Die sich lösenden Gesteinsmassen oberhalb des Bündner Bergdorfs Brienz haben nichts mit dem Klimawandel zu tun. Laut Geologen rutscht der ganze Bereich wegen einer Kombination von Wasser und Gesteinsarten im Erdreich.
Wieder muss Brienz GR wegen einer drohenden Steinlawine evakuiert werden. Bis Sonntagmittag müssen alle Einwohnenden weg, möglicherweise für Monate. 1,2 Millionen Kubikmeter Schutt drohen das Dorf zu zerstören. Bereits im Juni 2023 stoppte ein Schuttstrom ähnlichen Ausmasses nur wenige Meter vor dem Dorf.
Doch die Schuttlawinen, Felsstürze und Blockschläge haben laut dem Geologen Stefan Schneider nichts mit dem Klimawandel zu tun. Die Ereignisse in Brienz GR gehen viel weiter zurück. Deshalb könne er sich einen Zusammenhang "beim besten Willen nicht vorstellen", sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Erster Schuttstrom 1878
Der Beginn der Ereignisse markiert ein Schuttstrom von 1878. Damals rutschen ähnlich grosse Gesteinsmassen rechts oberhalb des Dorfes mit einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Tag ab. Eineinhalb Jahre war der Strom in Bewegung, bis er schliesslich 100 Meter vor dem Dorf stoppte.
Danach folgten immer wieder grössere und kleinere Felsstürze sowie zahlreiche Blockschläge. Und auch der Untergrund des Dorfs ist seit Menschengedenken in Bewegung.
Mutmassungen zufolge könnte jedoch der schneereiche Winter von 1999 die Bewegungen beeinflusst haben, so Schneider. Als damals die riesigen Schneemengen schmolzen, gelang viel zusätzliches Wasser ins Erdreich. Zusammen mit der dort herrschenden Geologie eine gefährliche Mischung.
Ein schmieriger Brei
Das Hochplateau, auf dem Brienz GR liegt, besteht in seinem Untergrund aus Bündner Schiefer und sogenanntem Flysch - einer sehr weichen Gesteinsart. Mischt sich Wasser dazu, entsteht ein schmieriger Brei, wie Schneider weiter ausführte.
Zusammen mit der Neigung des Gesteins führt dies nun dazu, dass der Berg oberhalb von Brienz, sowie auch das ganze Dorf rutscht. 2,5 Meter pro Jahr bewegt es sich jährlich talwärts. Bei der sich nun lösenden Schutthalde oberhalb des Dorfes sind es Stand Dienstag rund 20 Zentimeter pro Tag.
Kein Zusammenhang mit Klimawandel
Obschon die Schutthalde auf Niederschläge reagiert, so sei dies nicht auf die gesamten Bewegungen im Gebiet rückzuschliessen, erklärte Schneider. Demnach haben auch die mit dem Klimawandel zusammenhängenden stärkeren Niederschläge innert kürzerer Zeit keine direkten Auswirkungen auf die übrigen Rutschgeschwindigkeiten.
Viel eher seien längere extreme Wetterperioden spürbar, wie etwa sehr nasse Sommer, oder schneereiche Winter. Diese wiederum seien aber nicht per se auf den Klimawandel zurückzuführen.
Auch auftauender Permafrost habe keine Auswirkungen in Brienz GR. Dafür liegt das Dorf auf rund 1100 Metern viel zu tief. Permafrost findet sich erst ab Höhen von 2300 Metern.
Rutschungen wie in Brienz gibt es laut Schneider viele in Graubünden. Die Frage weshalb es nun im Bergdorf im Albulatal zu einer solchen Zuspitzung der Ereignisse kommt, sei jedoch nicht abschliessend geklärt. © Keystone-SDA
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