Chemnitz
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Chemnitz ist die Kulturhauptstadt Europas 2025. Bei dieser Nachricht hat sich vermutlich so mancher verwundert die Augen gerieben. Zwar ist die Stadt die viertgrösste in Ostdeutschland. Doch das einstige "Manchester Sachsens" gilt als eher trist.
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Dennoch konnte es die Experten mit seinen kulturellen Schätzen und Macherqualitäten überzeugen und hat Städte wie Nürnberg und Magdeburg im Finale um den Titel geschlagen. 2025 lädt es Besucher ein, unter dem Motto "C the Unseen (dt. 'Sehen Sie das Ungesehene')" Verborgenes und Unbekanntes zu entdecken. Denn Chemnitz ist ein Underdog.
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Im Südwesten der Stadt in der Nähe des Hauptbahnhofs können Sie beispielsweise ein Baudenkmal von europäischem Rang besichtigen: die Villa Esche. Eine Glasdecke überspannt das grosse, blau gestaltete Foyer. Von hier geht es über eine repräsentative Treppe zur Galerie in das obere Stockwerk mit den Privaträumen der einstigen Fabrikantenfamilie.
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Die Esches waren führende Strumpfhersteller in Deutschland, ihre Waren weltweit gefragt. Anfang des 20. Jahrhunderts liess sich Herbert Esche mit seiner Frau Johanna eine neue Villa bauen. Dazu verpflichteten sie keinen geringeren als den belgischen Gestalter Henry van de Velde.
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Der Belgier - wichtiger Vertreter des Jugendstils und Wegbereiter des Bauhauses - entwarf nicht nur die Villa. Er hat auch das Innenleben gestaltet: Möbel, Leuchten und Wandverkleidungen bis hin zum Speiseservice.
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Die Villa steht für zweierlei: für Chemnitz als bedeutende Industriestadt, aber auch für die architektonischen und künstlerischen Schätze der Stadt. Denn der wirtschaftliche Aufschwung, vor allem getragen von Textilindustrie und Maschinenbau, führte zu einem neuen Selbstverständnis wohlhabender Fabrikanten wie den Esches.
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1905 lockten sie einen weiteren Kunststar in die aufstrebende Stadt: den norwegischen Maler Edvard Munch ("Der Schrei"). Er verewigte die Familie Esche und das Tal des namensgebenden Flusses Chemnitz in Gemälden. Sowohl zu Munch als auch zu van de Velde gibt es im Kulturhauptstadtjahr umfangreiche Ausstellungen.
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Vom Hauptbahnhof aus ist viel Sehenswertes gut zu Fuss zu erreichen. Einmal um die Ecke gebogen, kommt der Theaterplatz in Sichtweite, wo Opernhaus, König-Albert-Museum - Sitz der Kunstsammlungen - und Petrikirche ein Ensemble bilden.
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Nur eine Strasse weiter gen Innenstadt wartet das wohl bekannteste Wahrzeichen: die riesige Büste des streng in die Ferne blickenden Philosophen Karl Marx. Der 40 Tonnen schwere Bronzekoloss des russischen Bildhauers Lew Kerbel hat auf seinem Sockel die DDR überdauert.
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Heute ist das von Einheimischen "Nischel" genannte Monument beliebtes Fotomotiv und Treffpunkt - häufig auch für Kunstaktionen. Oft wird es popkulturell adaptiert und ziert Souvenirs: vom Untersetzer über die Powerbank bis zum T-Shirt.
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Von hier empfiehlt es sich zunächst einen Bogen ums Stadtzentrum zu machen. Denn nur wenige hundert Meter weiter zieht eine "Ikone der Moderne" den Blick auf sich: der als Kaufhaus Schocken 1930 eröffnete Bau des Architekten Erich Mendelsohn.
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Heute können Interessierte dort tief in die Vergangenheit eintauchen, mit einer eindrucksvollen Präsentation des Staatlichen Museums für Archäologie. Zum Kulturhauptstadtjahr beleuchtet es auch die Geschichte des Bergbaus vor allem im Erzgebirge.
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Dem Innenstadtring folgend, wartet ein weiterer imposanter früherer Kaufhausbau - das Tietz, das heute mehrere Kulturinstitutionen beherbergt. Während der versteinerte Wald im Lichthof auf das Naturkundemuseum verweist, breitet in einer der oberen Etagen die Neue Sächsische Galerie ihre Kunst aus.
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Die Arbeitsbibliothek des in Chemnitz aufgewachsenen Schriftstellers Stefan Heym hat hier ebenfalls ein neues Zuhause gefunden. Der Autor von "5 Tage im Juni" über den Volksaufstand in der DDR galt als wichtigste Stimme der oppositionellen Literatur in der DDR. Eine Ausstellung informiert über sein Leben und Werk.
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Kunstinteressierte sollten den Innenstadtring zum Museum Gunzenhauser folgen. Das Ex-Bankgebäude beherbergt die Sammlung des gleichnamigen Münchner Galeristen: mehr als 3.000 Werke von 270 Künstlern - vor allem Otto Dix, Alexej von Jawlensky, Willi Baumeister und Gabriele Münter. (Foto: "Sieh Dir die Menschen an", vom 12.05. bis 01.09.24 zu sehen)
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Raus aus dem Zentrum, über den Fluss und ab auf eine Anhöhe: den Kassberg. Hier liegt eines der derzeit beliebtesten Wohnviertel. Am Eingang des Viertels fällt eine moderne Wohnanlage auf, die durch ihre besondere Form auch "tanzende Siedlung" genannt wird. Der Kassberg gilt als eines der grössten Gründerzeit- und Jugendstil-Viertel in Europa (Bild).
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Bis 1855 waren dort noch Wiesen und Felder, als die Stadt jedoch mit der Industrialisierung rasant wuchs, entstand hier oben im Abstand zu den Fabriken eine Vielzahl neuer Häuser. Heute sind es 750 denkmalgeschützte Gebäude und Fassaden. Auf dem Kassberg haben bekannte Kulturschaffende einen Teil ihres Lebens verbracht, wie die Bauhaus-Künstlerin Marianne Brandt und der Autor Lothar-Günther Buchheim ("Das Boot").
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Zu den Glanzstücken des Viertels zählen die "Majolika-Häuser", die kurz vor 1900 entstanden. Der Name ist maurischen Ursprungs und bezieht sich auf zinnglasierte Keramik. Solche Fliesen zieren die Fassade, bilden Ornamente und figürliche Darstellungen.
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Im Kulturhauptstadtjahr lockt Chemnitz mit vielen Kulturprojekten und Veranstaltungen - das Programmbuch ist mehr als 400 Seiten stark. Das frühere Chemnitzer Braunkohlekraftwerk mit seiner weithin sichtbaren Esse wird beispielsweise zu einer Galerie für zeitgenössische Kunst. Rund zwei Millionen Besucher werden 2025 erwartet.