"Slap Fighting" wird in den USA in einer professionellen Liga ausgetragen. Der frühere Untergrund-Sport ist dort durchaus beliebt, wird aber auch harsch kritisiert. Wir haben mit einem Ringarzt über die Gefahren dieses Sports und die möglichen Folgen gesprochen.
Zugegeben: Ohrfeigen in Zeitlupe sehen auf den ersten Blick fast schon lustig aus. Die Backen sind aufgeblasen, Gesichtszüge entgleisen, der Getroffene zieht eine Grimasse.
Das Problem: Lustig ist das Ganze nicht. Vielmehr sind die Aktionen oft gesundheitsgefährdend, teilweise sogar lebensgefährlich. "Slap Fighting" nennt sich dieser Sport, der in den USA inzwischen eine eigene Liga hat und für jede Menge Kontroversen sorgt.
Denn wenn sich die beiden Kämpfer ohrfeigen, dann schmerzt es schon beim Zuschauen. Wer in seinem Leben schon einmal eine deftige Ohrfeige kassiert hat, der wird sich vorstellen können, wie weh die Slaps der Kämpfer tun.
Das Perfide: Derjenige, der sie kassiert, hat die Hände hinter dem Rücken, darf nicht das Gesicht wegdrehen, sich nicht ducken, nicht einmal zucken, um der Schlagkraft von einigen hundert Kilogramm zumindest halbwegs auszuweichen. Der andere hat 60 Sekunden Zeit, um die Ohrfeige zu platzieren. Nach drei Runden steht der Sieger fest, ob nach Punkten oder K.o.
Schlimme Verletzungen im Gesicht sowie am Kopf
Ringarzt Dr. Michael Hautmann vom Bund Deutscher Berufsboxer muss gar nicht lange überlegen, welche gesundheitlichen Auswirkungen das "Slap Fighting" haben kann. "Es kann Verletzungen im Gesicht geben wie Schwellungen, Cuts, Blutungen, Blutergüsse, Prellungen bis hin zu Brüchen. Das Auge kann betroffen sein, oder das Ohr z.B. mit dem Trommelfell", so Hautmann im Gespräch mit unserer Redaktion.
Infektionen, Wundheilungsstörungen, Narbenbildungen Hörschäden, Beeinträchtigung des Sehvermögens bis hin zur Blindheit könnten weitere Folgen sein. Ein Todesfall ist bereits dokumentiert, der Pole Artur Walczak starb 2021 nach einem Kampf an den Folgen einer Kopfverletzung.
Am schlimmsten sind die Schläge, die das Hirn abbekommt. "Das Hirn schwimmt quasi frei beweglich im Gehirnwasser, und wenn es bei kräftigen Schlägen beschleunigt wird, gegen die Schädelwand prallt, plötzlich abgebremst und wieder in die Gegenrichtung beschleunigt wird, noch dazu durch eine eventuelle Drehung Scherkräften ausgesetzt ist, kann das zu Hirnverletzungen führen", erklärt Hautmann. Dazu gehören zum Beispiel Gehirnerschütterungen. "Lebensbedrohlich wird es, wenn dabei am oder im Gehirn ein Gefäss reisst oder platzt", so Hautmann.
Diese Kämpfe beeinträchten die Lebenserwartung
Fatal sind auch die möglichen Langzeitschäden. Ein Problem, das auch der Boxsport kennt, wie Hautmann erläutert: "Wir wissen ja, dass viele ehemalige Boxer deutlich öfter und früher mit neurologischen Problemen wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen kämpfen oder gar an Parkinson, Alzheimer und Demenz leiden, mit reduzierter Lebenserwartung. Ein Muhammad Ali oder ein Rene Weller sind deutlich zu früh von uns gegangen. Und das wird bei diesen 'Kämpfern' irgendwann wahrscheinlich genauso passieren."
Auch die Halswirbelsäule kann in Mitleidenschaft gezogen werden, "wenn man im falschen Moment nicht gegenspannt und quasi in einem Überraschungsmoment eine hohe kinetische Energie auf eine relaxierte Wirbelsäule und deren Binde-Stützapparat trifft", so Hautmann. Das ist vergleichbar mit einem Schleudertrauma, das man sich bei einem schweren Auffahrunfall zuzieht. "Der Körper und dessen Muskulatur vergisst so ein Trauma nie", so Hautmann.
Lesen Sie auch
Da das Slap Fighting noch eine relativ junge Sportart ist, fehlen Langzeitstudien. Experten der medizinischen Fakultät der Universität Pittsburgh in den USA haben eine erste medizinische Querschnittsstudie veröffentlicht, die aufzeigt, welche Folgen die Ohrfeigen haben können.
Laut der Analyse von 78 Fights zwischen 56 Kämpfern, bei denen 333 Ohrfeigen verteilt wurden, zeigten rund 80 Prozent der Kämpfer mindestens ein Anzeichen einer Gehirnerschütterung, viele kämpften zudem mit einer Bewegungseinschränkung nach einem Schlag oder hatten einen leeren oder starren Blick. Ausserdem wurden einige zu Boden geschlagen und hatten Probleme, wieder aufzustehen.
"Gefährlicherer Kampfsport als bisher angenommen"
"Das Risiko wird erhöht, da die Teilnehmer wehrlos dastehen bzw. sitzen, sodass ihre Gegner bei jedem Angriffsschlag vollständigen und präzisen Kontakt mit ihren Köpfen haben. Daher muss bei der Beurteilung solcher Athleten sowohl akut als auch bei der Langzeitnachsorge eine strenge Überwachung erfolgen", schrieben die Macher der Studie und warnten eindringlich: "Slap Fighting könnte ein gefährlicherer Kampfsport sein als bisher angenommen, und es sollten Strategien zur Verhinderung eines neurologischen Schadens bei den Teilnehmern verfolgt werden."
Für Hautmann sind diese Ergebnisse "besorgniserregend", und für ihn ist klar, dass Slap Fighting ("Ich sehe das so noch nicht als Sport") "zu einfach strukturiert, zu sehr reduziert, zu primitiv" ist, "vor allem auch noch zu schlecht organisiert, überwacht und kontrolliert".
Der US-Amerikaner Dana White, der das Mixed Martial Arts durch die Ultimate Fighting Championship (UFC) bereits in ein Milliarden-Business geführt hat, brachte im vergangenen Jahr die professionelle Liga "Power Slap" an den Start. Der Ohrfeigen-Kampf wurde in den USA von der Sportbehörde im US-Bundesstaat Nevada zugelassen.
Einige der eher archaischen Aspekte, die in den unteren Ebenen des Sports existieren, wurden durch die Liga beseitigt. So gibt es Ärzte vor Ort, medizinische Untersuchungen, Gewichtsklassen, Regeln, die Fouls verbieten und bestimmte Schlagbereiche definieren und Sicherheitsanforderungen wie einen Mundschutz sowie Wattebällchen im Ohr.
Kritikern gehen die medizinischen Vorkehrungen aber längst nicht weit genug. "Auch über etwaiges Doping zum Aufputschen und zur Erhöhung der Schmerztoleranz sollte man sich Gedanken machen", meint Hautmann. Der griechische Neurologe Nikolas Evangelou bezeichnete die Show bei "Sky" als "Rezept für eine Katastrophe".
Drei bis fünf Ohrfeigen gegen 300 bis 400 Schläge beim Boxen
Organisator White verteidigte sich im vergangenen Jahr gegen die laute Kritik an dem Projekt, das längst nicht so erfolgreich ist wie die UFC. So sagte er der "New York Times": "Bei uns gibt es drei bis fünf Ohrfeigen pro Event. Boxer stecken 300 bis 400 Schläge pro Kampf ein."
Wichtige Unterschiede sind die ausführlichen medizinischen Vorsorge- und Nachsorgebedingungen im Boxsport
"Wenn ein Boxer durch einen Kopftreffer K.o. geht, dann bekommt er eine Sperre für mindestens drei, eher sechs Monate und muss dann auch wieder ein Schädel-MRT mit Gefässdarstellung vorlegen, damit wir davon ausgehen können, dass nichts passiert ist", erklärt Hautmann. Für ihn sind Whites Aussagen deshalb vor allem "verharmlosend".
Warum macht man so etwas?
Dennoch gibt es offenbar Menschen, die Spass an diesem Sport haben. Hautmann versucht eine Erklärung dafür zu finden, warum sich manche Menschen brutal ohrfeigen lassen und andere dabei zusehen: "Es hat einen gewissen Unterhaltungswert, ähnlich wie das Promi-Boxen. Du kannst es in einem Bierzelt veranstalten und es können Leute machen, die sportlich eigentlich nicht geeignet sind für einen anderen Kampfsport, denn da müssten sie viel intensiver trainieren, müssten auf Gewicht achten, müssten fit sein. Boxen zum Beispiel ist deutlich anspruchsvoller als mit einer Hand einigermassen vernünftig eine Backe zu treffen."
Beim Slap Fighting komme es im Wesentlichen aber nur auf die schiere Schlagkraft an, das könne auch der Holzfäller, Maurer oder Bauarbeiter von nebenan quasi aus dem Stand machen, meint Hautmann, der den Anreiz auch darin begründet sieht, "dass man deutlicher erkennt, wer der Stärkere ist". Das sei auch das, was die Menschenmassen fasziniere: "Die Leute wollen Blut oder zumindest Effekte von schwerer Kraft sehen. Das zieht die Schaulustigen an", sagt Hautmann. Und ergänzt: "Ähnlich wie bei einem Verkehrsunfall."
Über den Gesprächspartner
- Dr. Michael Hautmann ist Ringarzt beim Bund Deutscher Berufsboxer.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.