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Alle noch irgendwie bewohnbaren Schlösser wollen Märchenschlösser sein. Schenkt man den Broschüren von Betreibern und Tourismus-Büros Glauben, dann gibt es unzählige historische Repräsentationsbauten mit dem Hang zum Zauberhaften.
Wer genau hinschaut, entdeckt oft märchenhaft hohe Übernachtungspreise, doch Spuren von Aschenputtel, Rapunzel oder dem Froschkönig lassen sich nur selten in den Palästen finden. Märchenschlösser gibt es dennoch, die ihren Charme und Ruf alten Sagen, grausamen Gerüchten und adeligen Spinnern verdanken.
Eines davon ist gerade bei der Wahl zum "modernen Weltwunder" durchgefallen, zieht aber trotzdem jeden Sommertag im Schnitt 6.000 Besucher an.
Vor wenig mehr als 130 Jahren wurde der Grundstein für Neuschwanstein gelegt. Erst nach dem Tod des prominenten Bewohners Ludwig II. von Bayern stellten Handwerker 1891 den Bau fertig. Der Gebäudekomplex auf dem Bergrücken der "Jugend" ist als das Märchenschloss bekannt, in dem amerikanische und japanische Touristen das typisch Deutsche erkennen wollen.
An der Stelle der alten Wehrkomplexe Vorder- und Hinterhohenschwangau erträumte sich der architekturverliebte Monarch eine stilechte Ritterburg. Die Vorstellungskraft Ludwig II. wurde von der dortigen Grafschaft beflügelt, die einen Schwan im Wappen trägt. Der Adelige sah sich als Schwanenritter Lohengrin, dem die Muse Richard Wagner eine eigene Oper gewidmet hatte.
Wie selbstverständlich floss damit die Sagenwelt Wagners mit in die Architektur ein. Von der Wartburg bei Eisenach übernahm er die Idee zum Ritterbad und dem Sängersaal, der in der Wagner-Oper Tannhäuser eine Rolle spielt.
Auch die Burg Bran im siebenbürgischen Rumänien ist auf eine bestimmte Art ein Märchenschloss. Doch geht es hier nicht um nostalgische Gefühle längst verflossener "guter Zeiten", sondern um die Alpträume und Wahnvorstellungen, die ein gewisser Vlad III. Draculea auslöste. Der Graf aus dem 15. Jahrhundert war offensichtlich einer der grausamsten Herrscher seiner Zeit, der mit Brutalität Recht und Ordnung herstellte und seine Gegner bekämpfte.
Wahr ist, dass er als Strafe das Pfählen einführte, aber erst nach seinem Tod den Zunamen "Tepes" (Pfähler) erhielt. Aus dem Reich der Mythen stammen jedoch die Gerüchte, er habe das Blut seiner Feinde getrunken und sei nie gestorben. Historiker bezweifeln mittlerweile sogar, dass der transsylvanische Adelige in Bran gelebt hat. Ausserdem wird in Frage gestellt, dass das 1931 geöffnete Grab im rumänischen Snagov tatsächlich das von Vlad III. Draculea ist. In der Ruhestätte war kein Leichnam gefunden worden. Wer sich aber über die historischen Fakten hinwegsetzt, kann in Bran Grusel-Atmosphäre wahrnehmen.
Auf den ersten Blick kann das Schloss Versailles westlich von Paris nicht mit den Mythen und Alpträumen von Neuschwanstein und Bran mithalten. Dennoch ist das überdimensionale Areal ein Hort von Träumen und Wünschen. In Marie-Antionettes Bett hätte sich die Prinzessin auf der Erbse sicher wohlgefühlt, auch der Froschkönig hätte im Springbrunnen seine Freude gehabt. Selbst Dornröschen könnte in einem vergessenen Lustschloss im Versailler Park 100 Jahre auf ihren Prinz warten.
Mythisch ist auch die Entstehung des gewaltigen Schlosses. Mit Neid soll König Ludwig XIV. das Schloss seines Finanzministers Nicolas Fouquet betrachtet haben. Der Sonnenkönig war von der barocken Pracht begeistert. Fouquet wanderte ins Gefängnis und Ludwig XIV. bestellte die Architekten Charles Le Brun und Andre Le Notre zu sich ein. Die beiden Spitzenkräfte mussten für den Herrscher Pläne für dessen Jagdgebäude in der Nähe des Marktflecken Versailles entwickeln.
So entstand das grösste Schloss Europas, in dessen Parkanlagen viele kleinere Bauten stehen und das kurz vor Ende der französischen Monarchie einen Grossteil des dortigen Adels beherbergte. Der bekannteste Raum des Schlosses ist der Spiegelsaal, in dem mehrere historische Momente stattfanden.
Der Katharinenpalast liegt 25 Kilometer südlich von Sankt Petersburg. Das ehemalige Herrschaftshaus Saritzhof liess Katharina I. Anfang des 18. Jahrhunderts zu einem Schlösschen ausbauen. Über lange Jahre war das Anwesen, das auch Jekaterinenpalais oder Grosser Palast genannt wird, Sitz der Zaren. Die russischen Herrscher bauten die Residenz kontinuierlich aus. 1887 wurde das dazugehörige Zarskoje Selo als erste europäische Stadt komplett mit Strom versorgt.
Bereits 1716 hatte der damalige preussische König Friedrich Wilhelm I. dem russischen Herrscher Peter der Grosse ein Bernsteinzimmer geschenkt, das zuerst in der Eremitage in Sankt Petersburg und später im Jekaterinenpalais montiert wurde. Im II. Weltkrieg raubten deutsche Soldaten die Vertäfelungen aus Bernstein und brachten sie nach Königsberg. Seit 1945 gilt die Kreation als verschollen.
Die wahrscheinlichste Version über den Verbleib der Kostbarkeit handelt davon, dass die wertvollen Auskleidungen aus naturveredeltem Baumharz 1945 in Königsberg verbrannten. Immer wieder tauchen jedoch Mythen und Teile des Raumes auf. Dabei geht es um Nazigold, Patenschaften von Universitäten und die Kronjuwelen der niederländischen Königsfamilie. Ab 1979 arbeiteten die russischen Behörden mit alten Schwarzweiss-Fotos an der Rekonstruktion der Vertäfelungen, die seit 2003 wieder in nostalgischem Glanz im Katharinenpalast erstrahlen.
Im Vergleich zum Kreml in Moskau ist der Katharinenpalast ein junges Gebäude. Die Kreml-Architektur entstand Ende des 15. Jahrhunderts und gilt als der historische Kern der russischen Hauptstadt. Die erste bekannte Befestigung geht auf das Jahr 1156 zurück, wobei Grossfürst Juri Dolgoruki auf dem Borowitzki-Hügel einen acht Meter hohen Erdwall mit drei Meter hohen Holz-Palisaden errichten liess.
Im Laufe der Jahrhunderte entstanden im Kreml viele Gebäude wie beispielsweise vier Kathedralen, der Glockenturm Iwan der Grosse oder der Facettenpalast. Sagen und Mythen, aber auch wahre Begebenheiten, geben diesem Ort der grössten religiösen und politischen Macht in Russland seine eigene Ausstrahlung. So hatte Napoleon I. 1812 zwar Moskau erobert, aber grosse Teile seines Heeres verloren. Nach der gewonnen Schlacht soll der französische Herrscher auf die Terrasse des damaligen Kreml-Palastes gestiegen sein und das von den Russen angezündete Moskau betrachtet haben: der Anfang seines Endes.
Schloss Windsor ist das älteste noch bewohnte Schloss der Welt. Die knapp 1000-jährige Geschichte beginnt mit Wilhelm dem Eroberer, der im 11. Jahrhundert auf dem Gelände eine hölzerne Burg errichten liess. Je nach Kriegs- oder Friedenszeiten gestalteten die nachfolgenden englischen Könige die Anlage mehr zu einer Festung oder einem Palast.
Königin Elisabeth II. nutzt Windsor für ihre Wochenendaufenthalte, für private wie auch für öffentliche Anlässe. Traurige Berühmtheit erhielt der Prachtbau in den 90er-Jahren, als durch Biografien private Momente von Lady Diana und dem englischen Königshaus bekannt wurden. Die verstorbene "Prinzessin der Herzen" war offenbar im Königshaus vielen Intrigen ausgesetzt.
Eine grosse Anzahl der Geschichten, die sich um die Adelige entsponnen haben, gehören jedoch in das Reich der Mythen. Aus diesem entstammt auch die Geschichte von "Herne the Hunter", den Shakespeare 1597 in einem Gedicht beschrieb. Der Gefolgsmann von Richard II. soll bei der Jagd ums Leben gekommen sein und streift seitdem ruhelos durch den Windsor-Park, rüttelt an Ketten, lässt Jagdhörner erklingen und heult unheimlich.
Noch ein bisschen älter als Windsor ist das spanische Schloss Segovia. Dieses Alcázar in Kastilien-León enstand nach der Rückeroberung der maurischen Gebiete auf der iberischen Halbinsel. Im 15. Jahrhundert liess Johann II. einen rechteckigen Donjon (Wehrturm) errichten, den er mit so genannten Pechnasen ausstattete. Zu dieser Zeit war die Wohnburg Sitz der kastilischen Könige.
Da das Alcázar auf einem schmalen Bergrücken liegt und die vielen einzelnen Bauten hoch in den Himmel ragen, ähnelt die Anlage dem bayerischen Neuschwanstein. Der Palast gilt zudem als Vorlage für das Schloss im amerikanischen Disneyland. Viele verschlungene Wege führen von dem ehemaligen Wehrbau in die Stadt Segovia, die im Mittelalter von einer Mauer umgeben war.
Wie der Katharinenpalast so liegt auch der Peterhof unweit von Sankt Petersburg. Das Gelände gilt wegen seiner zur Ostsee gewandten Seite mit den grossen Treppen und dem prachtvollen Wasserspiel als "russisches Versailles". Zar Peter der Grosse eröffnete 1723 den repräsentativen Bau, der das aufstrebende Russland symbolisieren sollte. Im weitläufigen Park befinden sich - damals wie heute - einige Parkschlösser.
Ein russischer Hydraulikingenieur konstruierte für den Peterhof ein 22 Kilometer langes Kanalsystem, das seit fast 300 Jahren die Springbrunnen und Kaskaden mit Wasser versorgt. Das System nutzt das Niveaugefälle zwischen den Teichen und Springbrunnen aus und benötigt deswegen keine Pumpen.
Schloss Frederiksborg auf der dänischen Insel Seeland ist der bedeutendste Rennaissance-Bau in Nordeuropa. Christian IV. erbaute das Repräsentationsgebäude Anfang des 18. Jahrhunderts auf den drei Inseln des Frederiksborgsees. 1720 schlossen Dänemark und Kriegsverlierer Schweden nach dem grossen nordischen Krieg im Rittersaal Frieden.
Nach einem Brand wurde das Schloss 1859 vollständig saniert. Einmalig ist die in Ebenholz und Silber gearbeitete Orgel von Esaias Compenius aus dem Jahr 1610, die wie die Kapelle das Feuer überstanden hatte. Frederiksborg beheimatet das nationalhistorische Museum Dänemarks. Die Traumhochzeiten der beiden dänischen Prinzen sorgten 1995 und 2004 für märchenhafte Momente.
Im August 1661 war König Ludwig XIV. zu Gast im Schloss seines Finanzministers Nicolas Fouquet. Für das üppige Eröffnungsfest des Prachtbaus (heute: Vaux-Le-Vicomte) war der Schweizer Küchenmeister François Vatel verantwortlich, der unter anderem für die Feierlichkeiten die Uraufführung von Molières Schauspiel "Les Fâcheux" (Die Ärgernisse) organisierte. Nicolas Fouquet, damals der reichste Mann Frankreichs, und seine Gäste dinierten aus massivem Gold-Geschirr.
Ludwig XIV. soll über die öffentliche Zurschaustellung von Fouquets Reichtum so verärgert gewesen sein, dass er die Amtsführung seines Finanzministers überprüfen liess. Dabei entdeckten die königlichen Beamten die Veruntreuung von Staatsgeldern, so dass der Eigentümer von Vaux-Le-Vicomte ins Gefängnis kam. Die zwei für das Schloss unweit von Paris verantwortlichen Künstler bauten Ludwig XIV. schliesslich seine Jagdresidenz in Versailles um. Vaux-Le-Vicomte gilt als Vorlage.
Nach Skizzen von Preussenkönig Friedrich dem Grossen entstand das Sommerschloss Sanssouci in Potsdam. Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff baute das "preussische Versailles" im verspielten Rokoko-Stil, so dass üppige Verzierungen wie römische Götterfiguren ihren Platz an den Gebäuden fanden.
Friedrich II. sah das "Ohne Sorgen" (Sans Souci) als sein privates Anwesen an, auf das er sich zurückziehen konnte. Dort komponierte, musizierte und philosophierte der preussische Monarch. Um das Sommerdomizil rankt sich die Müller-Arnold-Legende. Friedrich II. soll sich vom Klappern einer nahe gelegenen Bockwindmühle gestört gefühlt haben. Daraufhin wollte der Monarch dem Müller Johann Wilhelm Grävenitz das Mahlwerk abkaufen, als dieser ablehnte, drohte der Preussenkönig: "Weiss er denn nicht, dass ich ihm Kraft meiner königlichen Macht die Mühle wegnehmen kann, ohne auch nur einen Groschen dafür zu bezahlen?" Darauf soll Grävenitz entgegnet haben: "Gewiss, eure Majestät, das könnten eure Majestät wohl tun, wenn es - mit Verlaub gesagt - nicht das Kammergericht in Berlin gäbe."
Historiker stehen der Legende jedoch kritisch gegenüber, da sie darin eine Propaganda-Geschichte des preussischen Hofes vermuten, der die Rechtsstaatlichkeit der Monarchie unterstreichen wollte.
Für Friedrich Schiller war es ein Alptraum, auf die Pflanzschule in Stuttgart gehen zu müssen. Auf dem Schloss Solitude musste sich der Sohn des Ex-Hauptmanns Schiller nach dem Willen des württembergischen Herzogs Carl Eugen auf eine Militärkarriere vorbereiten. Acht Jahre lang besuchte der Dichter das Schul-Schloss, ehe er als Regimentsmedikus im Alter von 21 Jahren entlassen wurde. 1782, zwei Jahre später, floh der Schriftsteller aus den Fängen des absolutistischen Herzogs in das kurpfälzische Mannheim.
Schillers Ort des Schreckens war zu diesem Zeitpunkt erst 13 Jahre alt. In nur fünf Jahren hatte der Herzog bis 1769 das Repräsentationsschloss im Westen Stuttgarts errichten lassen. Finanzielle Engpässe zwangen den württembergischen Herrscher 1775, die Hofhaltung in Solitude einzustellen und seinen Sitz in das Schloss Hohenheim zu verlegen.
Danach diente die Einrichtung als Militär- sowie Kunstakademie, allgemeine Hochschule und Eliteschule für Söhne aus angesehenen württembergischen Familien. Heute beherbergt das Schloss eine Kunst-Akademie. In den Kavaliersgebäuden des Schlosses wohnen Stipendiaten, ausserdem ist dort das Graevenitz-Museum untergebracht, in dem Werke des Stuttgarter Bildhauers Fritz von Graevenitz (1892 - 1959) gezeigt werden.
Schloss Lichtenstein auf der Schwäbischen Alb gilt als württembergisches Neuschwanstein. Wie die bayerische Anlage entstand auch dieses Schloss im 19. Jahrhundert aus dem blaublütigen Wunsch, eine eigene Ritterburg zu besitzen.
Wilhelm Graf von Württemberg war als leidenschaftlicher Sammler auf der Suche nach einer Bleibe für seine vielen Waffen, Rüstungen und Gemälde und wurde für einen Standort mit der damals verfallen Burg Lichtenstein fündig. Nach Plänen von Carl Alexander Heideloffs liess der Adelige seine Ritter-Fantasien Wirklichkeit werden.
Auf die phänomenale Anzahl von über 1400 Zimmern kommt das Wiener Schloss Schönbrunn. Heimisch fühlten sich dort die habsburgischen Kaiser und Napoleon I., den Schiller-Fan Friedrich Staps 1809 in Schönbrunn ermorden wollte. Kurz zuvor hatte Napoleon den Österreichern in dem Schloss einen Frieden zu seinen Bedingungen aufgezwungen.
Um den Namen des österreichischen Prachtbaus rankt sich ein Märchen, nach dem Kaiser Matthias im Jahr 1612 beim Fasanenschiessen einen schönen Brunnen entdeckt haben will - genau an dem Ort, an dem nach 1692 die ersten Bauten des Lustschlosses entstanden. Heute zieht Schönbrunn die Touristen in Massen an: Mehr als 6,7 Millionen Menschen besuchen jedes Jahr das Gelände, zu dem seit Ende des 18. Jahrhunderts auch ein Tiergarten und ein grosser Park gehört.
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