Der 22. Mai ist der erste Termin für das alle drei Jahre stattfindende Kinderfest in der Stadt St. Gallen. Ob der Anlass stattfindet, entscheidet der Wetterbericht. Das Fest gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen seit 200 Jahren.
Spätestens wenn jeweils der erste Termin näher rückt, wird das Kinderfest in der Stadt St. Gallen zu einem alle verbindenden Gesprächsthema: "Isch es?", ist dann die vielgehörte Frage.
Das Fest findet nämlich nur statt, wenn der Wetterbericht einen durchwegs sonnigen Tag verspricht. Als weitere Bedingung muss die Festwiese auf dem Rosenberg trocken sein. Dieses Werweissen - findet es statt?, ist es verschoben? - kann sich über Wochen hinziehen. Fast scheint es, als würde die Vorfreude grösser, je länger die Ungewissheit dauert.
Fällt dann der Entscheid zur Durchführung, bekommt es die ganze Stadt mit. Bereits am Vorabend marschieren Tambouren durch die Stadt. Früh am Morgen verkünden Böllerschüsse den Start.
Der erste Programmpunkt ist der Umzug der Schulklassen bis zum Festplatz. Die Strassen und Gassen sind umsäumt von Zuschauerinnen und Zuschauern. Manchen Lehrerinnen und Lehrern kommt der Weg wie ein Spiessrutenlauf vor. Nette oder eher hämische Kommentare aus dem Publikum über Kleidung und Auftritt sind oft unüberhörbar.
Rund 5500 Schülerinnen und Schüler paradieren dabei vor rund 30'000 Besucherinnen und Besuchern. Der grosse Aufmarsch kommt nicht von ungefähr: Die Stadt steht an diesem Tag mehr oder weniger still. Zahlreiche Geschäfte sind geschlossen und auch die Stadtverwaltung arbeitet nicht.
Seit 200 Jahren durchgeführt
Der 28. September 1824 gilt als offizielles Gründungsdatum des St. Galler Kinderfests. Damals wurde allerdings eher ein patriotisches Jugendfest veranstaltet, bei dem uniformierte Kadetten durch die Gassen der Stadt marschierten.
Das Fest, wie es sich heute präsentiert, entwickelte sich erst später. Vor allem ab der Jahrhundertwende widerspiegelte sich im Kinderfest die Blüte der St. Galler Textil- und Stickerei-Industrie in farbenfrohen und edlen Kleidern.
Das Kinderfest behielt seinen traditionellen Ablauf bei. Zuerst der Umzug, dann auf dem Festplatz die Darbietungen der Schulklassen. Am Mittag gibt es die extra grosse Kinderfestbratwurst mit Bürli. Am späteren Nachmittag folgt nach einem meistens langen heissen Tag das Ende des offiziellen Programms und gleichzeitig der Beginn der Festivitäten für die Erwachsenen - und für die jeweils ziemlich erschöpften Lehrkräfte.
Gemeinsam mit den Textilfirmen
Neben dieser Struktur hat sich vieles geändert. Das ist wohl der Grund, wieso grundsätzliche Kritik am Anlass kaum zu hören ist. Die Bratwurst ist längst nicht mehr die einzige Verpflegungsmöglichkeit. Bei den Aufführungen wird die Mitsprache der Schülerinnen und Schüler inzwischen gross geschrieben. Die Vielfalt der Produktionen auf den Bühnen ist entsprechend gross geworden.
Seit 2015 unterstützen Textilfirmen wie Forster Rohner, Bischoff Textil oder Jakob Schläpfer das Fest wieder aktiv. Entweder werden den Schülerinnen und Schülern Stoffe für die Kleider zur Verfügung gestellt oder es werden wie vom Haute-Couture-Unternehmen Akris gleich fertig produzierte Shorts, Röcke, Hemden und T-Shirts ins Schulhaus geliefert.
Die Ausgabe des Kinderfests von 2024 ist besonders. Erstmals seit dem Zweiten Weltkriegs gab es eine Pause von sechs Jahren. Die Ausgabe von 2021 wurde vom Stadtrat vor allem aus Spargründen und ein bisschen wegen Covid-19 ersatzlos gestrichen. Auch eine Petition und Proteste durch alle politischen Lager bis hin zur SVP verhinderte damals den Ausfall nicht. © Keystone-SDA
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