Im Oktober sorgte Ricardo Pietreczko für Aufsehen, als er als erst zweiter Deutscher nach Max Hopp ein Turnier der PDC Pro Tour gewann und dabei Dartsgrössen wie Peter Wright und Michael van Gerwen hinter sich liess. Im Interview spricht er über die Vorbereitung auf seine erste WM und wie es ist, gegen eine Frau zu spielen.
Herr Pietreczko, haben Sie für Weihnachten und Silvester schon etwas geplant?
Ricardo Pietreczko: Nein, habe ich nicht! Ich hoffe natürlich, dass ich über die Feiertage noch in London bin. Solange ich im Turnier bin, werde ich in der Stadt bleiben, ein Rückflug ist noch nicht gebucht.
Während der Feiertage geht es also auch nicht zurück?
Manche machen das, aber nur, wenn sie auch wirklich ein, zwei Tage hintereinander spielen und dann länger nicht. Bei mir ist der Zeitplan aber ziemlich weit gestreckt: Ich fliege am 18. Dezember nach London, habe mein erstes Spiel am 19. Dezember und würde dann am 23. Dezember mein zweites Spiel spielen. Da macht es für mich wenig Sinn, nach Hause zu fliegen.
Sie haben sich zum ersten Mal für die WM qualifiziert. Wie nervös sind Sie schon?
Noch gar nicht. Bei mir kommt die Nervosität meist erst kurz, bevor ich auf die Bühne gehe – aber selbst dann nicht so hundertprozentig. Als Dartspieler wäre das auch schwierig.
Wie bereiten Sie sich aktuell auf die WM vor? Oder geht es jetzt nur noch darum, sich mental darauf einzustellen?
Mit der Vorbereitung ist es gerade schwer, da ich aktuell noch sehr viele Termine habe. Ein paar Drehs, ein paar Interviews zur WM-Vorberichterstattung, alles Mögliche ist da dabei. So wirklich vorbereiten kann ich mich also erst nächste Woche. Allgemein mache ich dabei nicht viel anders als bei anderen Turnieren. Ich spiele hauptsächlich Darts – ob E-Darts oder Steeldarts ist mir eigentlich relativ egal. Hauptsache, der Arm ist in Bewegung. Mental muss ich mich nicht darauf einstellen, ich sehe die WM als Turnier wie jedes andere auch.
Ricardo Pietreczko weiss selbst nicht, warum es so gut läuft
In diesem Jahr haben Sie einen grossen Sprung nach vorne gemacht, als zweiter Deutscher nach Max Hopp gewannen Sie im Oktober ein Turnier der PDC Pro Tour. Wie ist der Knoten geplatzt?
Gute Frage – das weiss ich ehrlich gesagt selbst nicht genau! Eigentlich habe ich in diesem Jahr nicht viel anders gemacht als in den Jahren zuvor. Für mich kam dieser Sprung genauso überraschend wie für alle anderen auch.
Hat Ihnen die Erfahrung geholfen? Viele Dartprofis feiern erst im höheren Alter Erfolge, auch Sie werden im nächsten Jahr 30.
Natürlich ist es wichtig, möglichst viel Turniererfahrung zu sammeln. Es hilft einem, ruhig zu bleiben und sein eigenes Spiel zu spielen. Grundsätzlich kann man Darts aber in jedem Alter auf hohem Niveau spielen. Das ist in fast keiner Sportart so offen wie bei uns.
Was machen Sie im Wettbewerb gegen die grossen Gegner anders? Oder ist da kein grosser Unterschied zum lockeren Spiel in der Kneipe?
Wie ein Spiel in der Kneipe ist es nicht, schliesslich sind da genügend Leute hinter dir, die das Spiel lautstark verfolgen. Abgesehen davon will ich Gedanken an den Gegner auf der Bühne aber komplett ausschalten, ich versuche gar nicht, an ihn zu denken. Das klappt auch oft sehr gut, gerade beim Turnier im Oktober.
Wie haben
Gerade Peter Wright war überhaupt nicht böse, dass er das Finale verloren hat und hat mir am Ende gratuliert. Wir haben uns nach dem Spiel dann auch nochmal lange unterhalten. Michael van Gerwen war dagegen ziemlich schnell weg, er ist quasi von der Bühne direkt ins Auto gesprungen. Aber ich kann ihn verstehen – wenn es mir nicht gut gehen würde, würde ich das nicht anders machen. Insgesamt verstehen wir uns unter den Spielern ganz gut.
Nach dem Sieg waren Sie in der Dartsport-Welt bekannt.
In den Tagen nach dem Turnier habe ich mich schon gefragt: Was geht jetzt eigentlich ab? Zwei Tage später musste ich dann aber schon nach England reisen, weil dort die nächsten Championship-Turniere stattfanden. Ich hatte nicht wirklich Zeit zu feiern und war gleich wieder im Alltag.
Pietreczko: "Die Deutschen können ganz oben mitspielen"
Wie weit ist Darts-Deutschland nach den Erfolgen von Ihnen und anderen Sportlern? Können wir es mit Nationen wie Belgien oder den Niederlanden schon aufnehmen?
Natürlich. Gerade Gaga (
Die WM-Erfolge blieben für die deutschen Spieler bis zum letzten Jahr aber lange aus. Sind Sie erleichtert, dass mit dem Halbfinaleinzug von Gabriel Clemens der Knoten endlich geplatzt ist?
Als Profisportler sehe ich das komplett anders. Natürlich bin ich auch stolz darauf, wenn jemand wie Gabriel Clemens im Turnier weit kommt. Aber ich will selbst auch Geld verdienen und muss auf mich schauen, das Konkurrenzdenken unter den Spielern ist sehr gross. Deshalb freue ich mich für ihn, dass er es geschafft hat, aber viel mehr will ich auch dahin, wo er war.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den anderen deutschen Dart-Profis?
Ehrlich gesagt, habe ich so gut wie keinen Kontakt zu den anderen Spielern. Wir sitzen zwar bei vielen Turnieren zusammen an einem "deutschen Tisch", weil die Spieler dort nach Nationalität platziert werden, aber das war es auch. Ich weiss nicht, ob das unter den Spielern aus anderen Ländern anders ist.
Vermissen Sie den Austausch nicht? Die erfahreneren Spieler könnten Ihnen gute Tipps geben.
Überhaupt nicht. Ich muss als Dartprofi meine eigenen Erfahrungen machen – auch bei der WM. Was ich da auf keinen Fall gebrauchen kann, wären andere Spieler, die mir in meine Vorbereitung reinreden und mir sagen, wie ich was zu machen habe. Ich habe bislang niemanden um Rat gefragt.
Pietreczkos erste Gegnerin ist seine Lieblingsspielerin
In der ersten Runde treten Sie gegen die Japanerin Mikuru Suzuki an. Haben Sie sich den Turnierbaum schon angeguckt?
Ich weiss, dass ich in der ersten Runde gegen Mikuru spiele und dann, falls ich gewinne, gegen Callan Rydz. Ein paar Freunde haben mir auch gesagt, dass in der 3. Runde bereits Luke Humphries warten könnte. Aber davon will ich ehrlich gesagt noch gar nichts wissen. Das ist zwar eine typische Fussballerfloskel, aber: Ich muss von Spiel zu Spiel gucken.
Wie gut kennen Sie ihre Erstrundengegnerin?
In einem offiziellen Turnier haben wir noch nie gegeneinander gespielt, dafür aber in Japan mal ein paar Spiele "just for fun". Mikuru ist eine meiner Lieblingsspielerinnen, weil sie auf der Bühne einfach sie selbst ist, ein sehr sympathischer Mensch. Aber auch das muss ich im Wettbewerb ausschalten.
Beim Grand Slam of Darts haben Sie bereits gegen Beau Greaves gespielt. Ist es etwas anderes, gegen eine Frau zu spielen?
Grundsätzlich spielt das für mich keine Rolle. Aber im Darts ist es leider so, dass das Publikum den Spieler, der gegen eine Frau antritt, meistens lautstark auspfeift. Das finde ich komplett daneben. Gerade, wenn die Fans gezielt pfeifen, wenn ich auf ein Doppel werfe, nervt das extrem. Aber dieses Verhalten wird man aus den Leuten nicht mehr herausbekommen.
Nehmen Sie auf der anderen Seite positive Anfeuerungen wahr? Die deutschen Fans sind im Ally Pally dafür bekannt, laut zu sein.
Ob ich das so hundertprozentig mitbekommen werde, kann ich noch nicht sagen. Es ist ja auch das erste Mal, dass ich im Ally Pally spielen werde. Gegen so ein gewisses Grundrauschen habe ich aber normalerweise nichts – das ist mir viel lieber, als wenn es extrem leise ist und man jeden Pieps hört.
Ihr Spitzname ist "Pikachu" – was verbindet Sie mit dem Pokemon?
Ehrlich gesagt, gar nichts! Tatsächlich ist der Name nur ein Gag, weil jemand meinen Namen als "Pikachu" missverstanden hat. Das hat sich dann weiterentwickelt und mittlerweile kennt man mich unter dem Namen. Deshalb sage ich: Wennschon, dennschon – auch mein Einlaufsong bleibt das Titellied von Pokémon.
Über die Person:
- Ricardo Pietreczko wurde 1994 in Berlin geboren, im Januar 2022 gewann er erstmals ein Ticket für die professionelle Darts-Tour. Dieses Jahr feierte Pietreczko, der aktuell in Nürnberg wohnt, dann endgültig seinen Durchbruch in der Darts-Welt: Er kletterte auf Platz eins der PDC Pro Tour Order of Merit und qualifizierte sich zum ersten Mal für die WM in London.
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