Der ehemalige Uno-Sonderberichterstatter und SP-Nationalrat Jean Ziegler wird heute 90 Jahre alt. Als Rebell und Drittweltvertreter der ersten Stunde kämpfte er sein Leben lang gegen Ungerechtigkeit und Leid, verursacht durch den "Raubtierkapitalismus".
Der am 19. April in Thun BE geborene Genfer Soziologe Jean Ziegler machte sich im Ausland einen Namen, wo seine Bücher wie "Die Schweiz wäscht weisser" einen enormen Erfolg hatten. In der Schweiz zogen ihm seine pointiert linken Positionen indessen die jahrelange Feindschaft des bürgerlichen Establishments zu.
In seinem 1976 veröffentlichten Buch "Eine Schweiz, über jeden Verdacht erhaben" griff er die Eliten des Landes frontal an. Das Werk stellt die Profite der multinationalen Schweizer Konzerne auf Kosten der Ärmsten, das Bankgeheimnis und die von der Finanzindustrie gekaperten politischen Institutionen an den Pranger.
Rotes Tuch für Bürgerliche
Während die bürgerliche Schweiz mit allen Mitteln versuchte, diesen Grossangriff auf eine Reihe von helvetischen Mythen zu unterdrücken, schlug das Buch im Ausland wie eine Bombe ein. Die internationale Presse griff die Themen auf und bot den Thesen des Soziologen einen gewaltigen Resonanzboden.
1990 stellte er den Finanzplatz im Werk "Die Schweiz wäscht weisser" ins Rampenlicht und an den Pranger. Das brachte ihm die schlimmsten juristischen Probleme ein. Ziegler musste sich einer Prozesslawine stellen und seine parlamentarische Immunität als Nationalrat wurde aufgehoben. Schliesslich wurde er zu Hunderttausenden von Franken Schadenersatz verurteilt.
Für Jean Ziegler sind die Bücher seine Waffen. Insgesamt schrieb er rund 20 Publikationen, von denen einige ein immenses Echo hervorriefen wie etwa 1997 "Die Schweiz, das Gold und die Toten" über die Haltung des Bundes während des Zweiten Weltkriegs.
Die aus seiner Sicht äusserst brutale kapitalistische Weltordnung bezeichnete Ziegler als kannibalisch. Von Gewalt als Mittel zur Veränderung der Verhältnisse distanzierte er sich nicht. Den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verurteilte Ziegler 2022 auf das Schärfste. Putin sei für ihn ein unberechenbarer Diktator.
Als jahrzehntelanges Mitglied der SP sass der perfekt zweisprachige Ziegler für den Kanton Genf zweimal im Nationalrat. Sein erstes Mandat hielt er von 1967 bis 1983, das zweite von 1987 bis 1999. Beide Male wurde er nicht wiedergewählt.
Studium in Paris
Ziegler wurde in Thun in eine protestantisch-konservative Familie hineingeboren und ging nach der Matura zum Rechtsstudium nach Paris. In der französischen Metropole lernte er den Marxismus kennen, wurde Mitglied der französischen kommunistischen Partei. Er verkehrte mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre und dem katholischen Theologen Abbé Pierre.
Mit 30 Jahren traf Ziegler den argentinischen Revolutionär Che Guevara, dessen Chauffeur er wurde. Guevara riet ihm, in der Schweiz zu bleiben und das "Monster" dort zu bekämpfen. Nach der Rückkehr von einer Reise in den Kongo widmete Ziegler in den 1960er Jahren seine ersten Bücher der Dritten Welt.
1977 berief ihn die Universität Genf zum Professor für Soziologie, wo er bis 2002 lehrte. Von 2000 bis 2008 war er Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Dabei griff er den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation (WTO) als die "drei Reiter der Apokalypse" an.
Kritik musste Ziegler wegen seiner Nähe zu einigen Regierungschefs des globalen Südens einstecken. So trugen ihm seine Kontakte zum langjährigen libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi schwere Vorwürfe ein. Der Soziologe wies dies als Verleumdung zurück. Ziegler war nach Libyen gereist, als sich bei dem Machthaber die ganze europäische Linke die Klinke in die Hand gab.
Der Genfer Filmemacher Nicolas Wadimoff porträtierte Ziegler in seinem Dokumentarfilm "Jean Ziegler - der Optimismus des Willens" aus dem Jahr 2016. Der 90-minütige Film lässt sich auf Playsuisse anschauen. (SDA/tas)
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