Massenhafte Krankmeldungen und eine Airline, die nicht mehr starten kann. Nachdem sich ein Grossteil des Personals fluguntauglich gemeldet hat, stellte der Ferienflieger TUIfly am Freitag den Betrieb komplett ein. Schnell war in den Medien von einem "kalten Streik" und falschen Krankmeldungen die Rede. Doch die mysteriöse Krankheitswelle könnte eine andere Ursache haben.
Es war eine dieser Meldungen, die für Arbeitnehmer selten Gutes bedeuten. Mitte vergangener Woche wurde offiziell bekannt, dass die Touristiksparte von Air Berlin mit TUIfly in einem neuen Dachverband zusammengelegt werden soll. Der deutsche Touristikkonzern und die arabische Fluggesellschaft Etihad als Grossaktionär von Air Berlin bestätigten am Mittwoch die laufenden Gespräche. Spekulationen über diesen Schritt gab es bereits länger, die betroffenen Mitarbeiter waren jedoch offenbar nicht informiert worden.
Verantwortungsloses Flugpersonal?
Die Angst vor Arbeitsplatzverlusten oder einer massiven Verschlechterung der Arbeitsbedingungen machten in der Belegschaft die Runde. Immer mehr Mitarbeiter meldeten sich krank. Bereits am Mittwoch und Donnerstag fielen Flüge aus. Am Donnerstag Abend sagte TUIfly alle Flüge für den Freitag wegen der "massenhaften und äusserst kurzfristigen" Krankmeldungen in der Belegschaft ab.
Der hohe Krankenstand wirft tatsächlich Fragen auf. Der Verdacht, dass viele Mitarbeiter gar nicht krank sind - sondern aus anderen Gründen zu Hause bleiben, wurde zum Beispiel vom bayerischen Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer indirekt geäussert. "Das ist verantwortungslos gegenüber den Kunden", schimpfte der CSU-Mann gegenüber der "Bild"-Zeitung. Bei allem Ärger könnten Mitarbeiter von Unternehmen Konflikte nicht so auf dem Rücken von Kunden austragen, so der Politiker.
Die Unterstellung war eindeutig: Die Ausfälle seien ein Protest des Personals gegen die neue Firmenstruktur. Wenn sie wollten, könnten die Piloten und Flugbegleiter sehr wohl die Passagiere in den Urlaub fliegen - so konnte man Ramsauers Aussagen verstehen. Das böse Wort eines "kalten Streiks" geistert seit Donnerstag durch die Medien.
"Natürlich kursiert da nicht plötzlich die Grippe auf allen Fluren"
Ein Vorwurf ist das, den Nicoley Baublies entschieden zurückweist, auch wenn der Gewerkschafter den Zusammenhang der Krankmeldungen mit der Umstrukturierung nicht leugnen will. "Natürlich kursiert da nicht plötzlich die Grippe auf allen Fluren", sagte das Vorstandsmitglied der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO) im Gespräch mit unserer Redaktion. Die derzeitige Lage sei allerdings erwartbar gewesen, glaubt Baublies. "Das Management hat in völlig einzigartiger Weise per Mitarbeiter-Brief die wirtschaftliche Existenz der Kollegen in Frage gestellt - und sich dann in das Wochenende verabschiedet", betont Baublies. In so einer Situation müsse man davon ausgehen, dass Menschen so reagierten. "Den einen macht so etwas Angst, die anderen werden krank", erklärt der Gewerkschafter. So etwas passiere auch in anderen Berufsgruppen, wenn sich Arbeitnehmer persönlich bedroht fühlten.
"Wer nicht hundertprozentig fit ist, darf nicht fliegen"
Die Bedingungen an Bord eines Verkehrsflugzeuges stellten ausserdem besondere Anforderungen an das Personal. "Wer nicht hundertprozentig fit ist, darf nicht fliegen", erklärt Baublies. "Und jemand, der psychisch am Boden ist und sich urplötzlich Existenzängsten ausgesetzt sieht, der kann nicht zwei Stunden später über 100 Leute sicher in den Urlaub transportieren". Die Krankmeldungen seien deshalb vor allem mit Blick auf die Flugsicherheit gerechtfertigt, glaubt der Gewerkschafter, der deshalb nicht von negativen Konsequenzen für die Mitarbeiter ausgeht.
Auswirkungen ähneln denen eines Streiks
"Es ist natürlich so, dass der Arbeitnehmer bei einem besonderen Verdacht die Krankmeldungen eines Mitarbeiters einer genauen Prüfung unterziehen kann", erklärt Baublies. Zum Beispiel könnten, wenn sich jemand immer Samstags krankmeldet, Atteste ab dem ersten Tag gefordert werden. Diesen Fall sieht er aber in Bezug auf die Krankmeldungen bei TUIfly aus den genannten Gründen nicht. Dass der massenhafte Mitarbeiter-Ausfall in den Konsequenzen durchaus mit einem Streik vergleichbar sei, will der Gewerkschafter dagegen gar nicht abstreiten.
"Das sind tatsächlich ähnliche Auswirkungen", sagte Baublies. Es sei aber "trotzdem falsch, von einem verkappten Streik zu sprechen" und damit zu unterstellen, die Mitarbeiter wollten durch ihre Krankmeldungen irgendwelche Forderungen durchsetzen. "Viele Mitarbeiter fühlen sich derzeit aus nachvollziehbaren Gründen nicht in der Lage zu fliegen", betont Baublies. Und wer sich selbst nicht als flugtauglich einschätzt, den werde kaum ein Gericht zum Fliegen zwingen können.
Falsche Krankmeldungen erfüllen Tatbestand des Betrugs
Der Gewerkschafter steht mit seiner Einschätzung nicht alleine da. Selbst wenn es bei einzelnen Arbeitnehmern tatsächlich zuträfe, dass sie mit ihren Krankmeldungen ihrem Ärger über die Unternehmensführung Luft machen wollten, hat TUIfly kaum Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. "Kollektive Krankmeldungen unterhalb von drei Tagen sind ein extrem schlaues Mittel, gegen das sich der Arbeitgeber kaum wehren kann", sagte der Jurist Prof. Robert von Steinau-Steinrück in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Falsche Krankmeldungen erfüllen dem Fachanwalt zufolge zwar den Straftatbestand des Betruges, weil sich der Arbeitnehmer den Anspruch auf Entgeltfortzahlung erschwindelt. Angst vor der Entdeckung muss ein Simulant allerdings kaum haben, denn der Arbeitgeber habe kaum Möglichkeiten zu beweisen, dass der Arbeitnehmer nicht krank war, heisst es in dem dpa-Bericht.
Keine Konsequenzen?
Für TUIfly könnte das bedeuten, dass sich das Management besser sehr schnell mit seinen Mitarbeitern aussöhnen und deren existentiellen Ängste entkräften sollte. Dazu passt, dass Gewerkschafter Baublies bisher "zum Glück überhaupt nichts davon gehört hat, dass die Airline in irgendeiner Form gegen die Mitarbeiter vorgehen will". Der massenhafte, krankheitsbedingte Ausstand könnte ohne Konsequenzen bleiben.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.