch den grössten Teil dieses Vermittlungsgeschäfts übernehmen und dafür Provisionen erhalten.

Auch wenn die Reisebüros in Deutschland nach wie vor ein starker Pfeiler der Branche mit insgesamt 2,9 Millionen Beschäftigten sind, so ist doch die Sorge um die Arbeitsplätze gross. Nach einer Prognose der Universität Oxford aus dem Jahr 2014 sind vor allem Dienstleistungsberufe von der fortschreitende Automatisierung bedroht. Carl Benedikt Frey, Mitautor der Studie, will auf dem ITB-Kongress erklären, was das für die Touristik bedeutet.

Eine gewisse Rolle dürften dabei auch Roboter in Menschengestalt spielen. Auf der ITB stellen sich Chiriha Kanae aus Japan und Mario aus Belgien vor. Die beiden Roboter arbeiten in Hotels und geben den Gästen dank ausgefeilter Spracherkennung mehrsprachig Auskunft. Sie können die Sprachen natürlich nicht tatsächlich "sprechen", sie können jedoch auf Standardfragen zum Hotel oder Ausflugsprogramm Antworten geben. Glaubt man einer Umfrage in neun Ländern, so akzeptiert eine Mehrheit der Reisenden Roboter zumindest beim Check-in im Hotel und am Flughafen, wenn sie ihre Arbeit gut machen.  © dpa

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