Die beiden Zürcher Autorinnen Dana Grigorcea und Simone Meier haben je einen neuen Roman geschrieben. Grigorcea über die Biografin von Constantin Brancusi, Meier über die postume Managerin Vincent van Goghs. So ähnlich ihr Ansatz, so unterschiedlich ist das Resultat.
"Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen" ist ein Titel, der Dana Grigorceas Stil schon auf dem Umschlag ihres neuen Romans anklingen lässt: geheimnisvoll, poetisch und zugleich präzis. Das Buch erzählt von einem jungen Bildhauer, der 1926 aus Frankreich nach New York aufbricht, wo ihn sein Galerist gross herausbringen will.
Dieser Constantin ist dem rumänisch-französischen Bildhauer Constantin Brancusi nachempfunden, wobei die ebenfalls aus Rumänien stammende Dana Grigorcea ihn zur fiktionalen Figur macht, indem sie ihm den Nachnamen Avis (lat. Vogel) gibt.
Um einen stark abstrahierten Vogel aus Brancusis Werk nämlich entbrannte 1926 in den USA ein mehrjähriger Rechtsstreit. Die amerikanische Zollbehörde definierte die zu importierende Skulptur "Bird in space" als zollpflichtige Manufakturware, während Brancusi darauf beharrte, dass es sich um ein Kunstwerk handle. Als solches musste es nicht versteuert werden. In den Gerichtsverhandlungen ging es immer wieder um die Frage, was Kunst sei und was nicht.
"Die Frage, woraus denn Kunst entsteht und was sie mit uns macht, zieht sich durch alle meine Bücher", antwortet Dana Grigorcea gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auf die Frage, wie sie zum Thema ihres neuen Buches gekommen sei. "Aber hier ist es mir gelungen aufzuzeigen, dass die Kunst Zeiten und Orte und Geschlechter transzendiert. Das war mir sehr wichtig, in einer Zeit der Zuschreibungen."
Zweite Hauptfigur des Romans ist Dora Marcu, eine Autorin unserer Zeit, die in einem Hotel an der ligurischen Küste Constantin Avis' Biografie schreibt und immer mehr mit ihm verschmilzt. Mit nach Italien gereist sind ihr Sohn Loris und das Kindermädchen Macedonia, das Dora die Zeit zum Schreiben freihält.
Autofiktionaler Roman
In der Rahmenerzählung ihres neuen Romans vertieft Dana Grigorcea das Thema der Mutterschaft von Künstlerinnen. Vermutlich kann sie, die selber zwei Kinder hat, das schlechte Gewissen der Schriftstellerin Dora angesichts des fremdbetreuten Sohnes gut nachvollziehen. "Ist Dora eine schlechte Mutter?", fragt Grigorcea. "Ich bin gespannt auf die Antworten meiner empathischen Leserschaft."
Auch in Simone Meiers kürzlich erschienenem Roman "Die Entflammten" identifiziert sich eine Nachgeborene – die Studentin Gina – mit einer historischen Figur, über die sie schreiben soll. Es ist Jo van Gogh-Bonger, die ihren Schwager Vincent van Gogh nach seinem Suizid berühmt gemacht hat. So, wie Dora mit Constatin im New York der Golden Twenties unterwegs ist, taucht Gina mit Jo ein in die Pariser Kunstwelt um 1900. Gina hat zwar keinen Sohn, der sie vom Schreiben abhält, dafür einen Vater, der einst ein preisgekröntes Buch publiziert hat und ihr eigenes Schreiben damit hemmt.
Beide Bücher weisen also im Rahmen eine zweite, mehr oder weniger explizite Ebene auf: die Selbstreflexion der schreibenden Künstlerinnen Grigorcea und Meier. Das ergibt insgesamt ein interessantes, aber auch kompliziertes Konstrukt. Bei der einen hält es auf wundersame, fast schwerelose Weise, bei der anderen stürzt es immer wieder in sich zusammen.
Sprachflug und Absturz
Was für ein Pech! Der Galerist, der Constantin Avis gross herausbringen wollte, ist kurz vor dessen Ankunft verstorben. Diese Geschichte, die den Künstler in existenzielle Nöte bringt und zum Auftragsbastler macht, ist von erstaunlich heiterer Leichtigkeit, wie sooft bei Dana Grigorceas Texten. Die Sprache der in Zürich lebenden Kosmopolitin hat etwas Tänzerisches, und mit was, wenn nicht mit dem Fliegen, ist das Tanzen zu vergleichen? Auch taucht das Motiv des Tanzes in der Rahmenhandlung wie in der Geschichte von Avis immer wieder prominent auf.
Eher schwerfällig kommt dagegen Simone Meiers Texts daher. Zwar unterlegt die Kunsthistorikerin den Plot ihres Romans "Die Entflammten" mit viel Sachkenntnis, sabotiert sich aber immer wieder selber mit sprachlichen Entgleisungen, die aus der saloppen Jetztzeit ins historische Milieu einbrechen. Etwa, wenn Gina sich vorstellt, Jo zu sein, die in hochsommerlicher Hitze im straff geschnürten Korsett mit Einkäufen zum Pariser Montmartre hochsteigen muss, in die Wohnung, wo sich "Schmeissfliegen und Fruchtmücken zum Empfang auf mich stürzen, auf diesen dampfenden, zunehmend streng riechenden Haufen Fleisch." Oder wenn abends "die ins Meer tropfende Sonne auf beiden Seiten des Horizonts ein Blutbad anrichtet." Das ist Effekthascherei und vertreibt jegliche Lust, den abrupten Zeitsprüngen von einer Hauptfigur zur andern weiter zu folgen.*
*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert © Keystone-SDA
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