Sommerzeit ist gleich Reisezeit. Doch in Corona-Zeiten sind die Trips in andere Regionen mit Einschränkungen verbunden. Insbesondere das Fliegen verlangt den Reisenden ein erhebliches Mass an Veränderung ab.
Schon am Flughafen müssen die Passagiere einen Mund-Nasen-Schutz tragen und bei Check-in und Security-Check zusätzlich die jeweils gültigen Abstandsregeln einhalten. Auch am Gate, vor dem Gang in den Flieger, müssen Sicherheitsabstände eingehalten werden. Doch im Flugzeug angekommen, sitzen die Passagiere, mit aufgezogenem Mund-Nasen-Schutz, auf einmal wieder dicht aneinander.
Airline erklärt Verzicht auf Abstand
Der ansonsten überall gültige Abstand wird im Flugzeug keinesfalls gewahrt. Doch warum wird im Flugzeug die Abstandsregelung ausser Kraft gesetzt? Die Lufthansa erklärt auf ihrer Website: "Unsere Luftfilter ermöglichen einen kompletten Luftaustausch innerhalb von etwa drei Minuten. Die so entstehende exzellente Luftqualität bietet in Kombination mit einer Mund-Nasen-Bedeckung so viel Schutz, dass ein Mindestabstand zum Sitznachbarn nicht zwingend eingehalten werden muss.“
Ähnlich wie in Operationssälen haben Flugzeuge auch sogenannte "Hepa-Filter", die selbst Nano-Partikel aus der Kabinenluft filtern können. "Der Abscheidegrad dieser Filter entspricht dem Standard der Filter eines klinischen Operationssaals", erklärt die Lufthansa.
Luft wird im Drei-Minuten-Takt ausgetauscht
Da dies, laut Aussage der Airlines, im Drei-Minuten-Takt geschieht, besteht ein deutlich geringeres Infektionsrisiko als in einem Büro oder in öffentlichen Gebäuden. Zum Vergleich: 20 Luftwechsel pro Stunde finden in einem Flugzeug statt, während es in klimatisierten Büroräumen zwölf und in öffentlichen Gebäuden gar nur fünf sind.
Zudem wird in Flugzeugen die Luft von oben nach unten verteilt und nicht horizontal. Am Kabinenboden wird die "verbrauchte Luft" abgesaugt und im Gepäckraum durch den Hepa-Filter gereinigt, bevor sie, angereichert mit 50 Prozent frischer Luft, wieder nach oben in die Kabine strömt.
Aerosole bleiben länger in der Kabinenluft
Der chinesische Wissenschaftler Yan Chen widerspricht dieser Darstellung der Airlines allerdings. In einer Untersuchung hat er herausgefunden, dass die grösseren Tröpfchen, die beispielsweise beim Husten ausgestossen werden, schnell zu Boden sinken. Hingegen bleiben Aerosole, die jeder von uns schon beim Sprechen ausstösst, länger in der Kabinenluft. So könnten infektiöse Teilchen auch in die "Atemzone" des Nachbarn kommen. Laut Chen dauert es zudem nicht drei, sondern vier Minuten, bis die Luft in der Kabine komplett ausgetauscht ist.
Auch die WHO und die Flugaufsichtsbehörde EASA hatten im Zuge der Corona-Pandemie mehr Abstand im Flugzeug empfohlen, was von den Airlines jedoch mit Verweis auf die mangelnde Wirtschaftlichkeit abgelehnt wurde.
So fliegen derzeit zahlreiche Flieger durch die Welt, die bis auf den letzten Platz gefüllt sind, obwohl das tatsächliche Risiko einer Ansteckungsgefahr noch nicht abschliessend geklärt ist.
Virologe: Ohne Schutzmassnahmen "Ansteckungsgefahr durchaus gegeben"
Der Chef-Virologe der Stellenbosch Universität in Kapstadt, Professor Wolfgang Preiser, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: " Aufgrund der Filterung und starken Umwälzung der Kabinenluft sind Flugzeuge sicherlich weitaus weniger riskant als viele es annehmen. Doch wenn der Sitznachbar mit SARS-CoV-2 infiziert ist und die Beteiligten keine weiteren Schutzmassnahmen treffen, halte ich eine Ansteckungsgefahr durchaus für gegeben.“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verwies bei einer Pressekonferenz jedoch auf den starken Luftaustausch in den Kabinen und leistungsstarke Luftfilter. Gleichzeitig mahnte er zum Einhalten der Maskenpflicht auf Seiten der Airline, aber auch auf Seiten der Passagiere. Denn auch Chen betonte, dass die Maske ein ideales Schutzmittel sei, um bestmöglich Infektionen mit dem Coronavirus vorzubeugen.
RKI-Präsident Wieler: Infektionsgefahr beim Einstieg und Check-In grösser als im Flugzeug
Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, erklärte, dass seiner Einschätzung nach die Gefahr einer Infektion beim Zugang zum Flughafen und beim Anstehen am Check-In-Schalter grösser sei als im Flugzeug selbst, obwohl dort die Abstände nicht eingehalten werden.
Preiser betont, dass, in einer idealen Welt, zumindest der Mittelsitz frei bleiben sollte. Gleichzeitig pflichtet er seinem Wissenschaftskollegen Chen bei, dass die Mund-Nasen-Schutz-Pflicht Infektionen vermeiden kann. "Mit universeller Bemaskung und sonstigen Massnahmen wie strikte Hygiene der Kabinenoberflächen und Toiletten, halte ich die Infektionsgefahr für eher gering. Ich persönlich würde fliegen, wenn es einen Anlass dafür gäbe.“
"Ein- und Aussteigen bestmöglich organisiert und sortiert"
Preiser erklärt, was seiner Meinung nach beim Fliegen hinsichtlich der Infektionsgefahr noch verbessert werden sollte: "Beim Ein- und Aussteigen kommt es oft zu Gedränge mit meist kurzem, aber engem Kontakt zwischen Fremden. Solche Expositionen lassen sich anhand der Sitzplatzverteilung hinterher gar nicht mehr nachvollziehen. Daher sollte das Ein- und Aussteigen bestmöglich organisiert und sortiert werden.“
Doch das Flugzeug selbst ist momentan wahrscheinlich einer der sichersten Orte im Reiseverlauf – sogar in Corona-Zeiten.
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Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Professor Dr. Wolfgang Preiser (Chef-Virologe an der Stellenbosch Universität)
- Dlf.de: Vorsicht beim Feiern im Urlaub
- Nzz.ch: So gross ist das Ansteckungsrisiko im Flugzeug wirklich
- Tagesspiegel.de: Ist man im Flugzeug vor Corona sicherer als in der Bahn?
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