Ein weiterer Rekord auf dem Everest: Der Japaner Yuichiro Miura ist mit 80 Jahren der älteste Mensch, der den Gipfel des höchsten Berges der Welt erobert hat. Was vor einem halben Jahrhundert nur Bergsteigern der absoluten Spitzenklasse gelang, steht heute nahezu jedem offen. Für etwa 30.000 Euro bringen Expeditionsveranstalter jedes Jahr Hunderte auf den Gipfel. Die vermeintlich prestigeträchtige Besteigung des Mount Everest ist zu einem Massenspektakel verkommen, das den Mythos um den berühmtesten Berg der Welt zerstört.
Im Mai ist Hochsaison auf dem Everest, denn das ist die seltene Zeit, in der die Monsunwinde drehen und bestmögliche Voraussetzungen für den Aufstieg in die Todeszone schaffen. Die Gipfelbesteigung war früher eine der grössten Herausforderungen der Menschheit, Ende 2010 ist sie bereits 3.142 Personen gelungen. Mehr als zwei Drittel der Besteigungen entfallen auf den Zeitraum ab dem Jahr 2000. Jedes Jahr kommen etliche Expeditionsteams hinzu.
Sicher, gefährlich ist der Aufstieg immer noch, und bei weitem nicht jeder schafft es bis zum 8.848 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Gipfel. Es vergeht kein Jahr, in dem keine Menschen am höchsten Berg der Welt verunglücken. Zuletzt liessen am 21. Mai diesen Jahres zwei Bergsteiger ihr Leben auf dem Everest.
Insgesamt starben bereits 240 Gipfelaspiranten, die meisten davon bleiben verschollen, manche Leichen gibt der Berg nach Jahren wieder frei. Unter den Todesopfern sind auch viele Sherpas, ohne die der Aufstieg für die Touristen schier unmöglich wäre.
"Everest for everybody" – für 29.500 Euro gibt's das Rundum-Sorglos-Paket
Seit den 1980er Jahren finden kommerzielle Besteigungen des Everest statt. Das hat weniger mit wachsenden bergsteigerischen Fähigkeiten bei der breiten Bevölkerung zu tun als vielmehr mit der zunehmenden Massentauglichkeit der "Mutter des Universums", wie der Berg auf Tibetisch heisst. Die harte Arbeit wird von Sherpas übernommen, die Verantwortung lastet auf den Bergführern. Der Gast zahlt lediglich den Preis – mit Geld und, wenn er Pech hat, mit dem Leben.
29.500 Euro verlangt zum Beispiel der Expeditionsanbieter "SummitClimb" für den Südanstieg ab Nepal, vorausgesetzt man will das "Full-Service-Paket". Die nötigen Sauerstoffflaschen muss man mit 2.500 Euro für fünf Stück extra bezahlen, und auch die Kosten von 5.400 Euro für einen persönlichen Sherpa kommen noch dazu. Die gesamte Ausrüstung für mehrere tausend Euro muss man sich selbst besorgen.
Dafür wird den zahlenden Kunden so viel Komfort geboten, wie es in der unwirtlichen Lage auf über 5.000 Metern (Basislager) überhaupt geht. Die Sherpas präparieren die Route mit Fixseilen und Leitern zum Überqueren von Gletscherspalten. Mehrmals steigen sie zwischen Basislager und den vier Hochlagern auf und ab, um die gesamte Ausrüstung der Expeditionen hinaufzuschaffen und bauen Schlaf-, Koch- und Materialzelte auf. Dafür bekommen sie nach Recherchen des Schweizer Fernsehens (Dokumentation: "Sherpas: Die wahren Helden am Everest") 3.500 bis 5.000 Dollar – ein vergleichsweise guter Verdienst, für den die Träger bereit sind, hohe Risiken in Kauf zu nehmen. Denn der Berg bleibt trotz des ihm aufgezwungenen pauschaltouristischen Flairs unberechenbar.
Der Mensch erhöht das Risiko am Everest
Ein Desaster wie es sich im Mai 1996 ereignete, blieb seither immerhin aus. Damals brachte ein Schneesturm acht Menschen in einer einzigen Nacht um. In seinem Bestseller "In eisige Höhen" beschreibt US-Journalist Jon Krakauer die Katastrophe. Insgesamt starben in jenem Jahr 15 Personen am Everest. Schon damals setzte eine Grundsatzdiskussion um die kommerziellen Expeditionen auf den höchsten Berg der Erde ein. Geändert hat sich seither offenbar nichts. Auch 2012 fällt die Bilanz bedrückend aus: Zehn Menschen kehren nicht aus den eisigen Höhen zurück. In dieser Saison sind es bereits acht Tote. Und es sind nicht nur Wind und Wetter, die den Berg so gefährlich machen, sondern auch der Mensch.
"SummitClimb"-Geschäftsführer Felix Berg rät Interessenten von einer Teilnahme ohne ausreichende Erfahrung am Berg ab. Überprüft wird das jedoch nicht: "Letztendlich muss sich jeder selbst einschätzen. Da kann man im Grunde angeben, was man will." Sich selbst etwas vorzumachen, bringe nichts, denn die Folgen merke man meist schon auf dem Weg zum Basislager. Viele Anfragen verliefen im Sand, weil die Interessenten merkten, dass ihre Erfahrung nicht reiche.
Trotzdem sind es vor allem Bergsteiger-Anfänger, die die Besteigung für alle riskant machen. Immer wieder kommt es zu Staus auf dem Weg zu den Hochlagern und auch zum Gipfel, weil einige Expeditionsteilnehmer nicht schnell genug sind. Der Stillstand in eisigen Höhen und dünner Luft zehrt an den ohnehin überschaubaren Kräften der Gipfel-Aspiranten und macht Unfälle, die schnell tödlich enden, umso wahrscheinlicher.
"Trampelpfade" zum Gipfel
Immer wieder äussert sich auch Bergsteigerlegende
Messner kritisiert den "Verkauf von dünner Luft" sogar an Nicht-Bergsteiger und sportlich Benachteiligte aufs Schärfste: "Als ob der höchste Berg der Erde - immer schon Fluchtpunkt menschlicher Eitelkeiten - nun zur Bühne auch von Invaliden taugen würde."
"Trampelpfade" ebneten mittlerweile den Weg zum Gipfel. "Wo aber ein Weg gebahnt ist, setzt sich das Banale fest, und das Geheimnisvolle kommt abhanden", schreibt Messner. Und er hat so Recht: Wenn Mut, Risiko und Eigenleistung überschaubar sind, ist auch auf dem Berg der Rekorde kein Raum mehr für Heldentaten. Übrig bleibt lediglich der Mythos vom einstigen Mythos Mount Everest.
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