Mallorca verzeichnet Rekordbesucherzahlen, doch die Einheimischen leiden zunehmend unter den Touristenmassen. In diesem Sommer entlädt sich ihre Wut in grossen Demonstrationen. Viele Urlauber zeigen dafür kein Verständnis – schliesslich lebt die Insel vom Tourismus. Doch zu welchem Preis?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Julia Wolfer sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Reiseland Spanien boomt: Im vergangenen Jahr besuchten 75 Millionen Touristinnen und Touristen das Land und seine Inselgruppen – rund 40 Prozent mehr als noch zehn Jahre zuvor. Mit 12,5 Millionen Besucherinnen und Besuchern zählt Mallorca auch 2023 zu den beliebtesten Destinationen des Landes. Ein neuer Rekord, der mit einem Plus von 500.000 Reisenden im ersten Halbjahr 2024 schon gebrochen werden könnte.

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Doch für viele Spanierinnen und Spanier ist das längst kein Grund zur Freude mehr: Die Lebensqualität der Einheimischen leidet unter den Besuchermassen. Seit Monaten gehen in Spaniens Touristenhochburgen Zehntausende Menschen auf die Strasse, um gegen den Massentourismus und den "Ausverkauf" ihrer Heimat zu protestieren. Zuletzt wurde unter anderem der bei Deutschen so beliebte "Ballermann" besetzt.

Ein Drittel der Mallorca-Urlauberinnen und -Urlauber hält die Proteste laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gadeso für "nicht gerechtfertigt", berichtet die "Mallorca Zeitung" – die Menschen lebten schliesslich vom Tourismus. Jürgen Schmude, wissenschaftlicher Leiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus (BZT), hat hingegen Verständnis für den Frust vieler Spanierinnen und Spanier.

"Die Lebenswelt der Einheimischen ist schon immer durch den Tourismus beeinflusst – aber jetzt wurde eine rote Linie überschritten", sagt Schmude. Die Bevölkerung leide inzwischen auch finanziell unter dem Tourismus. "Die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Bewohner ist überschritten."

Einheimische können sich Mallorca nicht mehr leisten

Verschmutzte Strände, rüpelhafte Partyurlauber und Wasserverschwendung in Luxusherbergen – es gibt zahlreiche Probleme, die durch den "Overtourism" auf der Insel verursacht werden. Doch das Hauptthema der Demonstrationen ist die Wohnungsnot.

In ganz Spanien fehlen derzeit nach Angaben der Zeitung "El País" 600.000 Wohnungen. Das ohnehin knappe Angebot wird durch die hohe Nachfrage von Sonnensuchenden weiter verknappt. Viele Häuser werden an vermögende Investoren aus dem Ausland verkauft, rund die Hälfte aller Mietobjekte auf Mallorca sind Ferienunterkünfte. Das treibt die Preise für Immobilien und Mieten in die Höhe.

"Die Einheimischen haben fast keine Chance, Wohnungen neu anzumieten – und wenn doch, dann sind sie extrem teuer", sagt Schmude. Nach Angaben des spanischen Online-Mietportals "Idealista" kostet der Quadratmeter auf Mallorca heute durchschnittlich 4.445 Euro – eine Zunahme um rund 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Mieten sind im selben Zeitraum sogar um fast 15 Prozent auf 18,60 Euro pro Quadratmeter gestiegen.

Dieses Preisniveau ist mit dem von Ballungszentren wie Köln vergleichbar. Viele Mallorquiner können sich das mit einem Jahresverdienst von durchschnittlich 21.765 Euro nicht mehr leisten. Im Durchschnitt müssen die Menschen auf Mallorca rund die Hälfte ihres Gehalts für die Miete aufbringen. In Deutschland ist es rund ein Viertel.

Von den Preissteigerungen betroffen sind nicht nur Wohn-, sondern auch Geschäftsräume, was die lokale Wirtschaft zugunsten grosser Ketten verdrängt.

Tourismus – ein Wohlstandsbringer?

Allgemein gilt Tourismus als Job- und Wohlstandsbringer – insbesondere in Regionen ohne andere grosse Industrie- oder Wirtschaftszweige. Vor der ersten Tourismuswelle in den 1960er-Jahren war Mallorca arm und landwirtschaftlich geprägt. Das hat sich geändert. Die Tourismusbranche kurbelte die Wirtschaft an und brachte Arbeitsplätze auf die Insel. Neben Bauindustrie, Landwirtschaft, Bergbau und Fischerei macht Tourismus mit 45 Prozent den Löwenanteil der Wirtschaftsleistung aus.

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"Der Tourismus hat sehr viele positive Aspekte, das stellt auch auf Mallorca niemand infrage", sagt Schmude. "Nur profitieren nicht alle gleichermassen davon." Ein grosser Teil der Gewinne aus dem Tourismus wird von ausländischen Investoren und internationalen Hotelketten abgeschöpft.

Insbesondere die All-inclusive-Gäste sehen viele Einheimische kritisch: Sie geben in lokalen Bars und Restaurants kaum Geld aus. Und viele der Jobs im Tourismusgewerbe sind auf die Hochsaison im Sommer beschränkt und schlecht bezahlt.

Einwohner fordern neues Tourismusmodell für Mallorca

All das führt dazu, dass sich die Mallorquiner und Bewohner anderer spanischer Urlaubsorte nun Luft machen. Parolen wie "Tourists go home. You are not welcome" oder Spritz-Attacken mit Wasserpistolen bleiben dabei aber eher die Ausnahme. Der Protest richtet sich nicht gegen den Tourismus an sich, sondern gegen die Auswüchse des Massentourismus, sagt Schmude: "Die Menschen dort wissen sehr genau, dass Mallorca vom Tourismus lebt."

Die Demonstranten wünschen sich insgesamt weniger, aber dafür höherpreisigen Tourismus. Kritiker befürchten allerdings, dass das zwangsläufig zu geringeren Einnahmen auf der Insel führen und Arbeitsplätze kosten könnte. Schon in der laufenden Saison zeigt sich laut dem "Mallorca Magazin", dass bei den Urlaubern aufgrund gestiegener Flug- und Hotelkosten das Geld für Restaurants, Clubs und Ausflüge weniger locker sitzt.

Dass die Einnahmen durch einen Umbau des Tourismusmodells sinken, sei durchaus möglich, glaubt auch der Tourismusexperte. "Früher waren die Einnahmen jedoch auch geringer – und die Insel konnte durchaus gut davon leben", sagt Schmude. "Die Frage ist doch: Welchen Preis bezahlt man für den Tourismus?"

Allerdings ist der Umbau von Billig- auf Qualitätstourismus nicht kurzfristig umsetzbar. Die Infrastruktur auf Mallorca ist stark auf Party-Urlauber ausgelegt. "Ohne diesen Menschen zu nahe treten zu wollen, aber ihre Ansprüche an die Beherbergungsqualität sind eher gering", sagt Schmude.

Die in die Jahre gekommenen Bettenburgen kurzerhand auf die Ansprüche von zahlungskräftigeren Kultur- oder Sportreisenden umzustellen, sei nicht möglich. "Das ist kein Prozess, der von heute auf morgen funktioniert." Zudem gäbe es Verträge mit Reiseveranstaltern, die oft für Jahre abgeschlossen werden und bis Ende der Vertragslaufzeit erfüllt werden müssen.

Regierung kündigt "mutige Massnahmen" an

Doch der Unmut der Bevölkerung hat bei der Balearischen Regionalregierung unter Führung der konservativen Volkspartei Partido Popular inzwischen zu einem Umdenken geführt. Nachdem sich die wirtschaftsliberale Partei lange Zeit gegen jede Beschränkung des Tourismus verwehrt hatte, versprach die Regierung nun zeitnah "mutige Massnahmen".

Im Raum stehen unter anderem Beschränkungen für Kreuzfahrtschiffe, Alkoholverbote in der Öffentlichkeit, eine begrenzte Anzahl von Mietwagen sowie keine Herausgabe neuer Lizenzen für Ferienunterkünfte. Diese Regelungen würden dann nicht nur für Mallorca gelten, sondern für die gesamten Balearen.

"Ich fürchte, wir werden auch in den nächsten Jahren weiter Schlagzeilen über die Probleme des 'Overtourism' lesen."

Tourismusforscher Jürgen Schmude

Zuletzt sorgte Barcelona mit ähnlichen Massnahmen für Schlagzeilen: Dort will man künftig alle Ferienwohnungen verbieten, um sie wieder dem lokalen Wohnungsmarkt zuzuführen. Ein drastischer Schritt, der aus Sicht von Jürgen Schmude durchaus sinnvoll ist.

"Durch Airbnb und andere Plattformen wurde eine gute Idee zu einem Geschäftsmodell pervertiert", sagt der Tourismusexperte. "Appelle allein bringen nichts. Will man das Problem in den Griff bekommen, muss man konsequent durchgreifen – und das ist immer mit Limitierungen verbunden."

Tourismusforscher Jürgen Schmude. © privat

In Barcelona gehe es dabei um mehrere Zehntausend Wohnungen, die damit dem lokalen Wohnungsmarkt wieder zugeführt werden, sagt Schmude. Das allein werde das Problem der Wohnungsnot zwar nicht lösen, aber zur Entspannung beitragen.

Allerdings greifen auch diese Massnahmen nicht von heute auf morgen: Barcelona lässt sich mit dem Verbot aller Ferienunterkünfte bis 2028 Zeit. Und so werden auch die Mallorquiner noch einiges an Geduld aufbringen müssen, glaubt Schmude.

Zwar liessen sich manche Touristengruppen von den Protesten in der Wahl ihres Urlaubsortes abschrecken, aber Mallorca werde nach wie vor ein gefragtes Reiseziel bleiben. "Ich fürchte, wir werden auch in den nächsten Jahren weiter Schlagzeilen über die Probleme des 'Overtourism' lesen."

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Jürgen Schmude ist emeritierter Professor und Tourismusforscher an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und aktuell wissenschaftlicher Leiter des bayerischen Zentrum für Tourismus. Seit vielen Jahren erforscht er die Auswirkungen des Massentourismus und wie sich der Tourismus durch Einflussfaktoren wie den Klimawandel verändert.

Verwendete Quellen

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