Wien (dpa) - Regen wäre ideal. Eugene Quinn will für seine Tour zu den "hässlichen Seiten Wiens" möglichst trostloses Wetter, damit alles noch schlimmer wirkt.

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Die gewaltigen, unsprengbaren Flaktürme aus dem Zweiten Weltkrieg, das mit Spermien und weinenden Frauen bemalte Haus der Zeit, der millionenteure Dachgeschossausbau ganz aus Glas, der aussieht als sei "ein Ufo auf einem Altbau gelandet". Zu 16 Gebäuden führt der 49-jährige Brite einmal im Monat die Schar derer, die sich in der Weltkulturerbe-Stadt für besondere architektonische Sünden interessieren. "Ich liebe Wien", macht Quinn klar. Für ihn sei die Tour sein Beitrag, die wegen ihrer Schönheit berühmte Stadt ein wenig facettenreicher, hipper und cooler wirken zu lassen.

"Die Hälfte meiner Londoner Freunde hat mich noch nicht besucht, weil sie Wien so langweilig findet", meint Quinn. Das mag sein, trifft aber nicht den allgemeinen Trend. Mit 15 Millionen Übernachtungen von Gästen hat Wien 2016 ein Plus von 4,4 Prozent verzeichnet. Die Stadt hat sich unter anderem mit einem immensen Aufgebot von 900 gründlich ausgebildeten Fremdenführern auf den weiter wachsenden Zuspruch der Ausländer eingestellt.

"Wir bieten rund 400 verschiedene Themen für Führungen an. Diese Vielfalt ist weltweit einmalig", sagt Christa Bauer, Präsidentin des Vereins der geprüften Wiener Fremdenführer. Dazu gehören Touren über die Geschichte der Steuer, über Lust und Erotik und Touren in einer gemieteten Luxus-Limousine inklusive Fremdenführer. Am 17. und 19. Februar wird der Welttag der Fremdenführer in Wien mit kostenlosen Führungen in der Nationalbibliothek und im Kunsthistorischen Museum gefeiert.

Der seit rund 25 Jahren einmal im Jahr derart hofierte Fremdenführer ist zumindest in Wien eine besondere Spezies. Wer die Stadt professionell den Gästen zeigen will, muss in Österreich in der Regel eine viersemestrige, dem Bachelor vergleichbare Ausbildung durchlaufen. Da geht es um Geschichte, Kunstgeschichte, Musik und Geografie genauso wie um die Präsentation des Wissens und die Sicherheit einer Gruppe. "Wir sind nicht fleischgewordene Schirmständer, sondern haben einen Ruf zu verteidigen", sagt Bauer. Jedenfalls in Österreich.

In Deutschland ist die Qualifikation nicht staatlich geregelt. Aber der Bundesverband der Gästeführer setzt sich für eine Zertifizierung ein. Die 6500 beim Verband gemeldeten Mitglieder hätten zumindest eine vielstündige Grundschulung. 700 von ihnen sogar nach 600 Stunden Ausbildung ein grosses Zertifikat, das sie als besonders geschulte Gästeführer ausweise, sagt Verbandssprecherin Sonja Wagenbrenner.

Eine spezielle Ausbildung hat Quinn, der das hässliche Wien präsentiert, nicht. Deshalb agiert er in einer inzwischen von der Stadt geduldeten Grauzone. Zweimal habe er früher eine Strafgebühr von je 380 Euro zahlen müssen, erzählt der 49-Jährige nicht unzufrieden. Denn der Rummel über die Strafe führte dazu, dass zur nächsten - meist englischsprachigen - Führung mehr als 100 Leute kamen. Die standen unter anderem vor dem Media-Tower von Star-Architekt Hans Hollein. Der erinnert Quinn wegen seiner wenig harmonischen Gliederung an einen "explodierenden Kebab". Das Gesundheitsministerium mit seiner blau-grünen Fassade und den Ecktürmen sehe dagegen aus wie ein "Parkhaus in Dubai", meint Quinn.

Seine Definition von hässlich habe nichts mit grauer schlichter Architektur zu tun. Die sei allenfalls langweilig. "Hässlich ist, wenn man etwas Tolles wollte und spektakulär gescheitert ist."

Während die Stadt bei Quinn nun ein Auge zudrückt, gilt das nicht für all diejenigen, die mal so eben ihrer Gruppe den Stephansdom zeigen wollen. Nur wer im Herkunftsland ein echter Fremdenführer sei, dürfe fallweise auch im EU-Ausland eine Sightseeing-Tour leiten, sagt Bauer mit Blick auf Bustouren mit selbsternannten Guides. Wer dagegen verstosse, dem drohten Abmahnungen und der Abbruch der Führung. "In Italien ist das noch strenger. Dort erhalten Ausländer fallweise nur eine Genehmigung für eine bestimmte Region - wie zum Beispiel Venedig."

Erfahrung und Zertifikate: Den richtigen Gästeführer finden

Suchen Reisende einen Gästeführer, der ihnen die Stadt oder Region zeigen soll, erkundigen sie sich am besten nach seiner Erfahrung. "Für das Berufsbild des Gästeführers gibt es keine staatlich geregelte Ausbildung", erklärt Ludwig Kohler, Präsident des Reiseleiter und Tour Guide Verband (RTGV). Deshalb lohne sich ein Blick auf die inhaltliche Qualifizierung. "Will ich auf einer Führung etwas über Berliner Museen erfahren, hat ein passender Gästeführer eventuell Kunstgeschichte studiert."

Ausserdem muss er das Handwerkszeug eines Touristikers beherrschen. Er sollte Gruppen organisieren können und sich im Reiserecht auskennen. Bestimmte Zertifikate können Reisenden Orientierung geben. So gibt es IHK-Zertifikat "Tourist Guide (IHK)". Auch der Bundesverband der Gästeführer in Deutschland hat etwa Richtlinien für Qualifizierte Gästeführer aufgestellt und vergibt ein entsprechendes BVGD-Zertifikat.

Kohler vom RTGV rät ausserdem, sich die Bewertungen des Gästeführers anzuschauen. Verschiedene Plattformen bieten Kunden an, die Führer zu bewerten. "Wie das so ist bei solchen Bewertungen, ist das ja sehr subjektiv", erklärt er. Aber wer genau liest, kann herausfinden, wie der Gästeführer bei den für einen persönlich entscheidenden Kriterien abgeschnitten hat.  © dpa

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