Der Goldene Leopard des Locarno Film Festivals geht an "Akiplėša" ("Toxic") der litauischen Regisseurin Saulė Bliuvaitė. Dies teilten die Organisatoren am Samstag mit. Die 77. Festivalausgabe war die erste unter der Leitung der neuen Präsidentin Maja Hoffmann.
Bliuvaitės Spielfilm spiegelt das triste Leben von Mädchen in einer Industriestadt, der sie mithilfe einer Modelkarriere entfliehen wollen. In starken, von kühlen Farben geprägten Bildern zeigt Regisseurin Saulė Bliuvaitė die Verlorenheit der beiden 13-Jährigen. Marija wurde von ihrer Mutter zur Grossmutter abgeschoben und Kristinas Vater hat weder Zeit noch Interesse an der eigenen Tochter.
Zwischen diese "Familienszenen" schieben sich Bilder einer verdreckten, trostlosen Stadt. In schmuddeligen Kinderzimmern schlagen die Mädchen die Zeit mit Musikhören tot und träumen von einer Welt, in der sie etwas bedeuten.
Es sei ein Privileg, Geschichten in Filmen zu erzählen, sagte Saulė Bliuvaitė bei der Preisverleihung in Locarno. Die Regisseurin, die auch noch den Preis für den besten Debütfilm erhielt, betonte, dass dies in vielen Gegenden der Welt unmöglich sei.
Mehrere Leoparden gehen nach Litauen
Bei den Hauptpreisen dominierte in diesem Jahr litauisches Filmschaffen. Neben dem Hauptpreis und dem Preis für den besten Debütfilm ging auch der Preis für die beste Regie an einen litauischen Regisseur, und zwar an Laurynas Bareiša für seinen Film "Seses" ("Drowning Dry").
Inhaltlich drehten sich heuer viele Wettbewerbsfilme um Frauen in Not. So auch im Film "Mond" von Kurdin Ayub, der den Spezialpreis der Jury gewann und eine österreichische Kampfsportlerin zeigt, die vier Töchter einer reichen Familie in Jordanien trainiert. Stück für Stück bröckelt die Fassade des wortwörtlich goldenen Palastes, in dem die Mädchen leben. Als Zuschauerin sieht man wenig Konkretes, aber die Atmosphäre ist beklemmend, selbst auf einer Autofahrt.
Der einzige Schweizer Film im internationalen Wettbewerb, "Der Spatz im Kamin" von Ramon Zürcher, ging leer aus. Auch die beiden Schweizer Koproduktionen "Fogo do vento" und "Transamazonia" wurden nicht berücksichtigt.
Dafür holte die Tessinerin mit kapverdischen Wurzeln Denise Fernandes in der Kategorie "Zeitgenössische Filmemacher" ("Concorso Cineasti del Presente") für ihren Film "Hanami" den Preis für den/die beste/n Nachwuchsregisseur/in. Fernandes schwärmte bei der Preisübergabe von der guten Energie in Locarno: Es sei fast unmöglich, Locarno zu verlassen, ohne sich verändert zu fühlen.
Den Prix du Public holte sich die schweizerisch-peruanische Regisseurin Klaudia Reynicke mit "Reinas" ("Königinnen"). Der Film spielt im Peru von 1992 und ergründet laut Angaben der Regisseurin die Herausforderungen des Kind- und Elternseins anhand einer bevorstehenden Abreise und thematisiert das komplexe Verlassen der Heimat als Kompromiss zwischen Schmerz und Hoffnung.
Höhepunkt mit Shah Rukh Khan
Die 77. Ausgabe des Locarno Film Festivals war auch die erste unter der Ägide der neuen Präsidentin Maja Hoffmann. In ihren Reden am Festival betonte Hoffmann den Teamgeist, welche das Locarno Film Festival prägen solle.
Einer der Höhepunkte war der humorvolle und energiegeladene Auftritt des Bollywood-Stars
Ausgewogene Piazza-Programmierung
Während in anderen Jahren harte Actionfilme und düstere Streifen die Geister schieden, war die Programmierung auf der Piazza Grande in diesem Jahr ausgewogener. Nur ein einziger Film war richtig schräg, jedoch in seiner Schrägheit wenig überzeugend ("Timestalker" von Alice Lowe).
Berührend und in eindrücklichen Bildern erzählt waren hingegen der sensible Film "Rita" von Paz Vega, der die Gewalt an einer Mutter aus Kindesaugen zeigt, und der poetische, in Schwarz-Weiss gedrehte Dokumentarfilm "Gaucho Gaucho".
Der guten Stimmung zuträglich war auch das perfekte Sommerwetter: Kein einziges Gewitter ging während der 77. Ausgabe auf die Piazza Grande nieder. Und auch das zweite Festivalzentrum - die "Rotonda" -, in der unter anderem Nemo auftrat, erfreute sich allabendlich grossen Zulaufs. © Keystone-SDA
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