"The Shameless" spielt in Indien und handelt von zwei Prostituierten, die sich ineinander verlieben. Damit bricht der Spielfilm gleich zwei Tabus in der indischen Gesellschaft. Regisseur Konstantin Bojanov sagt im Gespräch, warum er gerade diese Geschichte erzählt.
Die indische Prostituierte Renuka (Anasuya Sengupta) hat einen Polizisten getötet. Deshalb muss sie aus dem Bordell in Delhi fliehen. Zuflucht findet sie in einer Gemeinschaft von Sexarbeiterinnen in Nordindien. Dort trifft sie auf Devika (Omara Shetty), ein junges Mädchen, das nach dem Devadasi-System zu einem Leben in der Prostitution verurteilt ist. Die beiden Frauen verlieben sich ineinander.
"Hochzeit" und Prostitution
Das Devadasi-System folgte einer inzwischen verbotenen hinduistischen Tradition, bei der Frauen mit einer Gottheit "verheiratet" werden - und sich vor diesem Hintergrund prostituieren müssen. "Wenn es einen positiven Aspekt der Devadasi-Praxis gibt, dann ist es die Tatsache, dass sie vollständig in den Händen der Frauen liegt", sagte der bulgarische Regisseur Konstantin Bojanov im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Devikas Mutter will nicht, dass ihre Tochter mit Renuka verkehrt, weil diese eine Prostituierte ist. Dabei hat sie für ihre beiden Töchter das gleiche Schicksal vorgesehen. Devikas jüngere Schwester wurde in ein Bordell in Delhi geschickt.
"Obwohl Renuka, Devika und deren jüngere Schwester der gleichen Arbeit nachgehen, gelten jene Prostituierte, die sich dem Kult der Göttin Yellamma verschrieben haben, als glücksverheissend und damit denjenigen als überlegen, die sich nicht verschrieben haben", sagte Bojanov.
Verletzliche Mitglieder der Gesellschaft
Er habe "keinen offenkundig politischen Film" machen wollen. Aber alle Elemente des Films seien nun einmal stark politisch. "Ich würde mich sehr freuen, wenn 'The Shameless' einen Diskurs über die Bedingungen von Frauen und Sexarbeiterinnen anregen würde. Sie sind extrem verletzliche Mitglieder der Gesellschaft, werden missbraucht und gehandelt", sagte Bojanov.
In Indien ist nicht nur die Prostitution ein Tabu, sondern auch Homosexualität, "die mit Wahnsinn gleichgesetzt" wird, so Bojanov. "Ich wollte diese Dynamik am Beispiel einer Aussenseiterin wie Renuka erforschen." Die Begegnung zwischen den beiden Protagonistinnen ist voller Zärtlichkeit, und genau darauf habe er als Regisseur hinweisen wollen.
"In meinen Geschichten versuche ich, die universellen Aspekte von Beziehungen in den Mittelpunkt zu stellen und die Figuren mit schwierigen moralischen Dilemmas zu konfrontieren." Im Verlauf des Films macht Renuka eine tiefgreifende Entwicklung durch, die sie schliesslich dazu bringt, ihrer Jugendfreundin ihre Liebe zu Devika anzuvertrauen.
Vom Dok- zum Spielfilm
Dieser Film sei das Ergebnis eines "sehr langen Prozesses", so Bojanov. Begonnen habe dieser 2012. Der Regisseur hatte damals einen Dokumentarfilm geplant, auf der Grundlage des Buches "Nine Lives" des britischen Historikers William Dalrymple. Das Buch versammelt neun Geschichten, unter dem Aspekt der Suche nach dem Heiligen im modernen Indien, wie der Untertitel sagt.
Der Filmemacher hatte mehrere Monate zu diesen Geschichten recherchiert. Dabei hatte er sich vor allem auf Fragen, wie "die Beziehung der Figuren zur Kunst, zur Kaste und zur Sexualität" konzentriert. Im Zug dieser Arbeit hatte Bojanov "eine sehr berührende Beziehung" zwischen zwei Prostituierten beobachtet. Daraus sei die Idee für den fiktionalen Spielfilm "The Shameless" entstanden. Der Film vermische mehrere Genres, "vom Noir bis zum Thriller", so der Regisseur.
"The Shameless" ist eine Koproduktion der fünf Länder Schweiz, Frankreich, Bulgarien, Taiwan und Indien. Gedreht wurde in Nepal - unter sehr schwierigen Bedingungen, wie Bojanov sagte. Er hat dafür mit dem Kameramann Gabriel Lobos zusammengearbeitet, der in Basel geboren wurde und heute in Zürich lebt.
Weltpremiere feierte "The Shameless" an den letzten Filmfestspielen in Cannes. Schauspielerin Anasuya Sengupta war dort im Wettbewerb Un certain regard als beste Schauspielerin ausgezeichnet worden. Kameramann Lobos war für einen Schweizer Filmpreis 2025 nominiert und der Film darüber hinaus für den Europäischen Filmpreis. Jetzt startet er in den Deutschschweizer Kinos. © Keystone-SDA