Hamburg (dpa/tmn) - Auf Reisen ergibt sich häufig folgendes Bild: Singles, Paare, Freunde und Familien postieren sich abgekämpft vom stressigen Touristenalltag vor einer Sehenswürdigkeit, nur um einen Augenblick später in die Kamera zu strahlen, als sei es ihr glückseligster Moment auf Erden.

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Das Selfie ist zum beliebtesten Urlaubsfoto geworden. Was steckt dahinter? Der Gipfel des Egoismus? Die normale Aneignung einer neuen Technologie? Ein urmenschliches Bedürfnis? Drei Perspektiven auf ein unvermeidliches Phänomen:

1) Der Kulturpessimist: Selfies sind der Niedergang des Reisens

Schaut mich an! Auf dem Selfie steht allein der Reisende im Fokus. Der Hintergrund verschwimmt, ist austauschbar. Die These: Jeder dreht sich nur noch um sich selbst. "Wir springen von einem Highlight zum nächsten. Alles wird beliebig", beschreibt Tourismusforscher Prof. Ulrich Reinhardt die Lage. "Die Selbstinszenierung wird auf die Spitze getrieben", findet der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. "Man macht 17 Selfies vor dem Eiffelturm, um das perfekte Bild zu haben." Für die Sehenswürdigkeit wird die Zeit dann knapp.

Abschreckende Beispiele für Urlauber, die nur noch sich selbst sehen und sonst nichts mehr, lassen sich leicht finden. In Argentinien wollten kürzlich so viele Menschen ein Foto mit einem gestrandeten Delfin-Baby machen, dass dieses in der Sonne austrocknete und starb.

Die Inflation der Selfies auf Reisen hat aber noch andere, weniger dramatische Folgen: "Es geht vieles verloren", sagt Prof. Reinhardt. Das kuriose Detail, das unscheinbare Restaurant, der interessante Umweg - diese Dinge geraten aus dem Blick. Denn dieser richtet sich nur auf einen selbst. "Wir haben nicht mehr die Gabe, in einen Moment völlig einzutauchen."

2) Der Digital Native: Was technisch geht, wird auch gemacht

Dieser Blickwinkel ist etwas anders: Das Selfie wird gemacht, weil es eben so einfach zu machen ist, vor allem seit dem Selfie-Stick. "Das Selfie ist ein Symptom eines schon veränderten Reisens", sagt André Wendler, der an der Bauhaus-Universität Weimar zu Netzkultur und Selfies forscht. Seine These: Zwischen Technik und sozialem Verhalten existiert eine Wechselwirkung. "Die Postkarte hat es nur gegeben, weil es ein Postsystem gab. Das hing eng mit der Erfindung der Eisenbahn zusammen." Heute gibt es Smartphones und soziale Netzwerke - und damit eben auch Selfies, die massenhaft geteilt werden.

Dass sich kaum einer mehr für den Eiffelturm an sich schert, hat ebenfalls mit der Technik zu tun: "Die blosse Ansicht von entfernten Orten ist heute trivial", sagt Wendler. Denn es gibt Zigtausende Bilder von ihnen im Netz. "Was aber nicht trivial ist, ist, dass man selbst an einem Ort ist - und zwar möglichst immer an einem anderen." Und die Freunde werden aus einem einfachen Grund ständig mit Selbstporträts aus dem Urlaub versorgt: Weil es geht. Drahtlosinternet findet man heute auf den abgelegensten Inseln.

Wer Selfies verabscheut, kann also genauso soziale Netzwerke, das permanente Online-Sein und die Kommerzialisierung des Fliegens verteufeln. Oder eben die Technik, die es gibt, nutzen.

3) Die Psychologin: Wir waren schon immer geltungssüchtig

Den Mitmenschen zeigen, dass man einen tollen Urlaub hat und rundum glücklich ist - das wollten die Menschen schon immer. "Psychologisch haben wir uns nicht verändert", sagt die Medienpsychologin Astrid Carolus von der Universität Würzburg. "Früher hat man nach dem Urlaub einen Dia-Abend gemacht, heute gibt es die Live-Präsentation über soziale Medien." Damals habe man sich also durchaus auch inszeniert. Heute sei das nur unmittelbarer geworden.

Zwar gibt auch Carolus zu, dass sich die Perspektive auf den Urlaub verändert, wenn man die ganze Zeit nur versucht, schöne Selfies zu machen. Aber: "Dass man mit Smartphone weniger wahrnimmt als ohne, ist nicht unbedingt gesagt. Es ist erst einmal kein schlechterer, sondern ein anderer Blick", sagt die Psychologin. Und: "Die Doppelverwertung der Erlebnisse, die Dokumentation für andere, das ist vielen Menschen sehr wichtig", weiss Carolus. Das Selfie, könnte man sagen, wertet den Urlaub sogar noch auf.  © dpa

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