Nach der kräftigen Erholung vom Corona-Einbruch geht es für die Schweizer Reiseveranstalter nicht mehr weiter nach oben. Die Branche wird in diesem Sommer an die Decke stossen.
"Wir haben einen sehr guten Winter hinter uns mit mehr Umsatz als in den besten Zeiten", sagt der Präsident des Schweizer Reise-Verbands, Martin Wittwer im Interview mit der Nachrichtenagentur AWP. "Aber im Hinblick auf den Sommer ist der Zenit erreicht."
Bei den Badeferienbuchungen spüre man aktuell eine gewisse Zurückhaltung gerade bei Familien mit Kindern. Angesichts von allgemeiner Inflation, steigenden Krankenkassenprämien und Mieterhöhungen schaue der Mittelstand mehr aufs Geld. "Insbesondere Familien zögern noch, ihr Geld auszugeben. Der Badeferienboom geht nicht mehr weiter nach oben", sagt Wittwer.
Die Leute würden noch warten, wie sich das Wetter in der Schweiz entwickle - je nach dem werden die Ferien auch auf den Herbst verlegt. Zudem sei die Preissensibilität wieder stärker geworden. "Unmittelbar nach Corona wollten die Leute reisen, da waren die Preise nicht prioritär ausschlaggebend. Die Bereitschaft, mehr zu bezahlen, war da", sagt der SRV-Präsident. Das Nachholbedürfnis nach Reisen sei gross gewesen.
"Jetzt überlegen die Leute wieder mehr, wofür sie ihr Geld ausgeben. Sie achten wieder verstärkt darauf, ob es nicht noch andere Angebote mit einem besseren Preis-/Leistungsverhältnis gibt", sagt Wittwer. Die Preissensibilität sei wieder auf dem Vor-Coronaniveau von 2018 oder 2019.
Trotzdem keine Abstriche
Aber es sei noch nicht so weit, dass die Leute tiefere Hotelkategorien buchen oder ihre Feriendauer verkürzen würden. "Der Schweizer ist nicht der Gast, der eine billigere Kategorie nimmt. Er schaut vielmehr, ob er das Gleiche günstiger bekommt. Die Leute wollen nicht verzichten", sagt Wittwer. Damit werde der Konkurrenzdruck für die Reiseveranstalter stärker als im letzten Jahr.
"Für die Reiseindustrie sehe ich aber keine dunklen Wolken - im Gegenteil: Die Leute wollen reisen. Das lassen sie sich nicht nehmen", sagt der SRV-Präsident. Es sei aber eine Herausforderung für die Veranstalter, gute Angebote auf den Markt zu bringen. "Das Reisegeschäft läuft gut, aber die Branche ist und war noch nie ein Selbstläufer."
Dies treffe vor allem auf das Badeferiengeschäft am Mittelmeer zu. Die Individual- und Fernreisen, die sich später von Corona erholt hätten, würden sich immer noch sehr gut entwickeln. Dort sei der Zenit noch nicht erreicht, sagt Wittwer.
Kein Chaos befürchtet
Ein Chaos an den Flughäfen wie im Sommer 2022, als es zu langen Schlangen an den Sicherheitskontrollen, Flugannullierungen, Verspätungen und verlorenen Koffern kam, befürchtet Wittwer in diesem Sommer in den Destinationen nicht. Dagegen machten die Streiks in Deutschland der Branche zu schaffen.
"Ich würde derzeit nicht planen, über die Drehkreuze Frankfurt und München zu fliegen", sagt der SRV-Präsident. Die Streiks würden immer kurzfristiger. Zudem könne man sich wegen der Streiks beim Bahnpersonal auch nicht auf den Zug verlassen. "Die Streiks machen das Reisevergnügen kaputt."
Dies spiele den Reisebüros in die Karten. Wenn man bei einem Reiseveranstalter buche, sei die ganze Reise beispielsweise im Falle eines Streiks abgesichert. Dann müsse der Reiseveranstalter alternative Reiseziele und -wege suchen oder das Geld zurückerstatten.
Wenn man dagegen sich individuell seine Ferien durch Buchungen bei Fluggesellschaften, Hotels und Mietwagenverleihern zusammenstelle, müsse man sich im Falle von Streiks oder Annullationen selber kümmern. Das werde den Menschen wieder vermehrt bewusst.
Kaum Schnäppchenpreise zu erwarten
Mit knappen Plätzen in den Flugzeugen oder Hotels rechnet Wittwer nicht: "Angebot und Nachfrage sind in einer guten Balance." Er glaube umgekehrt auch nicht, dass es Überkapazitäten geben werde. Deshalb dürften Reisen auch nicht viel günstiger werden. "Die Preise werden dort bleiben, wo sie heute sind."
Aber "es wird auch nicht mehr teurer." Die Preiskurve im Badeferiengeschäft sei oben an der Decke. Denn auch im Ausland habe sich die Inflation wieder abgeschwächt.
Dies gelte allerdings nicht für Nordamerika. "Die Preise in den USA sind so hoch, dass sie die Leute abschrecken. Die USA sind zu teuer geworden. Das derzeitige Preis-Leistungsverhältnis ist aus meiner Sicht nicht mehr optimal", sagt Wittwer.
Top-Destination Mallorca
Die Top-Destinationen im klassischen Badeferiengeschäft seien nach wie vor dieselben: Im westlichen Mittelmeer stehe Spanien mit der Inseln Mallorca an der Spitze. Im östlichen Mittelmeer seien Griechenland und die Türkei sehr gefragt.
Bei den Fernzielen zeige Thailand ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Das Land sei allerdings keine Sommerdestination, sagt Wittwer. (sda/fte)
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