Das Dorf Bondo im Kanton Graubünden wurde in den letzten Tagen von einem Bergsturz und Murgängen heimgesucht. Acht Wanderer werden vermisst. Letzte Nacht stürzten erneut Gesteinsmassen ins Tal. Wie wird die Sicherheit der Wanderwege in Regionen gewährleistet, wo solche Naturgewalten drohen.

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65'000 Kilometer, mehr als eineinhalb Mal um die Erde. So lang ist das Netz der Schweizer Wanderwege. Die Sicherung der Wanderwege ist Sache der Kantone, Gemeinden und lokaler Organisationen, die sich in ihren Regionen um die Pfade kümmern, Wegweiser und Warnschilder aufstellen oder die Wege sperren, wenn die Risiken zu gross sind.

Mit dem Eintrag eines Wanderwegs in einen so genannten Sachplan und der entsprechenden Markierung übernehmen die Behörden eine gewisse Verantwortung. Die Abgrenzung zwischen Eigen- und Behördenverantwortung lässt sich aber in der Praxis nicht genau bestimmen. Wer im alpinen Raum - auch auf signalisierten Routen - wandert, nimmt je nach Region ein mehr oder weniger erhöhtes Risiko in Kauf.

Wie der Verband Schweizer Wanderwege in seinem kürzlich publizierten Leitfaden "Gefahrenprävention und Verantwortlichkeit auf Wanderwegen" festhält, erfolgt die Naturgefahrenprävention auf Wanderwegen im Wesentlichen reaktiv, also anhand bereits erfolgter Ereignisse.

Wanderer und Bauern geben Rückmeldung zu Gefahren

Abgesehen von ihren eigenen Überwachungen sind die Verantwortlichen für Wanderwege auf Rückmeldungen von Wanderern, Forst-Verantwortlichen und Bauern angewiesen, die sie auf mögliche Gefahren entlang der Wanderwege aufmerksam machen. Je nach Lagebeurteilung sind dann genauere Überwachungen, bauliche Schutzmassnahmen, Felssprengungen oder Warnsysteme erforderlich.

Manchmal muss der Wanderweg umgeleitet werden. Der Verband Schweizer Wanderwege weist darauf hin, dass Regionen mit hohem Felssturz- oder Erdrutsch-Risiko sehr standortspezifisch sind. Manchmal sind Routen, die nur wenige Meter von der Gefahrenzone entfernt sind, ohne Risiken begehbar. Ein spektakuläres Beispiel dafür ist die längste Hängebrücke der Schweiz bei Zermatt im Kanton Wallis.

In bestimmten Regionen mussten Wanderwege gänzlich gesperrt werden. Seit 2016 sind zum Beispiel am Nordhang der Moosfluh am Rand des Aletsch-Gletschers sechs Kilometer Wanderwege wegen Erdrutschgefahr geschlossen. Der Hang ist eine der am intensivsten überwachten Bergregionen. Ein Dutzend Sensoren erfassen und melden dort die Erdbewegungen.

Christoph Hegg, Experte für Naturgefahren und Risikomanagement bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft (WSL), sagte am Schweizer Fernsehen SRF, dass Umleitungen und Sperrungen von Wanderrouten künftig häufiger erforderlich werden könnten, weil der Permafrost als Folge der Klimaerwärmung auftaut und der Fels deshalb brüchiger und instabiler wird.

Christian Huggel, Experte für Gefahrenanalyse an der Universität Zürich, sagte gegenüber SRF: "Man kann schon sagen, dass kleinere, zum Teil auch seltener grosse Stürze tendenziell häufiger geworden sind in den letzten 10, 20,30 Jahren. Auch in Zukunft wird man damit rechnen müssen, dass es häufiger zu solchen Ereignissen kommt als vielleicht noch vor 50, 60 Jahren."

Und Ueli Mosimann, der Sicherheitsverantwortliche beim Schweizer Alpenclub (SAC), sagte in der gleichen Sendung, dass der SAC gewisse Wander- und Kletterrouten wegen Felssturz- und Erdrutschgefahr nicht mehr begehe.

Das Unglück von Bondo

Auch Bondo, ein Dorf im Kanton Graubünden, das in den letzten Tagen von Bergstürzen und Murgängen heimgesucht wurde und acht vermisste Wanderer zu beklagen hat, befindet sich unter einem Hang, der von den Behörden seit einiger Zeit überwacht wird. Nach einem kleineren Bergsturz 2011 stellten Experten fest, dass sich der Berg innerhalb von drei Jahren um 30 Zentimeter bewegt hatte. In der Folge wurde ein Frühwarnsystem eingerichtet, von dem das Dorf in den letzten Tagen profitierte. An verschiedenen Orten im Dorf und auf Wanderrouten waren Hinweistafeln aufgestellt worden, die vor den akuten Naturgefahren warnten.

Der Bürgermeister sagte gegenüber Medien, das Dorf habe alles unternommen, um die Risiken zu mindern.

Ein Gebiet, das von den Bergstürzen und Murgängen besonders stark betroffen ist, war als Hochrisiko-Zone markiert gewesen. Wanderer wurden dort davor gewarnt, zu verweilen. Geschlossen war der Weg aber nicht. Für die kantonale Behörde schien dies vertretbar. Ein Bergsturz komme nur sehr selten vor. Ausserdem seien auf diesem Bergwanderweg nur wenige Personen unterwegs, sagte Christian Wilhelm, Fachbereichsleiter Naturgefahren. "Zusammen ergibt dies ein sehr geringes Risiko." Das sei eine Entscheidung, die man in den Bergen treffen müsse.

Laut dem Hüttenwart des Berghauses Sciora, die dem Erdrutsch am nächsten liegt, hatte sein Team alle Wanderer, die vorbeikamen, vor den Risiken gewarnt. Auch jene acht Wanderer, die vermisst werden. Sie waren in Gruppen von zwei Personen unterwegs und hatten die Hütte am Tag der Naturkatastrophe morgens um acht Uhr verlassen und kamen nie mehr zurück. Weil keine Hoffnung mehr besteht, sie zu finden, wurde die Suche nach ihnen inzwischen eingestellt.

Gefahrenzonen

Die Verantwortlichen für die Wanderwege können sich auf Gefahrenkarten stützen, die von den Kantonen erarbeitet werden. Aber wenn das Gefahrenrisiko für bestimmte Zonen als hoch eingestuft wird, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass ein Ereignis wie in Bondo unmittelbar bevorsteht.

Der für die Region Bondo zuständige Geologe Yves Bonanomi sagte gegenüber SRF, dass es sich um ein "aussergewöhnliches Ereignis" handle, nämlich ein massiver Bergsturz und "das gleichzeitige Auslösen eines sehr grossen Murgangs, der erst unten im Tal im Geschiebesammler bei Bondo zum Erliegen kam. Normalerweise lagert sich ein Bergsturz in dem bekannten Bereich ab, den man abgeschätzt hat.

Nach späteren starken Niederschlägen können dann Murgänge ausgelöst werden." Aber im Bondasca-Tal traf letzte Woche die ungewöhnliche Kombination mit voller Wucht ein. Der Bergsturz, der zwar erwartet worden war, entwickelte sich aber zu einer unerwartet gewaltigen Schlamm- und Gerölllawine.

Letzte Nacht wurden nach einem weiteren Bergsturz und neuerlichen Murgängen erneut Strassen, die gesperrt waren und Häuser, in denen sich niemand mehr aufhielt, verschüttet. Menschen kamen nach bisherigen Erkenntnissen diesmal nicht zu Schaden.


(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler), swissinfo.ch

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