Den Kantonen könnte die Praxisänderung des Bundesgerichts zum Einsatz von elektronischen Fussfesseln eine Entlastung für die überfüllten Gefängnisse bringen. Das Electronic Monitoring kostet zwar weniger, erfordert aber einen höheren Personalaufwand.
Die Kantone erhielten durch den bundesgerichtlichen Richterspruch mehr Handlungsspielraum, hiess es auf Anfrage bei den Strafvollzugskonkordaten der Nordwest-, Inner- und Ostschweizer Kantone. Darüber hinaus führe die Änderung wohl dazu, dass Gefängnisse punktuell entlastet würden.
Die Platzverhältnisse sind in praktisch allen Kantonen "sehr angespannt". So stieg die Belegungsrate der Gefängnisse Anfang Jahr auf den höchsten Stand seit zehn Jahren. 6881 Menschen sassen Ende Januar in der Schweiz in Haft, sieben Prozent mehr als vor einem Jahr.
Halbgefangenschaft kontra Fussfessel
Allerdings stehe das Electronic Monitoring - die Überwachung per Fussfessel ausserhalb der Gefängnismauern - in direkter "Konkurrenz" zur Strafvollzugsform der Halbgefangenschaft, teilte ein Sprecher der Konkordate mit.
Die Praxisänderung des Bundesgerichts könne demnach dazu führen, dass Fälle statt in Halbgefangenschaft per Electronic Monitoring vollzogen würden. Dadurch allenfalls freiwerdende Plätze in den spezialisierten Institutionen, die Halbgefangenschaft vollziehen, könnten nicht für den geschlossenen Vollzug umgenutzt werden.
Tiefere Kosten als Gefängnisaufenthalt
Die Auswirkungen auf die Kosten des Strafvollzugs können laut dem Sprecher der Strafvollzugskonkordate zurzeit nur schlecht abgeschätzt werden. Zwar kostet der Vollzug per Fussfessel "deutlich weniger" als ein Platz im Gefängnis und die verurteilte Person muss sich an den Vollzugskosten beteiligen. Aber: "In Relation zu den Gesamtkosten des Justizvollzugs sind die allfälligen Einsparungen hingegen nur geringfügig."
Der Kanton Aargau schlüsselte die Kostenfrage noch weiter auf: Es sei abzusehen, dass die Personalkosten steigen würden, hiess es beim zuständigen Departement Volkswirtschaft und Inneres. Denn der Betreuungsaufwand im Rahmen des Electronic Monitorings liege "deutlich" über demjenigen der Halbgefangenschaft. Ein Kostenbeitrag durch die verurteilte Person falle bei beiden Strafvollzugsformen an.
15 Fälle von Halbgefangenschaft im Kanton Aargau
Im Jahr 2023 seien im Kanton Aargau etwa 15 Fälle von Halbgefangenschaft aufgetreten, hiess es beim kantonalen Innendepartement. Ein "beachtlicher" Teil davon könnte wohl durch Electronic Monitoring abgelöst werden. Dass die elektronische Fussfessel nicht nur als Ersatz für die herkömmliche Halbgefangenschaft eingesetzt werde, sei zwar theoretisch möglich - aufgrund der ähnlichen Voraussetzungen für die Halbgefangenschaft und das Electronic Monitoring allerdings "unwahrscheinlich".
Die Praxisänderung des Bundesgerichts betrifft nur einen spezifischen Teil des Strafvollzugs: Beträgt der unbedingt ausgesprochene Teil einer Freiheitsstrafe maximal zwölf Monate, kann ein Vollzug mit elektronischer Überwachung in Frage kommen, wie aus einem Mitte April veröffentlichten Urteil hervorging. Bisher war dies nur zulässig, wenn die Gesamtfreiheitsstrafe nicht über einem Jahr lag. Damit glich das Bundesgericht seine Rechtsprechung jener zur Halbgefangenschaft an.
Damit Electronic Monitoring infrage kommt, darf keine Fluchtgefahr vorliegen, und es darf auch nicht die Gefahr bestehen, dass die entsprechende Person weitere Straftaten begeht. Weiter muss sie einer geregelten Arbeit, Ausbildung oder Beschäftigung von mindestens 20 Stunden pro Woche nachgehen oder es muss ihr eine solche zugewiesen werden können. Nicht zuletzt müssen mit der verurteilten Person in derselben Wohnung lebende Erwachsene dem Electronic Monitoring zustimmen. © Keystone-SDA
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